zum Hauptinhalt
Der Regisseur und Schriftsteller Jan Schomburg

© Gunter Glücklich/Verlag

Jan Schomburg, "Das Licht und die Geräusche": Alles verstehen geht nicht

In einem Alter, das Erwachsene schwer einordnen können: Jan Schomburgs einfühlsamer, authentischer Coming-of-Age-Roman "Das Licht und die Geräusche"

Im Grunde sagt Jan Schomburgs Ich-Erzählerin Johanna mit diesem Satz alles über ihre Reife, könnte der Satz als Motto über dem Roman stehen: „Aber dann denke ich, dass man vielleicht auch nicht immer alles verstehen muss.“ Johanna ist gerade mit Boris und dessen aus Portugal stammender Freundin Ana-Clara bei einem älteren Mann gewesen, von ihr nur der „Garagenmann“ genannt. Der hatte sie beim Trampen mitgenommen und dann noch in sein Haus eingeladen, und nun machen sich die drei von dort im Morgengrauen auf dem Weg nach Hause. Ana-Clara geht mit Boris Hand in Hand die Bundesstraße entlang und nimmt irgendwann auch die Hand von Johanna, ohne sie dabei anzugucken, „und warum sie das jetzt macht, verstehe ich wirklich überhaupt nicht mehr.“

So ähnlich geht es einem zunächst auch beim Lesen von Schomburgs Roman „Das Licht und die Geräusche“. Man lässt sich gern an die Hand nehmen, ohne groß etwas zu verstehen. Der Roman beginnt rasant, mit schnellen Schnitten. Hin und her geht es zwischen erzählter Gegenwart und Rückblenden in die Vergangenheit, dabei ist das Präsens stets die vorherrschende Zeitform. Johanna bei ihren Eltern, Boris und Ana-Clara sind zu Besuch, Johanna mit Boris bei einer Radtour und beim Zelten an der Nordsee, und alle drei immer wieder im Haus des „Garagenmanns“ (von Berufs wegen exportiert er Garagentore nach Russland). Dort fragt sich Johanna, ob sie mit diesem schlafen soll, „nur um Ana-Clara zu ärgern, das wäre auch ein bisschen dämlich“.

Schließlich, wieder ein Schnitt, Szenenwechsel, das zweite Großkapitel beginnt: Johanna in ihrer Schulklasse. Hier wird gerade diskutiert, ob die Klassenreise an die Nordsee oder nach Barcelona gehen soll, und Johanna erzählt, wie sie Timo einmal Nachhilfeunterricht gegeben hat und spekuliert, was der wohl für ein Problembursche sein mag.

Zuletzt Schomburg das Drehbuch für den Stefan-Zweig-Film "Vor der Morgenröte" geschrieben

Man merkt, dass Jan Schomburg im Erstberuf Filmregisseur und Drehbuchautor ist. Zuletzt hat er mit seiner Lebensgefährtin Maria Schrader das Drehbuch für deren tolles Stefan-Zweig-Filmporträt „Vor der Morgenröte“ geschrieben. Vor der eigentlichen Geschichte, den Eindruck vermittelt „Das Licht und die Geräusche“, steht das szenische Schreiben. Auf diese Art führt Schomburg seine Leser und Leserinnen in die Psyche eines noch nicht volljährigen Mädchens – und in eine Welt, in der Johanna in Bezug auf ihren Phänotyp und den ihrer Freunde sagt: „Ich glaube, dass wir in einem Alter sind, wo Erwachsene das schwer einordnen können.“ Schomburg hat für seine Heldin einen authentischen, unaufgesetzten Ton gefunden, eine glaubhafte, angenehmerweise kaum schnoddrige Sprache. Hier die Eltern, dort die Probleme mit Außenseitern wie Timo und Marcel, hier die Klassenreise, dort Boris und Johanna: „Manchmal verstehe ich nicht, was Boris und ich eigentlich für eine Beziehung haben, und außer dass wir uns nicht küssen und nicht Händchen halten und nicht zusammen schlafen, sind wir im Grunde eigentlich ein Paar.“

Natürlich fragt man sich im Verlauf der Lektüre, ob Schomburg wirklich nur lose Szenen aneinanderreihen und die Beziehungsgeschichte zwischen Boris und Johanna und Ana-Clara bis zum Ende in der Schwebe halten will.  Ob es hier noch eine Art Stoffverdichtung geben wird? Tut es tatsächlich. Eines Tages verschwindet Boris plötzlich nach einer Schlägerei in einem Club und einer Nacht am See mit Johanna, nicht spurlos, sondern nach Island. Er hat aber einen Abschiedsbrief hinterlassen und sich vermutlich umgebracht. Was so eine Ankündigung bei Johanna und den beteiligten Familien auslöst, das alles erzählt Schomburg behutsam und eindringlich, dabei dann durchaus einen Spannungsbogen haltend: Hat Boris sich wirklich umgebracht? Warum gerade Island? Gibt es schon Informationen von der isländischen Polizei? Was ist denn überhaupt da jetzt los?

Schöner und den Roman bereichernder sind allerdings Szenen, in denen sich die genau wie Boris’ Eltern und Johanna nach Island gereiste Boris-Freundin Ana-Clara und eben Johanna näherkommen. Diese Szenen zeugen von viel Poesie und Einfühlung, vom Wissen darüber, wie schwer es ist, mit der Verwirrung der Gefühle umzugehen. Wie es ist, sich von Kindheit und Jugend endgültig zu verabschieden und das Leben, das sich fürderhin in seiner ganzen Komplexität darstellt, akzeptieren zu müssen. Verstehen lässt sich in einem solchen Leben nie alles – und muss es auch nicht.

Jan Schomburg: Das Licht und die Geräusche. Roman. dtv, München 2017. 255 Seiten, 20 € (erscheint am 10. März). Ab 14 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false