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Auf dem Lotus-Thron. Videoinstallation von Shiva Ahmadi.

© Leila Heller Gallery, New York / Dubai

Iranische Gegenwartskunst: Die Kaiserin als Elefant

Ironie, Zynismus, Persiflage: Eine großartige Schau iranischer Gegenwartskunst in Friedrichshain zeigt Positionen zwischen radikaler Subjektivität und historischer Einordnung.

Wer in diesen Tagen Kunst aus dem Iran sehen will, findet sie noch nicht in der ursprünglich für Anfang Dezember geplanten Teheran-Ausstellung der Staatlichen Museen, von der man immer noch nicht weiß, ob sie kommt oder nicht. Sondern in Friedrichshain, in einem kleinen unabhängigen Projektraum mit dem Titel „BOX Freiraum“, der durch private Initiative entstanden ist. In dem unverputzten, rotbraunen Backsteinbau gab es gleich zur Eröffnung eine Podiumsdiskussion, bei der fünf beteiligte iranische Künstler von einem Moderator befragt wurden, ob sie die drohende Absage der Farah- Diba-Ausstellung mit all ihren Rothkos, Bacons und Rauschenbergs bedauerten. „Nicht wirklich“, meinte die Künstlerin Setareh Shahbazi. Und ihre Kollegin Anahita Razmi: „Ich und meine Freunde interessieren uns mehr für Gegenwartskunst.“

Iranische Kunst ist hip. Plötzlich schauen alle auf die Galerienszene Teherans. Aber auch in Friedrichshain kann man eine Menge lernen. Etwa: Wozu dient eigentlich der Schleier? Längst ist er zum Fetisch geworden, zum Schlachtfeld zwischen Feminismus und Islamismus. Doch er ist noch mehr. Eine Videoarbeit von Anahita Razmi zeigt seine Nützlichkeit im Falle eines Erdbebens. Man kann ihn als Helm gegen herabfallende Steine nutzen, man kann damit Verwundete zudecken oder den Schleier wie eine Fahne benutzen und heftig hin- und herschwenken, damit man von den Rettungskräften bemerkt wird. Eine freche Persiflage auf die religiöse Sinngebung des heiligen Stofffetzens. Und damit unterläuft die Künstlerin auch noch die Zensur.

Iranische Werke sind mit politischer Brisanz aufgeladen

Ironie und Zynismus inspirieren auch bei dem in Dubai lebenden Rokni Haerizadeh. Er stellt der angeblichen Seriosität der Nachrichtensendungen von CNN eine Art Comic Strip gegenüber. Das bekannte Gesicht der aus dem Iran stammenden CNN-Moderatorin Hala Gorani wird durch tausende kleine Filzstift-Interventionen verändert, die Sprecherin auf diese Weise zu einem schnurrenden Kätzchen. Auch so kann man sich die Nachrichtenlage vom Leib halten, die im Iran in den letzten Jahrzehnten fast nur aus Katastrophen bestand. Roknis Bruder, Enfant terrible Ramin Haerizadeh, der wegen seiner Respektlosigkeiten gegenüber der Islamischen Republik nicht mehr einreisen darf, degradiert in seinem Gemälde „Die Tomatenkönigin“ Farah Diba zu einer Art Ganesha mit Elefantenkopf, während der Schah daneben Tennis spielt. Der Künstler lässt das Land als wilde Collage in einem anarchischen Surrealismus durcheinanderpurzeln. Sich selbst inszeniert er im strengen schwarzen Gewand der Mullahs.

„Ich will keine politische Kunst zeigen, ich bin ja keine Aktivistin“, sagt die in München lebende Deutsch-Iranerin Anahita von Plotho, die engagierte Kuratorin der Schau. Allerdings sind die iranischen Werke, bei aller künstlerischer Qualität, überdeutlich mit politischer Brisanz aufgeladen. Sie sprechen für sich. Mal sind sie radikal subjektiv, mal entfalten sie ein historisches Panorama, das den ganzen Nahen Osten aufscheinen lässt – eine Welt auf 200 Quadratmetern.

„A Heritage Transposed“ ist zugleich regional und global politisch brisant. Im 19. Jahrhunderts gab es in Persien sogenannte „Coffee House Paintings“, große Malereien, die den Gästen von einem Erzähler erklärt wurden. In „The Last day of Judgement“ ist ein Tableau zu sehen, das stark an Hieronymus Bosch erinnert. Darin: Gruppen schreitender Engel und Teufelchen mit Riesenflügeln. In der aktualisierten Version von Shoja Azari ploppen plötzlich Videos auf: der Schah, Ayatollah Khomeini, der wahnsinnige, vom Westen finanzierte Krieg von Saddam Hussein gegen den sich gerade formierenden Ayatollah-Staat, Giftgas, Nasrallah, der Führer der libanesischen Hisbollah und viele andere Spieler in dem irren Trubel, in den das 20. Jahrhundert die ganze Region verschlagen hat. All das prallt in der Videocollage aufeinander, die der in New York lebende Shoja Azari zusammengemischt hat. Es ist die Welt, die uns heute als der vertraute gewalttätige Nahe Osten erscheint, der nicht denkbar ist ohne die vielen Kriege, die der Region von außen aufgezwungen wurden.

Integration als größter Raub an der Kindheit

Wie ist in einem solchen Land Kindheit überhaupt möglich? Damit beschäftigt sich die Künstlerin Setareh Shahbazi. Sie kam 1985 im Alter von sechs Jahren nach Deutschland. Ihre Kindheit aber blieb im Iran. Erst in den letzten Jahren hat sie sich von dort Familienfotos besorgt und arbeitet an einer Aufarbeitung der Erinnerung. „Es sind regelmäßig aus meiner Verwandtschaft Menschen umgekommen“, sagt sie. „Der Iran-Irak- Krieg war in Teheran angekommen. Es gab Bombenalarm, regelmäßig Schulausfall, rationalisierte Essenscoupons. All das haben wir als Kinder miterlebt. Diese großen politischen Ereignisse waren wichtiger, sodass mir die Erinnerung an persönliche Sachen wie Spielsachen flöten gegangen ist.“

Setareh Shahbazi will sich etwas davon durch die Kunst wiederholen. Sie bearbeitet alte Fotos, aber oft so, dass sie nicht mehr erkennbar sind, sondern sich zu Farbfeldern verdichten, die wie psychedelische Flashbacks wirken. „Spectral days“ nennt sie ihre Serie mit Arbeiten, die gleichzeitig abstrakt und sehr persönlich sind. Geradezu bestürzend sind allerdings die Erfahrungen, die sie in Deutschland gemacht hat. Die Integration hält die Künstlerin für den größten Raub an ihrer Kindheit. Ihre Familie habe in Deutschland versucht, deutscher zu sein als die Deutschen, sie habe sich alles Persische aus dem Leib gerissen – und dadurch den größten Teil ihrer Geschichte verloren: „Wenn ich an irgendeiner Stelle in meinem Leben sagen könnte, mir ist ein Teil meiner Kindheit verloren gegangen, ist das mehr durch den Integrationsprozess in Deutschland passiert, als durch das, was ich im Iran erlebt habe.“

BOX Freiraum, Boxhagener Straße 96, bis 25. Februar; Mi bis Sa 14–18 Uhr. Geschlossen am 24. und 31. Dezember

Werner Bloch

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