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Blutsbrüder. Pierre Brice mit Lex Barker und Götz George 1966 in „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“.

© DAVIDS/Bildarchiv Hallhuber

Interview mit Pierre Brice: "Die Sterbeszene gefällt mir am besten"

Im Berliner Kino Babylon-Mitte startet am Samstag eine Karl-May-Filmreihe. Ein Gespräch mit Winnetou-Darsteller Pierre Brice über Wild-West-Klischees und Karl Mays Kampf für die Menschenrechte.

Monsieur Brice, kannten Sie Karl May, als Ihnen 1962 die erste Hauptrolle als „Winnetou“ angeboten wurde?

Nein, ich hatte nie von Karl May gehört. In Frankreich war und ist er unbekannt. Wir hatten Bücher gelesen von Alexandre Dumas oder Jules Verne. Deswegen hatte ich auch erst nicht sonderlich Lust, das Angebot anzunehmen. Mir schien die Rolle von Old Shatterhand viel interessanter. Aber meine Freundin und meine Agentin hatten mich schließlich überzeugt, die Rolle anzunehmen.

Welches Buch von May haben Sie als erstes gelesen?

Ich glaube, das war „Der Schatz im Silbersee“. Später habe ich aber auch die anderen Winnetou-Bücher gelesen, dabei war es gar nicht einfach, französische Übersetzungen zu bekommen.

Und wie fanden Sie sie?

Mir hat gefallen, dass Karl May versucht hat, Werte zu vermitteln. Winnetou hat für Friede, Freiheit, Respekt und Menschenrechte gekämpft – wie ich auch.

Seit fünfzig Jahren hat die Figur des Apachen-Häuptlings Sie nicht mehr losgelassen. Selbst Ihre Autobiografie nannten Sie „Winnetou und ich“. Empfanden Sie nie Winnetou-Überdruss?

Aber nein, warum sollte ich? Jeder Schauspieler wünscht sich, Erfolg zu haben – und mit Winnetou hatte ich enormen Erfolg. Habe ich immer noch, meine Fans sind treu. Ich bekomme so viele Briefe und E-Mails, auch von Jugendlichen und Kindern, die die Karl-May-Filme kennen. Winnetou hat meinen Weg sicherlich beeinflusst. Vor Winnetou hatte ich auch Bösewichte und Mörder gespielt, das war nach den Filmen vorbei. Ich hatte meine Karriere gerade in Italien gut gestartet und war von der Fachpresse zum besten Schauspieler des Jahres gewählt worden. Und Winnetou hat mir einiges ermöglicht. Den Pierre-Brice-Hilfskonvoi 1995 zum Beispiel. Nur weil die Menschen Winnetou vertrauten, konnte ich zwei Millionen Mark Spenden sammeln, um Menschen, besonders Kindern, im Kriegsgebiet in Ex-Jugoslawien zu helfen.

Karl May starb vor 100 Jahren. Er war einer der produktivsten und erfolgreichsten Schriftsteller deutscher Sprache, aber auch ein Hochstapler und Zuchthäusler. Welches Bild haben Sie von ihm?

Karl May ist für mich ein Fantast, die Menschen haben seine Bücher verschlungen. Leider lesen ihn heute nicht mehr so viele junge Menschen. Das ist schade, weil sie nichts über die Werte erfahren, die Karl May seinen Figuren mitgegeben hat.

May ist erst 1908 als Tourist in die USA gefahren, lange nachdem er „Winnetou“ schrieb. Apachen hat er nie getroffen. Bestehen seine Erzählungen aus mehr als Klischees und Erfindungen?

Es ging in seinen Büchern, zumindest in seinen Winnetou-Romanen, nicht darum, einen Reiseführer zu schreiben, sondern eine Geschichte zu erzählen. Der Wilde Westen bietet die Kulisse, doch der Inhalt ist wichtig. Außerdem: Sie haben selbst gesagt, dass er einer der erfolgreichsten Schriftsteller Deutschlands ist, es scheint die Leser also nicht zu stören, dass er Amerika nicht kannte, als er die Bücher schrieb. Mich stört es auch nicht.

Karl May hat behauptet: „Ich bin wirklich Old Shatterhand, habe das alles erlebt“. Ist das lächerlich oder dreist?

Die Leute, die ihn kannten, wussten, dass es nicht wahr war. Er war ja eher klein und schmächtig und hat sich als Old Shatterhand wohl eher etwas lächerlich gemacht. Aber er hat doch niemandem damit geschadet, ich würde es also nicht als dreist bezeichnen. Er hatte einfach zu viel Fantasie, das ist keine Schande.

Pierre Brice über seine Lieblingsverfilmung eines Karl May-Buchs

Es gibt chauvinistische Untertöne in Mays Werk. Old Shatterhand beschreibt er als aufrechten, ehrlichen Deutschen im Gegensatz zu geldgierigen, verlogenen Angelsachsen. Hat Sie das gestört?

Nein. Ich habe es auch nie so gesehen. Er hat ja auch Winnetou als einen Edelmann beschrieben, und der war, wie Sie wissen, ein Indianer.

Haben Sie ein Lieblingsbuch von Karl May?

Nein, das kann ich nicht sagen. Hätten Sie mich nach meinem Lieblings-Winnetou-Film befragt, hätte ich geantwortet „Winnetou 3“. Die Sterbeszene gefällt mir am besten.

Karl May kritisierte das „Morden“ der Indianer, das „Erwürgen von Menschen, welche gut waren, den Weißen friedlich entgegenkamen und ausgelöscht wurden.“ War er ein früher Pazifist?

Wenn Sie so wollen, ja. Wie ich schon sagte, er schrieb von Werten wie Friede und Freiheit. Schauen Sie sich die meisten Western an, die vor den Winnetou-Filmen gedreht wurden. In fast allen waren die Indianer die Schlechten und die Weißen die Guten. Dabei haben die Weißen die Indianer ermordet und in Reservate gesteckt. Es war ein Genozid. Ich denke, dass es Karl May zu verdanken ist, dass sich die Menschen auch für die Indianer und deren wahres Leben interessieren.

Im Himmel, sagt Winnetou, gebe es keine Unterschiede mehr zwischen „den weißen und roten Kindern des Vaters“. Verstehen Sie diese Zuversicht?

Es ist die Konsequenz der Einstellung, dass es auch im Leben keinen Unterschied zwischen den Rassen gibt. Ich habe vor vielen Jahren eine Schallplatte aufgenommen, „Manitou“, darin geht es um das gleiche Thema: „Im Universum ist das Gesicht eines jeden Wesens gleich.“

Winnetou wird von Old Shatterhand zum Christentum bekehrt. Als er stirbt, erklingt das „Ave Maria“. Ist das nicht Kitsch?

Als ich in Elspe und in Bad Segeberg auf der Bühne als Winnetou gestorben bin, erklang auch das „Ave Maria“ als Hintergrundmusik. Es war sehr schön und hat die Emotionen, die wir im Spiel transportiert hatten, untermalt.

Sind Sie Christ?

Ja.

Gibt es „Ewige Jagdgründe“?

Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Aber um sich zu entfalten, braucht die Seele keine religiöse Struktur. Ich glaube an den individuellen Weg, zu Gott zu finden. Wer ist dieser Gott? Gott ist für mich ein Bewusstsein. Eine Kraft, die uns führt, die uns „den Schliff“ gibt. Aber dieses Bewusstsein muss für uns ein Gesicht haben. Für mich ist das Jesus. Jesus, der Mensch, der Einzigartige, der uns führt.

Der Franzose Pierre Brice, 83, ist seit 1962 als Winnetou in elf Kinofilmen und auf den Freilichtbühnen von Bad Segeberg und Elspe aufgetreten. Am Samstag, 24. 3., eröffnet er eine Karl-May-Filmreihe im Berliner Kino Babylon-Mitte (19 Uhr). – Das Gespräch führte Christian Schröder.

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