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Höllenhund. Denis Johnson (1949-2017) auf einem undatierten Foto.

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Interview Denis Johnson: "Wir leben in einer gefallenen Welt"

Zum Tod von Denis Johnson: der amerikanische Schriftsteller über Christentum, Willensfreiheit und Drogensucht - in einem Gespräch aus dem Jahr 2003

Von Gregor Dotzauer

Im Jahr 2003, als wir dieses Gespräch an einem finsteren Januarnachmittag im Berliner Hotel Savoy führten, war er als Schriftsteller hierzulande noch eine Entdeckung. Von Denis Johnson, 1949 als Sohn eines US-Offiziers in München geboren, gab es auf Deutsch nur eine unvollkommene Übersetzung seines Sroryreigens "Jesus' Sohn", einen eigentümlichen Geisterroman namens "schon tot" und den existenziellen Thriller "Engel". Wenig später galt er als einer der profiliertesten amerikanischen Erzähler. 2007 gewann er einen National Book Award für seinen Vietnam-Roman „Ein gerader Rauch“. Zuletzt erschien Anfang dieses Jahres sein Sierra-Leone-Roman "Die lachenden Ungeheuer". Nun erreicht uns über seinen Verleger Jonathan Galassi die Nachricht, dass er am Donnerstag im Alter von 67 Jahren gestorben ist. Das Interview erscheint hier zum ersten Mal online.

Mr. Johnson, Sie sind, wie Sie sagen, von einem "kriminellen Hedonisten zu einem Bewohner des Lebens mit Glauben an die Ewigkeit" geworden. Zwischen Schnaps und Heroin haben Sie so ziemlich jede Droge probiert, sich mit tausend Jobs herumgeschlagen und sind heute einer der angesehensten amerikanischen Erzähler. Das Ungewöhnlichste an Ihnen ist: Sie wollen als christlicher Schriftsteller verstanden werden. Haben Sie keine Angst, dass man Sie als einen jener Jesus-hat-mich-gerettet-Prediger missverstehen könnte?

Nun, ich predige nichts, und meine Bücher sind nicht der Versuch, meinen Überzeugungen Ausdruck zu verleihen. Deshalb habe ich auch keine Angst, missverstanden zu werden. Ich will nichts verkaufen. Und die meisten halten mich immer noch für einen Agnostiker. Die Menschen, über die ich schreibe, sind vulgär. Sie reden obszönes Zeug, und die meisten sind egoistisch und böse.  Meine Geschichten benutzen christliche Symbole, weil sich die Welt für mich mit ihnen am einfachsten ordnen lässt. Sie sind für mich die beste Erklärung dafür, dass wir in einer gefallenen Welt leben und dass wir erlöst werden wollen.

Um von einer gefallenen Welt reden zu können, muss man ein Paradies voraussetzen.

Anzunehmen, dass wir ursprünglich, wie es in der Bibel steht, für eine viel bessere Welt gemacht waren, aber uns abgekehrt haben - das erscheint mir nur vernünftig. Es ist die einzige Erklärung für den Wahnsinn auf Erden.

Sie reden von der Ursünde?

Ich glaube, dass sie in der Frühzeit des Menschen begangen worden ist. Es gibt einen Punkt, wo wir uns von der ursprünglichen Ordnung abwenden, zugleich ist es geradezu unvermeidlich, dass wir uns abwenden. Eine paradoxe Sache.

Ganz ohne theologisches Rückgrat scheint Ihr Spiel mit christlichen Symbolen nicht zu funktionieren.

Ich erzähle Geschichten, reihe Bilder aneinander und bearbeite so genau wie möglich das Material meiner Existenz. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte malen oder Skulpturen machen. Ja, am liebsten wäre ich Bildhauer, aber das habe ich nie gelernt, und wahrscheinlich hätte ich dafür nicht einmal Talent.

Immerhin nimmt das Titelgedicht Ihrer "Collected Poems" - "The Throne of the Third Heaven of the Nations Millennium General Assembly" - Bezug auf das gleichnamige Kunstwerk im Smithsonian Museum in Washington. In 14 Jahren einzelgängerischer Arbeit hat der Museumshausmeister James Hampton einen mysteriösen Altar aus 177 in Gold- und Silberfolie eingeschlagenen Müllobjekten gebaut. Gibt es auch eine krankhafte Spiritualität?

Vermutlich war Hampton geisteskrank. Aber das heißt nicht, dass das, was er ausdrückte, nicht wertvoll ist. Solange Hampton das Leben lebte, das er gewählt hatte und nicht zu seinem Arzt ging, um ihm zu sagen, hören Sie, da sind Stimmen in meinem Kopf, solange können wir das Ergebnis als Kunstwerk bewundern. Heute sagt man auch, dass Johanna von Orléans vielleicht schizophren war.

Hatten Sie sich jemals im Verdacht, dass Gott an die Stelle der Drogen getreten sein könnte?

Von einem Verdacht kann man da nicht reden: Ich weiß es. Es ist bekannt, dass Leute, die Drogen und Alkohol konsumieren, eine innere Leere auszufüllen versuchen. Der Tiefenpsychologe C.G. Jung hat sich damit ausführlich beschäftigt. Seiner Vorstellung nach ist der Alkoholiker religiös frustriert.  Er braucht eine Art spiritueller Umwälzung, eine neu ausgerichtete Persönlichkeit, um sich von seiner Sucht zu befreien.

Sie haben von sich gesagt, dass Sie für immer ein Junkie bleiben werden. Was bedeutet das?

Meine Persönlichkeit ist die eines Mannes, der glaubt, nie genug zu bekommen. Wenn Sie mir anbieten, für einen Dollar soviel zu trinken, wie ich will, möchte ich sofort wissen, was es für zwei Dollars gibt.

 Immer noch?

Ja, immer noch. Ich komme einfach nicht los davon. Wenn ich mir einbilde, etwas zu brauchen, nehme ich gleich das Doppelte und Dreifache. Sogar bei Aspirin. Wenn ich vier pro Stunde nehmen soll, nehme ich gleich noch vier für die Stunde zuvor.

 Gott trägt viele Namen

Gott trägt in Ihren Büchern viele Namen. Er ist der Allmächtige, die große Geduld, der Friedensschenker, der Schöpfer, der Formlose, die Fülle der Leere, derjenige, der das Netz der Erscheinungen knüpft. Obwohl das alles Bilder sehr unterschiedlicher Art sind, stehen sie doch für einen persönlichen Gott. Wie kann er all das Unglück auf Erden geschehen lassen?

Die einzige Antwort auf diese Frage ist, dass wir Menschen über einen freien Willen verfügen. Wenn wir Kriege anzetteln, Morde begehen, Drogen nehmen oder Sachen stehlen, dann deshalb, weil wir unsere eigenen Entscheidungen treffen können, selbst wenn sie uns zerstören. Gott wäre uns gegenüber unfair, wenn er uns darüber täuschen würde. Alles, was wir einander geben, wäre falsch - und alles, was wir ihm geben.

Eine der großartigsten Szenen in Ihrem Debütroman "Engel" erzählt, wie der Protagonist Bill Houston - ein Mann in der Todeszelle, nachdem er bei einem Banküberfall einen Wachmann erschossen hat - noch einmal den Sekundenbruchteil durchlebt, in dem er sich entschloss, den Abzug zu drücken. Er erkennt, dass er ebenso gut auch nicht hätte abdrücken können. Hatte er tatsächlich die Wahl?

Er glaubt, dass er die Wahl hatte, und das hält er sich im nachhinein zugute. Einen Großteil seines Lebens hat er sich wie eine Ratte durchs Labyrinth scheuchen lassen. Und in dem Moment, in dem er das Schrecklichste anstellte, was er nur anstellen konnte, hatte er ein einziges Mal die Wahl, es zu tun oder zu lassen.

"Engel" war eine fiktive Geschichte. Ihr jüngstes Buch, der Reportagenband "Seek", erzählt von der Wirklichkeit. 1990 sind Sie, wie Sie in "The Civil War in Hell" erzählen, in das vom Bürgerkrieg zerrissene Liberia gereist und haben dort Prince Johnson getroffen. Johnson, damals blutiger Herrscher über die Hauptstadt Monrovia, brüstete sich damit, er habe dem vorherigen Präsidenten Samuel K. Doe die Ohren abgeschnitten, ihn gezwungen, diese aufzuessen und das Ganze auf Video mitgeschnitten. Glauben Sie, dass Leute, die solche Grausamkeiten begehen, auch moralische Entscheidungen treffen?

Darauf hat wahrscheinlich niemand eine Antwort, nicht einmal Prince Johnson selbst.

In die Seele von Bill Houston haben Sie schauen können.

Es mag Momente geben, in denen wir keine Wahl haben, aber dann hatten wir sie vorher, und sie hat uns in eine Lage versetzt, in der wir keine Wahl mehr haben. Um einmal von mir zu sprechen: Wahrscheinlich gibt es kein Verbrechen, das ich nicht begangen hätte, wenn ich weiter Drogen und Alkohol konsumiert hätte. Man hätte mich dafür aber auch nicht ganz verantwortlich machen können, denn mit der Zeit wurde ich immer wahnsinniger. Aber es gab, sehr früh in meiner Entwicklung, eine bewusste Entscheidung, mich auf diese Drogen einzulassen.

In "Engel" zitieren Sie zweimal einen Vers von Wallace Stevens: "Der Tod ist die Mutter der Schönheit". Fühlen Sie sich deshalb vom Tod angezogen?

Nein, ich verstehe Stevens einfach so, dass wir Dinge höher schätzen, wenn wir sehen, wie sie schwinden und verschwinden. Die Idee des Todes vermittelt uns eine Idee von Dauer.

In Ihrem Roman "Fiskadoro" trifft der Tod fast die ganze Menschheit: Er spielt in einer postapokalyptischen Welt nach der nuklearen Katastrophe.

Die Apokalypse ist die beste Art und Weise, sich die persönliche Auslöschung vorzustellen. Wenn ich an meinen Tod denke, stelle ich mir das Zimmer, in dem wir gerade sitzen, ohne mich vor. Aber Sie sitzen noch hier, und der Tisch steht noch da. Am Ende der Welt ist niemand mehr von uns da.

Ihre Bücher werden ihrer spirituellen Intensität wegen zuweilen mit denen von Fjodor M. Dostojewski und Herman Melville verglichen...

... ich habe nicht einmal Melvilles "Moby Dick" ganz geschafft.

Was waren dann Ihre prägenden Leseerfahrungen?

Anton Tschechow, Isaak Babel, Flannery O'Connor, Eudora Welty, früher Robert Stone und Saul Bellow. Mich fesselt Jakov Linds Roman "Eine Seele aus Holz".  Auch "Die Blechtrommel" von Günter Grass hatte einmal großen Einfluss auf mich. Aber dann gibt es noch "Fat City", einen Roman von Leonard Gardner. Ein großartiges Buch. Ich war noch ein richtiger Kindskopf, als es 1967 herauskam. Später habe ich gemerkt, dass es "Engel" in vieler Hinsicht ähnelt, obwohl ich "Fat City" jahrelang nicht mehr in der Hand gehabt hatte: Gardners Haltung seinen Figuren gegenüber ist nachsichtig. Er ist weder sentimental, noch macht er sie besonders sympathisch. Er entwickelt einfach eine große Aufmerksamkeit für sie, und er urteilt nicht über sie. Das ist die Haltung, die ich auch gegenüber meinen Figuren habe.

Seit letztem Sommer sind Sie der play wright-in-residence am Santo Campo Theater in San Francisco.

Ich versuche, dort jedes Jahr ein Stück zu machen. Aber ich habe mich nur so nennen lassen, weil mir die Bezeichnung so gut gefällt. Wir machen gerade das dritte Stück zusammen. Das Theater hat mein Leben gewaltig verändert. Ich musste lernen, wie man mit anderen Leuten zusammenarbeitet, statt nur der große Chef mit dem Computer zu sein, um den herum meilenweit niemand ist.

Hat Sie das am Theater angezogen?

Es war die Chance, meine Figuren einmal lebendig zu sehen, wie sie herumlaufen und sprechen. Es wurde schnell die kreativste Erfahrung meines Lebens, als ich hörte, wie sie Dinge genauso sagten, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und plötzlich habe ich gemerkt: Vielleicht sind wir voneinander nicht völlig isoliert, wir können kommunizieren. Ich schreibe etwas, der andere liest es vor, und gemeinsam hören wir, was ich im Kopf hatte.

Sie verbringen also die meiste Zeit in Kalifornien?

Normalerweile verbringen meine Frau und ich ein halbes Jahr im Norden von Idaho und ein halbes Jahr in Arizona. Zwischendurch mache ich Trips nach Kalifornien und Chicago.

Wie muss man sich Ihr Leben in Bonner's Ferry, Idaho, vorstellen?

Wir leben 35 Meilen nördlich von Bonner's Ferry, mitten im Wald. Unser Grundstück grenzt an den National Forest, der sich über 200 Meilen erstreckt und in dem niemand wohnt. Es ist ziemlich einsam und leer dort draußen. Und dann haben wir noch eine Wohnung in Scottsdale, Arizona, mit einem Lebensmittelladen gegenüber, einen Block entfernt vom Apartment meiner Eltern. Ein völlig anderes Leben.

In mehreren Ihrer Texte, besonders in der Reportage "Hippies", schimpfen Sie auf den Aufbruchsgeist der 60er Jahre. Wollten Sie nie gegen Ihre Eltern rebellieren?

Ich fühle mich von der Flower-Power-Ideologie regelrecht abgestoßen. Wir waren die Generation, die im Weißen Haus einen Joint rauchen wollte, und die glaubte, dass es nie mehr Krieg geben würde, wenn wir nur endlich an die Macht kommen würden. Das ist doch alles Quatsch, Die Vereinigten Staaten sind das prüdeste Land, das es gibt. Man kann sich nicht mal mehr eine Zigarette anzünden, ohne gleich verhaftet zu werden. Und es ist meine Generation, die dafür verantwortlich ist. Wir wollten die Welt befreien, und jetzt halten wir es nicht aus, jemandem zuzuschauen, der seinen Spaß hat. Ich bin also sehr ärgerlich, und bei jeder Gelegenheit, die sich mir bietet, haue ich erneut in diese Kerbe. Wir sind eine Bande von Heuchlern, schlimmer, als es unsere Eltern je waren.

Das Gespräch führte Gregor Dotzauer.

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