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Matthew McConaughey reist in Christopher Nolans "Interstellar" durch ein Wurmloch.

© dpa

"Interstellar" von Christopher Nolan: Das Rätsel der Zeit

Christopher Nolans Science-Fiction-Drama „Interstellar“ ist eine Weltraumoper – und zugleich eine Hommage an Stanley Kubrick.

„Zeit ist eine Ressource“, heißt es einmal in „Interstellar“, da hat das Raumschiff Endurance, letzte Hoffnung der Menschheit, sein erstes fernes Ziel gerade erreicht. „Sie ist wie Luft und Wasser.“ Vor kurzem noch arbeitete Joseph Looper (Matthew McConaughey) als einfacher Farmer, so wie alle arbeitsfähigen Menschen, denn das Essen ist knapp geworden auf der Erde. Vor der Katastrophe war Looper Nasa-Pilot. Jetzt gibt es nicht mal mehr Flugzeuge.

Rätselhafte Zeichen, entschlüsselt von seiner aufgeweckten 13-jährigen Tochter Murph (Mackenzie Foy), führen ihn zu einer verborgenen Nasa-Basis, wo Professor Brand (Michael Caine) und seine Tochter (Anne Hathaway) ein Programm zu Erforschung lebensfähiger Planeten überwachen. Denn die Erde muss aufgegeben werden, und zwar bald. Looper wird Pilot des letzten Schiffes. Was er finden wird, wenn er wiederkommt – ob er wiederkommt –, ist ungewiss. Seine Tochter lässt er zurück.

Regisseur Christopher Nolan hat, wenn er nicht gerade mit „Batman“ beschäftigt ist, ein Faible für die visuelle Aufarbeitung abstrakter Ideen. In „Interstellar“ geht es ihm offenbar um die Zeit, verdichtet unter den verschärften Bedingungen der Raumfahrt. Und um das seltsame Talent der Menschen, über Raum und Zeit hinweg miteinander verbunden zu bleiben. Noch so eine abstrakte Idee: die Liebe.

Nolan wird ja oft vorgeworfen, seine Filme seien kalt. „Memento“, „Prestige“ oder „Inception“ – lauter narrative Tricks, bei denen die Protagonisten wie in einem Versuch unter Laborglas beobachtet werden. Das Drama, dass der Filmemacher im Leben seiner Figuren auslöst, bleibt oft unterbelichtet, so als sei es ihm egal. Vielleicht fehlen Nolan aber schlicht die Mittel, es zum Ausdruck zu bringen. Mit „Interstellar“ jedenfalls scheint er an diesem Makel arbeiten zu wollen. Der Film ist zwar eine Verneigung vor seinem Vorbild Stanley Kubrick und dessen „2001“, dem wohl einflussreichsten Science-Fiction-Film überhaupt. Das Vater-Tochter-Drama aber vor dem Hintergrund kosmischer Gewalten erinnert an Steven Spielberg („Krieg der Welten“).

Zeit ist kostbar, wenn man liebt

Manchmal gelingt der zärtliche Tonfall. Etwa wenn Cooper einen Planeten besucht, so nah am schwarzen Loch „Gargantua“, dass die Zeit extrem langsam vergeht, und er dann, als er den Planeten wieder verlassen hat, Video-Nachrichten seiner Familie aus 23 Erdenjahren aufarbeiten muss. Seine Tochter ist inzwischen so alt wie er. Zeit ist kostbar, wenn man liebt. Aber man merkt doch auch, dass Nolan sich auf unbekanntem Terrain bewegt. Manchmal schreckt er vor dem leisesten Anflug von Sentimentalität zurück, manchmal badet er geradezu darin, so als bekäme er die Dosierung nicht richtig hin. Solche Szenen wirken wie Inseln im Eismeer, sie sind zudem oft ideenlos geschrieben. Am selben Problem scheiterte schon Darren Aronofsky in seinem Zeitreisen-Drama „The Fountain“.

Es hilft natürlich, wenn man einen wie Matthew McConaughey in der Hauptrolle hat. Joseph Cooper ist einerseits ein leidenschaftlicher Flieger, der nach den Sternen greift, ein US-Held alter Schule (Südstaatenakzent inklusive). Aber er ist eben auch ein Weiß-Gott-wohin-Geworfener, der den ersehnten Heimweg nicht findet. Wagemutiger Teufelskerl und trauriger Odysseus – McConaughey bekommt beides erstaunlich gut unter einen Helm. Aber auch der Film möchte – mindestens – zwei Dinge auf einmal sein: zeitlose Space Opera und ein Rennen gegen die Zeit. Diese beiden Dinge sind allerdings schon etwas schwieriger zu verbinden, an den Nahtstellen stottert die Erzählmechanik.

"Interstellar" will ein feierliches Epos sein

Das wird deutlich, wenn man „Interstellar“ mit „Gravity“ vergleicht, Alfonso Cuaróns mehrfach Oscar-prämierten Film vom letzten Jahr. „Gravity“ war in seiner Schlichtheit brillant: ein kinetischer Space Thriller fast ohne Handlung über Körper und Kräfte in der Schwerelosigkeit. „Interstellar“ dagegen will feierliches, allumfassendes Epos sein, oft mit einer ähnlichen Wucht wie „Gravity“, aber eben nur als Teil eines großen, von Nolan erschaffenen Makrokosmos.

Und was für ein Kosmos das ist! Nolan und sein neuer Cinematograph Hoyte Van Hoytema („Her“) werfen starke Bilder auf die Leinwand, insbesondere im letzten Teil, wenn „Interstellar“, auch da ganz Kubrick verpflichtet, den Sprung ins Traumhafte wagt. Hier findet Nolan eine eindrückliche Visualisierung der Relativität von Zeit. So etwas kann er halt wie kein anderer: Geschichten als Rätsel erzählen und diese Rätsel dabei in Bildern erfahrbar machen, die wuchtig sind und originell, aber durchaus eingängig und leicht zu verstehen. Überhaupt scheint Nolan zu wissen, wie man Höchstleistungen aus seinen Mitarbeitern herausholt. Sogar Hans Zimmer liefert neben dem üblichen Orchestergestampfe diesmal auch schöne Musik; mal drängt das Orchester fiebrig auf den Höhepunkt zu wie bei Gustav Mahler, mal ruht die Zeit in Orgelklängen wie aus „Koyaanisqatsi“. Und manchmal ist es einfach: still.

Schade, dass alle Grandeur regelmäßig eingeholt wird von kleinlich-steifen Erklär-Dialogen, wie man sie eher in einer alten Star-Trek-Folge erwarten würde. Und von teils ärgerlich einfältiger Handlung. Drei Stunden lang ist man einen sehr weiten Weg gegangen mit Nolan, Cooper, der Schwerkraft und der Zeit. Der banale Schluss, ein Sturz aus der fünften Dimension in die Eindimensionalität des modernen Blockbusterkinos, tut da einfach nur weh. „Interstellar“ ist ein aufregender Film und in vieler Hinsicht ein Zeugnis großer Könnerschaft. Das Opus magnum aber, das Nolan hier erkennbar hat schaffen wollen, ist es nicht geworden.

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