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Trophäen und Domestiken. Ein Seidl’sches Tableau vivant von einer der Jagd-Urlaubsfarmen in Afrika.

© Neue Visionen

Im Kino: Ulrich Seidls Dokumentarfilm „Safari“: Die wahren Wilden

Wenn Menschen Tiere töten: Ulrich Seidls Dokumentarfilm „Safari“ zeigt Jagdtouristen in Afrika. Es ist ein schockierender, ambivalenter Film geworden - und einer seiner bisher stärksten.

Ein bisschen ist es wie Sex. Zuerst die Stille, die Erregung, das Anbahnen, sagt Ulrich Seidl. Dann die Erlösung, der Schuss, die gemeinsame Entspannung, die Nähe im Angesicht des toten Tiers. Der österreichische Filmemacher hat Jagdtouristen in Afrika begleitet: Ausgerechnet Seidl, der berühmt ist für seine statischen Kinobilder, geht mit der Handkamera auf die Pirsch. Geht eben nicht anders, wenn man die Jagd zeigen will.

In diesem Film wird Tieren Leid getan, auch das geht nicht anders. Vor den Augen des Zuschauers sterben Buschbock, Impala, Zebra, Gnu, Giraffe. Unglaublich, welche Würde eine ausgewachsene Giraffe ausstrahlt, wenn sie niedersinkt, man wird demütig vor der Natur. Erst recht, wenn die einheimischen Helfer den Kadaver später zerlegen, ein Kraftakt mit Knochensäge, Messern und Gummistiefeln in einem Meer von Blut und Bergen von Gedärm. Auch wenn einen ekelt: Selten hat man im Kino gesehen, was für ein gewaltiges Wunderwerk eine solche Kreatur eigentlich ist.

Der Sender Arte zögerte zunächst, sich an „Safari“ als Koproduzent zu beteiligen. Wegen der vor der Kamera sterbenden Tiere. „Auch ich musste es aushalten. Man stumpft auch nach mehreren Abschüssen nicht ab“, sagt Seidl. Und gibt zu bedenken, dass er ja auch schon Menschen in Nöten gefilmt hat, ohne zu intervenieren. „Ich bin kein Sozialarbeiter oder Tierschützer, der einschreiten sollte, sondern Filmemacher. Meine Aufgabe ist es, etwas zu zeigen, damit der Zuschauer vielleicht weiterdenkt.“ Bilder aushalten, einen Blick, einen Anblick, deshalb gibt es die Tableaux vivants mit Zentralperspektive. Und diesmal eben auch die pirschende Kamera von Wolfgang Thaler.

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Ulrich Seidl sitzt in der Rotunde im Obergeschoss des traditionsreichen Savoy-Hotels in der Fasanenstraße, Romy Schneider wohnte mal hier, ein Hauch Wien in Berlin. Der hohe Raum ist sonnendurchflutet an diesem Vormittag, die Stadt vor den Fenstern liegt hell und friedlich da. Seltsam, ausgerechnet hier über das Töten zu reden. Über Ausbeutung. Über das, was wir Menschen der Natur antun und unseresgleichen.

Im Jägerlatein wird das Töten kaschiert. Die Urlauber im Film, darunter eine vierköpfige Familie aus Österreich, sagen Stück statt Tier, Schweiß statt Blut. Wenn sie treffen, ist die Beute gezeichnet, wenn die Herde in der Nähe der sterbenden Giraffe ausharrt, stört das die Jäger. Bevor sie fürs Fotoalbum mit der erlegten Beute posieren, wird das Blut fein säuberlich weggewaschen. Bei der Arbeit am Film stellte Seidl erstaunt fest, dass so viel Verdrängung nur im Deutschen existiert. Bei der englischen Jagd wird Klartext gesprochen. Alles clean: Seidl nennt es „vorauseilenden Gehorsam gegenüber der öffentlichen Moral“.

Der Wiener Regisseur, Jahrgang 1952, leuchtet in seinen Dokumentar- und Spielfilmen seit jeher die Tabuzonen der westlichen Gesellschaft aus. Seidl ist ein Pfadfinder in sozialen, ethischen, religiösen No-go-Areas, ein Anti-Moralist, oder besser: ein Moralist der etwas anderen Art. Wegen seiner streng komponierten Filme stellt man ihn sich als einen Mister Gnadenlos vor. Aber wer ihn trifft, begegnet einem aufmerksamen, freundlichen Mann, einem, der an der eigenen Spezies verzweifeln könnte und nicht aufhört, sie begreifen zu wollen.

Schlechtes Image, gutes Geschäft

Deshalb fragte er das Ehepaar Ellinger, das in seinem letztem Film „Im Keller“ eben dort zu Hause vor ausgestopften Jagdtrophäen aus 15 Jahren Afrika-Urlaub sitzt, ob er mal mitkommen darf. Seidl fuhr auf die Jagdmesse in Salzburg, suchte nach Safari-Farmern, die ihm etwa das Drehen erlauben – zum Beispiel auf einer Lodge in Namibia –, und nach Hobby-Jägern, die ihrem Urlaubsvergnügen auch vor laufender Kamera nachgehen wollten. Der Jagdtourismus hat ein schlechtes Image und ist zugleich ein lukratives Geschäft. Im Film zählen die Ellingers die Kosten auf: Eine einfache Antilope wird mit 245, ein Gnu mit 615, ein Wasserbock mit 1400 Euro veranschlagt. Es gibt Preislisten für die Tiere der Savanne.

Warum, wollte Seidl wissen, töten Menschen Tiere, ohne dass sie auf deren Fleisch angewiesen sind? Was empfinden sie, wenn sie in den Ferien zweimal täglich zum Schießen losziehen, einmal vormittags, einmal nachmittags? Wichtiger noch: Warum verurteilt unsereins sie moralisch, während wir ohne zu zögern das abgepackte Supermarktfleisch aus der Massentierhaltung kaufen?

„Zu sehen, wie ein großes Tier zerlegt wird, das viele Blut, die Eingeweide, ist beklemmender, als wenn ein Haserl ausgeweidet wird“, meint Seidl. „Aber die Massentierhaltung ist das weit größere Verbrechen, die denkbar unwürdigste Zucht von Tieren, die nur gefüttert und mit Medikamenten vollgestopft werden, damit sie an einem von vornherein festgelegten Tag geschlachtet werden.“ Es sei leicht und berechtigt, gegen die Jagd zu sein. Aber man wird schnell kleinlaut, wenn man sieht, dass die Tiere in Afrika ein gutes Leben haben, bevor sie ins Visier der Jäger geraten. Ihr Fleisch ist Bio-Wild, sagt Seidl. Auch er hat auf der Lodge davon gegessen.

Die Abgrenzung wird schwer gemacht

Schon für „Paradies: Liebe“, den ersten Teil seiner „Paradies“-Spielfilmtrilogie, hatte Seidl in Afrika gedreht und von Sextouristinnen erzählt, vom Postkolonialismus und den Machtverhältnissen zwischen der sogenannten Ersten und Dritten Welt. „Das Thema Urlaub hat viele Facetten, der Zustand der ganzen Welt steckt darin“: Seidl wird jetzt leidenschaftlich. Der Zuschauer soll sich nicht allzu leicht abgrenzen können. Deshalb sind die „Safari“-Protagonisten keine Superreichen, Scheichs oder Russen, die auf Elefanten- oder Löwenjagd gehen, sondern ganz normale Leute, Rechtsanwälte, Polizisten, Rentner, die sich einmal im Jahr ein paar Abschüsse leisten und in der Ansitzhütte auch mal ein Nickerchen machen, von Fliegen umschwirrt.

Die Ellingers, der deutsche Anwalt, das weiße Farmerehepaar in Afrika, Herr Eichinger und Frau Hofmann mit ihren beiden erwachsenen Kindern, sie sitzen vor der nun wieder klassisch Seidl’schen unbewegten Kamera. Trophäen, Gewehre, Safari-Look: In stilisierten Jagd-Arrangements sprechen sie über das Zittern nach dem Schuss, über den Menschen, der die Natur und sich selbst abschafft, obwohl er die Krone der Schöpfung ist. Und über die Schwarzen, die ihren Staat nicht organisieren können und die schneller laufen, wenn sie denn wollen. Man erschrickt über den Rassismus, und man staunt über ihre religiös-philosophischen Ausführungen. Seidl wollte es genau so: ambivalent.

Die Schwarzen haben keine Stimme

Auch die schwarzen Jagdhelfer stilisiert Seidl in Tableaux vivants, in ihren ärmlichen Hütten oder davor. Sie blicken einen unverwandt an, sie reißen das Beutefleisch mit den Zähnen, sie bleiben stumm. Das hat ihm bei der Weltpremiere auf dem Filmfest Venedig den Vorwurf des Rassismus eingetragen. Warum bittet er die Weißen um Auskunft, nicht aber die Schwarzen? „Weil es genau so ist: Die Schwarzen haben dort keine Stimme“, begründet Seidl seine Entscheidung, das Publikum diesem Kontrast auszusetzen. „Sie sind ausgeschlossen, bleiben Helfer, obwohl sie besser jagen können als die Weißen. Sobald das Tier geschossen ist, fällt man sich um den Hals, küsst sich – und der Einheimische steht daneben. „Genau das wollte ich zeigen, einem weißen, westlichen Publikum. Warum ist es eine Provokation, dass sie so essen, wie sie essen?“, fragt Seidl zurück. „Ich überhöhe das, aber ich inszeniere es nicht.“

Ein Inbild der Ausbeutung, des Ressentiments: Die eigentliche Irritation ist das Weltbild der Weißen. Ulrich Seidl hat einen seiner bisher stärksten Filme gedreht. Er macht es einem wieder nicht leicht, das Kino reinen Gewissens zu verlassen.

Ab Donnerstag in 6 Berliner Kinos. OmU: Brotfabrik, Zukunft

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