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Halb Hirsch, halb Catwoman. Cate Blanchett als Schurkin Hela.

© Marvel Studios 2017

Im Kino: "Thor: Tag der Entscheidung": Jetzt aber schnell

Donnergott, runderneuert: An diesem Dienstag startet die schmissige Marvel-Produktion „Thor: Tag der Entscheidung“.

Von dem blonden Hünen mit dem Hammer und dem roten Cape, der in bühnenreifem Bass Drohungen ausstößt, ist Iron Man nicht sehr beeindruckt. Sieht aus wie „Shakespeare im Park“, meint er: „Ist Eure Mutter gewahr, dass Ihr mit Vorhängen spielet?“ Die erste Begegnung zwischen Thor und seinen künftigen Verbündeten in „Marvel’s The Avengers“ war schon sehr typisch. Der Sohn von Allvater Odin mag eine große Nummer in Asgards Göttergesellschaft sein. Aber auf der Erde haben Iron Man und Captain America das Sagen: Zwischen dem Erfinder in der digital vernetzten Rüstung und dem künstlich mutierten Supersoldaten wirkt Thor wie aus der Zeit gefallen, eine Ur- und Naturkraft, ein Typ, der mit seiner Waffe immer ein bisschen an Baumarkt denken lässt.

Der Donnergott war 2011, nach zwei erfolgreichen „Iron Man“-Filmen und einem gefloppten „Hulk“, ins Marvel Cinematic Universe getreten. Eigentlich sollte „The Mighty Thor“, der zur Urbesetzung der Avengers-Comics gehört, eine der Säulen des Projekts sein, das Marvels Superhelden in einer inzwischen auf rund 20 Titel angewachsenen Serie zusammenführt. Thor hob aber im Kino nicht so richtig ab.

Der Brite Kenneth Branagh hatte sein erstes Soloabenteuer in selbst für Comicverhältnisse bemerkenswert geschmacklosen Computerdekors – inklusive einer Götterburg aus goldenen Orgelpfeifen – als hysterisches himmlisches Familiendrama mit irdischen Comedy-Einlagen inszeniert und ein mäßiges Einspielergebnis erzielt. Ein zweiter Film, in dem sich der hübsche Effekt des Clashs zwischen dem mythisch-mittelalterlichen Thor und unserer Fast-Food-Moderne bereits abgenutzt hatte, wurde als Pausenfüller wahrgenommen – die wichtigen Ereignisse im Leben der Avengers, Kämpfe gegen Nazis und militärisch-industrielle Syndikate, spielten sich anderswo ab.

Der eigentliche Star: Tom Hiddleston als Thors Bruder Loki

Dazu kam, dass der australische Thor-Darsteller Chris Hemsworth trotz seines jungenhaften Charmes und eines Pin-upKörpers nicht einmal der Star in seinen eigenen Filmen war. Die überraschendere Karriere machte Tom Hiddleston als Thors Adoptivbruder Loki. Dunkel, schmal, exotisch und neurotisch, in allem der Gegenentwurf zum Modell Thor, stieg Loki nicht nur zum beliebtesten Marvel-Kinoschurken auf, sondern wurde ein Popphänomen – der „meme-igste“ Typ des Webs mit gehöriger ironischer Groupie-Aktivität und einer passionierten Gefolgschaft weiblicher Medienfans.

Thor sei der langweiligste Held im Marvel-Pantheon, fasste die „New York Times“ die Lage zusammen. Für „Thor: Tag der Entscheidung“ musste ein neues Konzept her. Und man kann sich vorstellen, wie ein frustrierter Chris Hemsworth mit dem 42-jährigen Regisseur Taika Waititi, einer ziemlichen eigenwilligen Wahl, seine Imageprobleme diskutiert hat. Du hast doch in Neuseeland diese zauberhaften Maori-Jugendfilme gedreht und mit „5 Zimmer Küche Sarg“ gepunktet, als wir längst dachten, Vampire wären ausgelutscht. Dein durchgeknallter Witz hat Kultqualität, du bist kreativ und ziehst dich hip an. Was kannst du für mich tun?

Man muss den Einfluss von Quereinsteigern wie Waititi auf eine gut geölte Blockbustermaschine wie die von Marvel nicht überschätzen. Aber eine gewisse Handschrift scheint sich doch abzuzeichnen. Waititi hat Thor einen Kurzhaarschnitt verpasst, ein paar alte Gefährten mit unhippen Klamotten aus dem Weg geräumt, den für die Marvel-Filme typischen, aktuell bei den „Guardians of the Galaxy“ angesiedelten Humor dynamisiert und den Zauber von Loki gebrochen, indem er praktisch jeden seiner Auftritte mit einem Wimmern enden lässt.

Thor und Hulk, es ist eine Buddy-Geschichte

„Thor: Tag der Entscheidung“ spannt den Helden mit Mark Ruffalos erotisch weniger konkurrentem Hulk zusammen: in einer Art Buddy-Geschichte, die Elemente aus verschiedenen Comiczyklen aufnimmt und vorwiegend auf fernen Planeten spielt. Gelegentlich verweist der Film auf die epische Handlung, die im Hintergrund der Kinoserie läuft und im nächsten Avengers-Ensemblestück apokalyptisch kulminieren wird.

Die Idee allerdings, man könne die Tropen und Metaphern des Superheldenfilms in einen sinnhaften Zusammenhang bringen, weist der neue „Thor“ entschlossen von sich: Das hier ist eine reine Space-Revue, in die viel popkulturelles Kapital geflossen ist, mit schönen Vintage-Accessoires und blendend aufgelegten Schauspielern – Tessa Thompson als Valkyrie, Jeff Goldblum als Unterhaltungsdiktator, Taika Waititi in einem Motion-Capture-Anzug und mit Hemsworth selbst, der sein bemerkenswertes komisches Potenzial sichtbar glücklich entfaltet.

Dass der Film lustig, aber selten lächerlich wirkt, liegt am Timing, das in den betont unpathetischen Schnellfeuerdialogen wie in der visuellen Montage nahezu perfekt ist. Kein Bild steht so lange, dass man Zeit hätte, darüber nachzudenken, ob das postmoderne Ironie, Travestie oder bloß doof ist. Weder ein an den Balrog aus dem „Herrn der Ringe“ erinnernder Flammendämon noch der aus Hirsch und Catwoman kombinierte Kopfputz von Cate Blanchetts ziemlich klischeehafter Schurkin Hela und noch nicht einmal die unvermeidlichen asgardischen Orgelpfeifen haben Gelegenheit zu nerven.

Walküren zwischen Wolkenformationen

Besonders gelungen: der tranceartige Luftkampf einer Walkürentruppe zwischen barocken Wolkenformationen – eine wundersam schillernde Kitschblase, die aufblüht und gleich wieder in sich zusammenfällt.

Und so geht es im Grunde mit dem ganzen Film. Waititi hat das Kunststück fertiggebracht, aus dem schwergängigen Thor-Stoff eine der schmissigsten Marvel-Produktionen zu machen. Das Problem ist nur: dass hier niemand Probleme hat. Oder Gefühle. Jedenfalls keine, die nicht in ein paar Sätzen oder mit zwei, drei Schnitten in einem Gag aufgelöst, in ein Kichern überführt würden.

Irgendwo im Mittelteil des Films wähnt man sich auf einer Fan-Convention, komplett mit Hulk-Cosplayern. Tatsächlich aber wird die emotionale Beziehung verraten, die den Hardcore-Fan auch an misslungenere Superheldengeschichten bindet. Sogar die fahrig herbeierzählte Katastrophe, die sich im grandiosen, der nordischen Sagenliteratur entlehnten Originaltitel „Ragnarok“ andeutet, ist hier ein Witz, wie ein Comickritiker meinte. „We ragnaroked Thor’s hair“, hat Taika Waititi gesagt. Okay, kann man mal machen.

Ab Dienstag in 21 Berliner Kinos. OV: Cinestar Sonycenter, Rollberg (auch OmU)

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