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Apokalypse auf Rädern. Nach 18 Jahren dieser ewigen Zugfahrt kommt es zur ersten Revolte. Gedreht hat der koreanische Regisseur den Film in Tschechien.

© dpa

Im Kino: "Snowpiercer": Die letzte Reise der Menschheit

Ein Zug rast um die verschneite Erde, bis ans Ende der Tage: Der Südkoreaner Bong Joon-ho hat einen großartigen Sci-Fi-Thriller auf Grundlage eines Comics gedreht. Zu mutig, fand sein US-Produzent Harvey Weinstein.

Am Ende musste er sich geschlagen geben. Über ein Jahr hatte Produzent Harvey Weinstein sich geweigert, die Comicverfilmung „Snowpiercer“ in voller Länge ins Kino zu bringen. Und das, obwohl die Empörung bei all jenen, die den Film in der Originalversion gesehen hatten, immer lauter wurde.

„Es war ein langer, komplizierter Prozess“, so der koreanische Regisseur Bong Joon-ho im Gespräch, „mit vielen Testvorführungen, Schnitt-Sitzungen und Gesprächen.“ Aber anders als viele andere Filmemacher, die mit Weinstein zu tun hatten, blieb Bong standhaft. Er opferte dafür sogar die Aussicht auf einen internationalen Kassenerfolg: Aus reinem Trotz bringt Weinstein den Film in englischsprachigen Ländern zwar unverfälscht heraus, liefert ihn aber nur an Arthouse-Kinos.

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Das ist schade und grausam. Denn „Snowpiercer“, der auf der Berlinale seine Europa-Premiere feierte und nun in die deutschen Kinos kommt, hätte ein großes Publikum wahrlich verdient. Der Science-Fiction-Thriller erzählt die Geschichte eines Zuges, der in unendlicher Bewegung um eine zugefrorene Erde rast und auf seiner immerwährenden Fahrt die letzten Reste der Menschen beherbergt. Sie sind aufgeteilt in eine herrschende Gruppe (vorne) und eine arme Unterklasse (hinten). Im 18. Jahr kommt es zur Revolte, widerwillig angeführt von Curtis (Chris Evans). Er will die Spitze des Zuges einnehmen. Dort residiert Wilbur, der sagenumwobene Erfinder des Perpetuum mobile und Alleinherrscher der letzten Menschen.

Es ist nicht das erste Mal, dass der 44-jährige Koreaner sich einen Genrestoff greift und nach eigenen Vorstellungen umbaut. „Ich nehme mir gar nicht vor, Genre-Filme zu drehen, die den Rahmen sprengen“, sagt er. „Es ist ein natürlicher Prozess. Ich entwickle Ideen und Figuren – und am Ende bin selbst überrascht, was daraus geworden ist.“

Gut möglich, dass Bongs Jugend dabei eine Rolle spielt. In den 70er Jahren, Süd-Korea war eine Militärdiktatur mit konservativer Moral und Zensur, gab es nur eine kleine Insel des Verpönten: das American Forces Korean Network, ein TV-Sender für die im Land stationierten US-Soldaten. Dort war zu sehen, was sonst verboten war, Horror, Thriller, Exploitation. Freitagnachts, wenn alle schon schliefen, schlich Bong sich vor den Fernseher, schaute Filme von Brian de Palma, John Carpenter und viele B-Movies, gerne auch Erotisches.

Anführer der Revolte ist Curtis (Chris Evans, 2.v.l.). Ebenfalls mit von der Partie: Jamie Bell (3.v.r). Aufwändig gedreht und mit internationalen Stars besetzt, ist "Snowpiercer" der teuerste koreanische Film aller Zeiten. Er kostete 40 Millionen Dollar.
Anführer der Revolte ist Curtis (Chris Evans, 2.v.l.). Ebenfalls mit von der Partie: Jamie Bell (3.v.r). Aufwändig gedreht und mit internationalen Stars besetzt, ist "Snowpiercer" der teuerste koreanische Film aller Zeiten. Er kostete 40 Millionen Dollar.

© MFA

Von wem diese Filme stammten, das wusste er nicht, auch nicht unbedingt, worum es ging: AFKN strahlte ohne Untertitel aus. „Ich saß vor dem Fernseher wie ein Entdecker. Von manchen dieser Filme kenne ich heute noch alle Einstellungen. Aber die Handlung zu den Bildern musste ich selbst erfinden“, erinnert sich der Regisseur. „Ich glaube, das hat meine Kreativität beflügelt.“

Bong hat das Genre-Kino also schon beim Erstkonsum im Kopf neu erschaffen – ohne von steifen Dialogen oder dünnen Storys belästigt zu werden. Wahrscheinlich gelingen ihm deshalb heute Filme, die sich an Genres anlehnen, aber die Handschrift eines Autorenfilmers tragen. So hat er etwa einen Monsterfilm in eine grotesk-traurige Familienkomödie verwandelt („The Host“).

Es lohnt sich, „Snowpiercer“ mit einer anderen aktuellen Dystopie zu vergleichen, mit „Elysium“ von Neill Blomkamp. Auch in diesem Film schottet sich eine reiche Minderheit in einer faschistischen Weltordnung von einer armen Unterschicht ab. Während „Elysium“ aber in den Stereotypen düsterer Science-Fiction stecken bleibt, wie sie seit „Blade Runner“ und „Alien“ wiederholt werden, ist „Snowpiercer“ frisches, aufregendes Kino. Und dabei keineswegs weniger finster.

Schon die Wahl der Vorlage – ein französischer Comic von Jacques Lob, Jean-Marc Rochette und Benjamin Legrand, den Bong Joon-ho zufällig entdeckte – war ein Glücksgriff. Science-Fiction hat ja in der Regel zwei Orte, die tiefe Leere des Alls, oder die futuristische, gerne patinabehaftete Architektur einer Metropolis. In „Snowpiercer“ wird nun das Innere eines rasenden Zuges zur Welt, die Abteile ersetzen das Labyrinth der Großstadt. Es gibt wenig Raum für die, die dort leben. Aber viel Raum zur freien Gestaltung.

Zahllose Waggons wurden konzipiert und wieder verworfen, schließlich wurden 26 am Set aufgebaut. Da gibt es die an Charles Dickens erinnernden ärmlichen Abteile der Unterschicht, das Gefängnis, die Wasseraufbereitung, ein Aquarium und Restaurants, Schule, Disco, Spa, Sushi-Bar, Herrenschneider ... „Der Handlungsort ist sehr konzentriert und es gibt nur eine Richtung. Jedes Abteil muss eine Etappe sein auf dem Weg nach vorne,“ so Bong. Die Lokomotive selbst ist der Motor, Wilbur, der Erfinder des Zuges, haust einsam darin wie im Inneren eines Wals.

Viele Ideen, so Bong, entwickelte er gemeinsam mit Konzept- und Produktionsdesignern in Tschechien, wo der Film auch gedreht wurde. „Snowpiercer“ ist mit einem Budget von 40 Millionen US-Dollar Koreas bislang teuerster Film und obendrein eine ausgesprochen internationale Produktion – mit Tilda Swinton, John Hurt, Jamie Bell und Ed Harris neben südkoreanischen Stars. Es wird auch Japanisch, Deutsch und Französisch gesprochen.

Ist das die Herausforderung, die ein Regisseur braucht, der in Asien schon alles erreicht hat? „Ich hatte nicht vor, international zu drehen“, gesteht Bong Jong-Hoo. „Aber der Zug ist wie die Arche Noah, er beherbergt die letzten Menschen. Daraus ergab sich die Sprachenvielfalt.“ Und warum nicht gleich in Hollywood drehen? „Wenn ich eine Idee habe, will ich sie auch genau so umsetzen. Der Einfluss von Finanziers und Produzenten, wie man ihn in Hollywood erlebt, ist nicht mein Fall.“

Es ist schon ein Kunststück, derart viel Liebe zum Detail, zahlreiche kleine, exzentrische Ideen sowie politische Satire und schwarzen Humor so miteinander zu verbinden, dass ein aufregender, packender, am Ende sogar rührender Thriller dabei herauskommt. Und: „Snowpiercer“ überrascht bis zum Schluss. Je näher die Revolte ihrem Ziel kommt, desto mehr entpuppt sich der Film als nachtschwarze Parabel über den Sinn von Revolutionen.

In 9 Berliner Kinos. OmU: Hackescher Markt, International, Rollberg, OV im Cinestar Sony-Center

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