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Im Kino: Porträtfilm „Beuys“: Windstärke 12

Alleskünstler, Andersdenker: Andres Veiels Porträtfilm „Beuys“ ist eine Hommage an den Menschen hinter der Kunst, der aneckte, begeisterte - und Nachkriegsdeutschland durcheinander wirbelte.

„Wollt Ihr eine Revolution ohne Lachen?“, fragt der Talkshowgast ins Publikum, um die Frage gleich zu beantworten. „Ich nicht. Ich will auf meine Kosten kommen.“ Joseph Beuys (1921–1986) vereint mit einem breiten Grinsen die Gegensätze Revolution und Spaßhaben. Allein wie ihn seine Mitdiskutanten auf dem Podium dabei miesepetrig betrachten, reizt schon zum Lachen.

So viel Schwarz-Weiß-Fernsehen, so viel ausgebreitetes Fotomaterial war selten in einem Künstlerfilm in den letzten Jahren, ebenso schallendes Gelächter, in das der Porträtierte immer wieder ausbricht. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Andres Veiels Dokumentarfilm „Beuys“: hier die die nüchterne Betrachtung eines Stücks bundesrepublikanischer Zeitgeschichte, dort die emphatische Umkreisung einer schwer greifbaren Persönlichkeit. Beuys schien eigentlich endgültig begraben zu sein, wären da nicht die großen Ausstellungen 2008 im Hamburger Bahnhof in Berlin und 2010 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf gewesen, denen doch eines immer fehlte: die Vitalität von Beuys, der durch seine unmittelbare Präsenz immer auch die Kunst belebte.

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Diesem umwerfenden Redner, Prediger, Selbstdarsteller, Menschenfänger und Laienpolitiker hat Andres Veiel ein Denkmal gesetzt, indem er zusammen mit seinen beiden Editoren Stephan Krumbiegel und Olaf Voigtländer einen Film aus O-Tönen und Originalbildern schuf, gesampelt aus hunderten Stunden Film- und Audioaufnahmen. Es klicken Kameraverschlüsse, Scheinwerfer werden knisternd eingeschaltet, auf den Tonbändern rauscht es. Nicht nur mit der Soundregie geht Veiel in vordigitale Zeiten zurück, auch mit der Inszenierung seiner Bilder. Splitscreens werden eingesetzt, Fotos hintereinander geblendet, Einzelbilder sind auf Kontaktbögen rot umkreist, dem Material ist das Alter anzusehen. Mit seiner dynamisierten Collage findet der in Berlin lebende Regisseur zu einer ganz eigenen Form des Dokumentarfilms, die sowohl der Medialität der damaligen Zeit gerecht wird als auch für heutige Sehgewohnheiten Tempo besitzt.

Dabei entsteht das Bild eines Menschen, der bei aller Kommunikativität den meisten Zeitgenossen ein Rätsel blieb, mochte seine Botschaft von der Kraft menschlicher Kreativität auch noch so eindeutig, sein Einsatz für die Sache noch so unermüdlich sein. Beuys wollte das Modell Kunst als „soziale Plastik“ auf die Gesellschaft übertragen, den Demokratiebegriff radikalisieren. Das kam nicht gut an: nicht im Kunstbetrieb, schließlich wollte der Handel mit seinem Werk verdienen, nicht an der Düsseldorfer Akademie, wo er seit 1961 lehrte, nicht bei den Grünen, zu deren Gründungsmitgliedern er gehörte.

Nachdenklich, rätselhaft. Beuys in der WDR Sendung "Zeitgeist-Maschine" im Jahr 1986.
Nachdenklich, rätselhaft. Beuys in der WDR Sendung "Zeitgeist-Maschine" im Jahr 1986.

© WDR

Würde der Film nicht Beuys’ heitere Gelassenheit zelebrieren, könnte man diese Stationen auch als Spießrutenlauf lesen. Immer wieder eckt er in Diskussionen an. Mit seiner Kunsthochschule und schließlich dem nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister kracht es ebenfalls, weil der leidenschaftliche Lehrer gemäß seinem „erweiterten Kunstbegriff“ auch all jene Studenten aufnehmen wollte, die nicht zugelassen worden waren. 400 Schüler zu viel – die Folge war Beuys’ Entlassung aus der Akademie. Auch die Grünen kamen mit dem „Fundi“ Beuys nicht zurecht und stellten den Gefolgsmann Rudolf Steiners prompt als Kandidaten kalt.

Veiel begeistert sich an diesem rastlosen Promoter eigener Ideen, dem Performer und Schamanen, der einem Hasen die Kunst erklärt und sich in New York drei Tage mit einem Kojoten einsperren ließ. Doch irgendwann ermüdet Beuys’ missionarischer Eifer, mag er noch so sympathisch erscheinen durch sein keckerndes Lachen und mag seine Weitsicht für wirtschaftliche Entwicklungen noch so erstaunen, die wir heute mit der Globalisierung erleben. Der Künstler erkannte sehr genau, wohin die Geldströme fließen, wenn sie der demokratischen Kontrolle entzogen sind. Mit seinem etwas anderen Kapital-Begriff plädierte er für ein bedingungsloses Grundeinkommen – jetzt wieder hochaktuell.

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Veiels Hommage, die bei der Berlinale im Februar Weltpremiere feierte, gilt vor allem dem vehementen Andersdenker und charmanten Rhetoriker. Umso deutlicher wird eine Lücke spürbar: Neben den virtuos montierten Originaldokumenten und wenigen Talking Heads kommt die Kunst selbst kaum vor. Sie befände sich heute wie eingesargt in den Museen, beklagt der Regisseur – weshalb er die Fettecken und Filzrollen weitgehend ausspart, erst recht das zeichnerische Werk, das vielen als Beuys’ eigentliches Vermächtnis gilt. Die Präsenz seines Schaffens im aktuellen Ausstellungsbetrieb fehlt dadurch. Beuys’ heutige Relevanz als Künstler interessiert Veiel leider nicht.

So erscheint Beuys wie eine verlorene Figur, die einer schwarz-weißen Vergangenheit entsteigt. Das Messianische seiner Person befremdet heute. Veiel, der Psychologe unter den Dokumentaristen, fragt sich in all seinen Filmen, warum die Nachkriegsrepublik wurde, was sie ist, und was Menschen antreibt: Warum einer aus seiner Klasse sich das Leben nimmt und er nicht („Die Überlebenden“), warum einer Terrorist wird („Black Box BRD“, „Wer wenn nicht wir“). Auch Beuys will er ergründen und findet eine Erklärung für dessen Werk in den Todeserfahrungen, die ihn erst recht für seine Ideen glühen ließen, ob als Künstler oder sozialer Vorkämpfer. Durch den traumatischen Absturz als Kriegsflieger bei den Tartaren, die ihn der Legende nach mit Filz und Fett heilten, fand er zu seinem Material. Aus der Depression holte ihn die bodenständige Bäuerin van der Grinten heraus, die ihn beschwor, sein Talent nicht wegzuwerfen. Der Herzinfarkt in den Siebzigern bricht ihn fast – Beuys rafft sich trotzdem auf.

Auch die fünf im Film befragten Wegbegleiter – die Kunstkritikerin Caroline Tisdall, die grüne Kombattantin Rhea Tönges-Stringaris, der Sammler Franz Joseph van der Grinten, der Schüler Johannes Stüttgen und Klaus Staeck als Reisemarschall – versuchen bis heute, den Drive des bewunderten Visionärs zu verstehen. Geltungsbedürfnis, Weltverbesserungswahn? Veiel, Jahrgang 1959, hat sich in seiner schwäbischen Jugend davon anstecken lassen. Die Verbindung zum Publikum stellt sein Film trotzdem nicht her. Das Mitreißende ging mit Beuys, er fehlt weiterhin seinem Werk, mögen seine Thesen auch da und dort wiederkehren.

Von einem Reporter nach seiner Popularität – in Windstärke gemessen – befragt, antwortet Beuys mit „Hurrikan“. Und lacht, über sich selbst.

Ab Donnerstag in 6 Berliner Kinos: Delphi, Hackesche Höfe, International, Union Filmtheater, Yorck. OmenglU: Babylon Kreuzberg

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