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Zwitterwesen. Scarlett Johansson ist als Cyborg mit Punkfransen und Bomberjacke im Auftrag der Regierung unterwegs. Ein Datenterrorist tötet Wissenschaftler.

© Paramount Pictures

Im Kino: "Ghost in the Shell": Halb Maschine, halb Diva

Scarlett Johansson spielt in der Verfilmung des Anime-Klassikers „Ghost in the Shell“ einen Cyborg mit Lizenz zum Töten – und lässt das All American Girl endgültig hinter sich.

Es hat alles ganz harmlos angefangen. In den Nullerjahren war sie das planlose, sinnlich-träge Mädchen in Sofia Coppolas „Lost in Translation“, die Blondine mit Schmollmund in Woody Allens „Vicky Cristina Barcelona“ – eine schöne Projektionsfläche.

Heute hält Scarlett Johansson als kickboxende Schwarze Witwe an den Kinokassen die Stellung neben den Alphamännern aus dem Marvel-Universum. Und stürzt sich mit schwarzen Punkfransen und Bomberjacke in die Schluchten einer futuristischen Megacity, um im Regierungsauftrag die Agenten eines finsteren Hightechkonzerns zu vermöbeln: In „Ghost in the Shell“, dem Realfilm-Remake des gleichnamigen Anime-Klassikers, tritt Johansson die Nachfolge Robocops an – als Cyborg, eine Maschine mit menschlichem Gehirn. Eine seltsame Karriere.

Das Original von Mamoru Oshii war Mitte der Neunziger mit seiner aufregenden Mischung aus Zeichnung und computer generated imagery bahnbrechend. Der Film trug dazu bei, das Anime im Westen durchzusetzen und lieferte mit seiner Protagonistin Motoko Kusanagi das ikonische Bild einer Utopie, die die feministische Theoretikerin Donna Haraway in ihrem „Manifest für Cyborgs“ ein paar Jahre zuvor ironisch-spielerisch entfaltet hatte: die Idee, dass wir im kybernetischen Zeitalter mit der Biologie auch die daran geknüpften gesellschaftlichen Zumutungen hinter uns lassen könnten. Der Cyborg-Körper, in dem der menschliche Geist wie eine Software frei wählbare Ersatzteile vernetzt, markierte demnach das Ende ethnischer, Klassen- und vor allem Geschlechterunterschiede.

Dass die Besetzung der Hauptrolle in den USA eine neue Debatte über politische Korrektheit ausgelöst hat, ist aber nicht nur deshalb ein Witz. Es gibt kaum ein künstlicheres, sozial und ethnisch unspezifischeres Genre als das Anime mit seinen großäugigen, grün- und rosahaarigen, oft sogar sehr blonden und allemal die Schwerkraft verachtenden Figuren.

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Scarlett Johansson hat ihre natürliche Haarfarbe vermutlich auch schon lange nicht mehr gesehen. Sie bringt eine gewisse Legitimation für „Ghost in the Shell“ mit, weil sie in ihren jüngsten Rollen eine transhumane Entwicklung zu durchlaufen scheint. In Spike Jonzes „Her“ lieh sie ihre Stimme einer intelligenten Software. In Luc Bessons „Lucy“ mutierte sie auf Drogen vom Jeans-Mädchen zur unbesiegbaren Superfrau auf High Heels, um sich am Ende in einer Wolke aus Cyber-Eso-Kitsch aufzulösen. Und in „Under the Skin“ von Jonathan Glazer unterwanderte sie als mysteriöses Alien die zerfallende, spätkapitalistische Männergesellschaft. Sie räumte nicht nur mit ihrem Image auf, sondern auch gleich mit dem Zwang zur Selbstoptimierung, der die Kehrseite der Vorstellung von der Weiterentwicklung der Spezies Mensch durch Hightech bildet: In einer Nacktaufnahme zeigte sie das Unperfekte und Vergängliche ihres Körpers.

Die Technik-Begeisterung des alten „Ghost in the Shell“, mit seinem sakralen Score eher ein Hochamt als Science-Fiction, kann der neue denn auch nicht mehr teilen. Hier bekommt der abstrakte Plot eine psychologische Dimension: Auf der Suche nach einem mysteriösen Datenterroristen wird sich Motoko ihrer menschlichen Sehnsüchte bewusst.

Regisseur Sanders nimmt die Wendung „Kunst ist eine Explosion“ wörtlich

Zugleich aber stellt Regisseur Rupert Sanders seinen Figuren eine fantastische digitale Spielwiese zur Verfügung: Mit seiner chaotischen Stadtarchitektur und der hypertrophen Action, die alle Vorzüge von 3-D auskostet, nähert sich der „Realfilm“ dem Anime, das die Wendung „Kunst ist eine Explosion“ gern wörtlich nimmt, so nahe wie irgend möglich an.

Dazu passt, dass man sich nie ganz sicher sein kann, was an Johanssons Figur noch echt und was schon computergeneriert ist. Sie spukt durch den Film als Zwitterwesen, die sanften Kurven von kühler Kunsthaut überzogen: eine Ahnung von Hollywooddiva, aber mit dem ruppigen Gang eines auf Krawall gebürsteten Jungen. Das Beste beider Welten. Ein Übergangsstadium jedenfalls. Es wird hoffentlich nicht Scarlett Johanssons letzte Metamorphose gewesen sein.

In 24 Berliner Kinos, in 5 Kinos in OV, OmU im Kino Hackescher Markt

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