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Das Kostüm ist ihre Rüstung. Starlobbyistin Miss Sloane (Jessica Chastain) legt sich mit der Waffenindustrie an.

© K. Hayes/Universum

Im Kino: „Die Erfindung der Wahrheit“: Krieg ist ihr Geschäft

Oscarreif: Jessica Chastain spielt in John Maddens Thriller „Die Erfindung der Wahrheit“ eine skrupellose Lobbyistin in Washingtons Politdschungel. Es geht um Intrigen, Überwachung und Fake News.

Der Krieg ist ihr Geschäft, jeden Tag zieht sie in eine neue Schlacht. Dazu braucht Elizabeth Sloane nicht mehr als ein schwarzes Kostüm mit gepolsterten Schultern, dick aufgetragenen Lippenstift und rot lackierte Fingernägel. Das Kostüm ist ihre Rüstung, der Lippenstift wirkt eher blutrünstig als erotisch, mit ihren matt schimmernden Nägeln würde sie notfalls noch die Tresore von Fort Knox aufkratzen können. Jessica Chastain sieht als stählerne Hauptdarstellerin des Politthrillers „Die Erfindung der Wahrheit“ unwiderstehlich aus. Und man hat sofort Angst vor ihr.

Die Kamera kann sich kaum einmal von Chastain trennen, sie folgt ihr durch endlose Meetings, Empfänge, Bälle und Anhörungen. Am Anfang zeigt die Kamera minutenlang ihr von schulterlangen Haaren gerahmtes Gesicht, das völlig regungslos bleibt, obwohl sie unablässig Bekenntnissplitter, Belehrungen, Bonmots von sich gibt. Miss Sloane – so heißt der Film von John Madden im Original – scheint eine Beichte ablegen zu wollen, doch glauben sollte man ihr keine Sekunde. „Ich bin angetreten, um zu gewinnen, und ich werde dabei jedes zur Verfügung stehende Mittel einsetzen“, sagt sie. Oder: „Lobbyarbeit bedeutet Voraussicht, die nächsten Schritte des Widersachers vorauszuahnen und Gegenstrategien zu entwickeln.“ Oder: „Um zu gewinnen, treibt man seinen Gegner vor sich her.“

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Es sind Managementregeln, wie sie auch vom preußischen Militärstrategen Clausewitz stammen könnten. Eine Firma ließe sich mit ihnen vielleicht führen, eine Armee ganz sicher. Sloane agiert völlig skrupellos und hat es damit in Washington zur Starlobbyistin einer alteingesessenen Kanzlei gebracht. Ihr Chef George Dupont wird von Sam Waterston gespielt, der in Serien wie „Law & Order“ und „The Newsroom“ schon so viele graumelierte Vorstandsmenschen verkörpert hat, dass man ihn sich kaum mehr in einem Habitat vorstellen kann, das nicht holzgetäfelt wäre.

Allerdings ist Waterstons Unternehmen diesmal in einem Glashochhaus untergebracht, aus dessen Konferenzräumen der Blick durch Scheiben und Scheiben auf eine grünlich-fahle Hauptstadt fällt. Transparenz zeigt sich hier als besondere Form der Täuschung. Waterston tritt als Dupont mit ungewohnter Härte auf, von seinen Angestellten erwartet er unbedingten Opportunismus. Keiner ist opportunistischer als Sloane, deshalb scheint sie genau die Richtige zu sein, als Waffenfabrikanten mit einem millionenschweren Auftrag an die Kanzlei herantreten. Sie wollen mit einer Kampagne eine drohende Verschärfung des Waffengesetzes verhindern.

Eine David-gegen-Goliath-Geschichte

Vor allem Frauen soll die Werbung ins Visier nehmen. „Weg von Müttern, die ihre Kinder durch Waffen verlieren – hin zu Müttern, die ihre Kinder mit Waffen verteidigen“, so umreißt ein waffenverrückter Senator das Konzept. Die „Heaton-Harris-Bill“, ein parteiübergreifender Gesetzentwurf, von dem „Die Erfindung der Wahrheit“ handelt, mag fiktiv sein. Aber die Ideen der Waffenlobby wirken so haarsträubend, dass sie mehr sein müssen als ein Witz, nämlich ziemlich nahe an der Wirklichkeit angesiedelt.

Elizabeth Sloane bekommt im Meeting mit dem Senator und seinen Waffenbrüdern erst einmal einen Lachkrampf. Feminismus mit Patronen? So etwas könne „nur einem Haufen alter Männer“ einfallen, höhnt sie. Und als sich ihr Chef darüber wundert, dass sie auf einmal eine Meinung zum Waffenbesitz hat, entgegnet sie trocken: „Meine Meinung hat sich irgendwann zwischen Columbine und Charleston gebildet“, den Schauplätzen zweier Massaker.

Damit ist das Pathos im Film angekommen, und eine David-gegen-Goliath-Geschichte beginnt. Die Heldin bemerkt, dass sie ein Gewissen besitzt (vielleicht auch nicht), und wechselt mit ihrem halben Team zu einer von Bürgerinitiativen finanzierten Agentur, die das Abrüstungsgesetz durchsetzen will. Sloane verwandelt sich in eine zornige Rächerin, sie wird zur Heiligen Johanna des Lobbyismus. Allerdings sind die Methoden, mit denen sie nun für das Gute kämpft, immer noch die alten. Dazu gehören ein gnadenloser Mitarbeiterverschleiß und nicht ganz legale Recherchemittel wie das Anbringen von Wanzen oder das Hacken von Computern.

Der Film ist ein Kommentar zur Bedeutung von Fake News

Wichtig ist nicht, ob eine Verschwörungstheorie auch stimmt. Wichtig ist nur, ob irgendjemand an sie glaubt. Lobbyisten werden nicht dafür bezahlt, die Wahrheit zu verbreiten. Sie sollen Gerüchte in Umlauf bringen und über der Gegenpartei kübelweise Schmutz ausladen. Der britische Regisseur John Madden, der für „Shakespeare in Love“ einen Oscar bekam und zuletzt „Best Exotic Marigold Hotel 2“ drehte, hat sich tief eingearbeitet in die politischen Verhältnisse Amerikas. Sein Film demonstriert, wie sehr die Sitten verfallen sind. Natürlich ist er auch ein Kommentar zur Bedeutung von Fake News in Zeiten von Donald Trump.

Brillant, wie die verfeindeten, subkutan aber miteinander verbundenen Propagandalager nebeneinandergestellt werden. Sie belauern einander, versuchen, Spione zu platzieren und schicken sich Schauspieler auf den Hals, die als Enthüller bei Veranstaltungen auftreten sollen, dort aber nur auf andere Schauspieler treffen. Politik ist eine Leidenschaft, die zum Tod führen kann. Jeder Freund kann in Wahrheit ein Feind sein. Am schönsten ist es, einem Großen beim Sturz zuzusehen.

Wenn man nicht schon aus der Präsidentenserie „House of Cards“ wüsste, dass in Washington die Gesetze von Shakespeare gelten – in „Die Erfindung der Wahrheit“ würde man es lernen. Allerdings überdreht der Film am Ende etwas zu arg, und dass Sloane als beziehungsunfähige, unbefriedigte Karrierefrau sich mit Callboys treffen muss, ist ein ärgerliches Klischee. Doch Jessica Chastain wahrt bis zum Schluss ihr Geheimnis. Inmitten unaufhörlichen Geplappers ist das eine oscarreife Leistung.

Ab Donnerstag in 15 Berliner Kinos. OmU: Eva, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kino in der Kulturbrauerei, Neues Off, Odeon. OV: Cinestar Sony-Center, Rollberg

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