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Anfangs. Astrid (Julia Jentsch) ist als Kabarettistin erfolgreich, ihr Mann Markus (Bjarne Mädel) ist zugleich ihr Manager.

© Neue Visionen

Im Kino: Das Abtreibungsdrama "24 Wochen": Leben, nichts anderes

Astrid ist im sechsten Monat schwanger, dem Kind droht ein Leben voller Operationen. Abtreiben oder nicht? Sensibel und realistisch setzt der Film "24 Wochen" das Dilemma in Szene.

Wenn es eine New Women Wave, eine Neue Weibliche Welle im deutschen Kino gibt, dann hat Maren Ade mit „Toni Erdmann“ diesen Sommer dafür gesorgt, dass alle das sehen. Und Anne Zohra Berrached wird mit „24 Wochen“ in diesem Herbst deshalb hoffentlich erst recht gesehen. Schon bei der Berlinale, als einziger deutscher Beitrag im Wettbewerb, hat der Film beeindruckt und für Diskussionen gesorgt. Wirklich spannend aber ist, wie er jetzt im Kino ankommt.

Schließlich geht es hier um alles: um das Leben, um den Tod, um die Liebe. Klingt klischeehaft, könnte aber, wie Berrached davon erzählt, kaum weiter von jedem Klischee entfernt sein. „24 Wochen“ erzählt von einer Spätabtreibung – im sechsten Monat. In der 24. Woche ist der Fötus schon allein überlebensfähig, da braucht es nach der Abtreibung, die eigentlich eine richtige Entbindung ist, zusätzlich eine Spritze, damit er nicht weiterlebt. Schlimm, diese Wörter, aber die Bilder dazu sind schlimmer. Eine Abtreibungsszene in Echtzeit, die nicht enden zu wollen scheint. Erst recht nicht für die Hauptfigur Astrid (Julia Jentsch), die Mutter.

Idealbild einer jungen, urbanen Familie

Die stärkste Erinnerung an den Film: direkt nach der ersten Pressevorführung auf der Berlinale, als noch keine einzige Kritik erschienen war. Noch ganz allein mit dem Gefühl: Dieser Film ist zutiefst persönlich. Ich werde ihn gegen alle verteidigen. Soll sie nur kommen, die aufgebrachte Mannschaft moralisch selbstgewisser Angreifer! Es kam dann ganz anders. Die meisten Kritiker mochten „24 Wochen“, wütend war kaum jemand. Und die Augen vieler: verweint.

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Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Figuren einem extrem nah kommen. Wenn sie glücklich sind, albern und furchtlos (wie meistens, am Anfang). Und wenn sie traurig sind, überfordert und verwirrt (wie meistens, am Ende). Distanz ist kaum möglich, soll vielleicht auch nicht sein. Sie sind ja auch so sympathisch: Astrid, die junge Kabarettistin, ihr Mann und Manager Markus (Bjarne Mädel) und Tochter Nele (Emilia Pieske) entsprechen dem Idealbild der jungen, urbanen Familie: gleichberechtigt und witzig, gutaussehend, aber nicht zu hipsterhaft. Leben in Berlin in einem Haus mit Garten, das oft voller Freunde ist, und in dem sich auch Astrids Mutter (Johanna Gast) um die Enkelin kümmert.

Der Frauenarzt, die Psychologin - alle spielen sich selbst

Das wirkt so ideal, gerade weil es nicht idealisiert ist. „Ich muss mal aufs Klo“, sagt Astrid während eines Streits. Ohne dass daraus dramaturgisch etwas folgen würde, sondern einfach, weil Menschen sowas eben sagen, in Langzeitbeziehungen, auch mitten im Streiten. So alltäglich der Satz ist, so existenziell ist der Gegenstand ihres Kampfs: Soll Astrid das Kind austragen, obwohl es nicht nur Trisomie 21 haben wird, sondern auch einen Herzfehler, der ein Leben lang schwerste Operationen erfordern wird? Kann das Kind das aushalten, halten die beiden das aus, hält ihre Lebensfreude das aus? Kann es eine Entscheidung für das Leben sein, sich gegen ein Leben zu entscheiden? Unvorstellbar schwierige Fragen. Und dann: „Ich muss mal aufs Klo.“

Später. Die Ärzte prognostizieren dem Kind der schwangeren Astrid (Julia Jentsch) ein Leben voller schwerer Operationen. Wie werden Astrid und ihr Mann (Bjarne Mädel) entscheiden?
Später. Die Ärzte prognostizieren dem Kind der schwangeren Astrid (Julia Jentsch) ein Leben voller schwerer Operationen. Wie werden Astrid und ihr Mann (Bjarne Mädel) entscheiden?

© Neue Visionen

Dieser Realismus und die Körperlichkeit sind es auch, die „24 Wochen“ mit den anderen aktuellen Ausnahmefilmen deutscher Regisseurinnen verbinden, neben Maren Ades „Toni Erdmann“ etwa „Wild“ von Nicolette Krebitz. Berrached ist die jüngste in dieser Reihe („24 Wochen“ ist ihr Hochschul-Abschlussfilm), und sie treibt den Realismus noch weiter: Sämtliche Figuren, die als Vertreter eines Berufs vorkommen, werden von Menschen gespielt, die diesen Beruf im echten Leben ausüben. Der Frauenarzt, die Psychologin, sie alle spielen sich selbst. Auch das trägt zur Intensität bei.
Auch stark in dieser Neuen Weiblichen Welle ist der Mut zur Ambivalenz. Trauriges und Skurriles darf nebeneinander bestehen, sich mischen. Was in „Toni Erdmann“ die falschen Zähne sind, sind in „24 Wochen“ Astrids Kabarettauftritte. Beide Filme sind Tragikomödien, auch wenn Ade mehr zur Komödie, Berrached deutlich mehr zur Tragödie tendiert.

Schonungslos und beglückend zugleich

„24 Wochen“ ist schonungslos und schwer erträglich. „24 Wochen“ ist warm und beglückend. Beides trifft zu. Und wenn nun über einen solchen Film erstaunlicherweise doch Konsens herrscht, was wäre daran weiter schlimm? Konsens über eine Unentscheidbarkeit, ist das nicht Toleranz? „24 Wochen“ ezählt von Menschen, die sich gegen ein Leben entscheiden, und ist dabei menschenfreundlich und lebensfroh. Mehr scheinbarer Widerspruch geht kaum. Mehr filmische Kraft ebensowenig.

In Berlin im Capitol, Cinema Walther-Schreiber-Platz, Cinema Paris, Eiszeit, Eva, FaF, Hackesche Höfe, Passage, Kulturbrauerei und Union

Julia Dettke

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