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Kultur: Im Garten der Bestien

Die Dodds in Berlin: Erik Larson über die Skandale um den US-Botschafter und seine Familie in Nazi-Deutschland.

Den Berliner Tiergarten übersetzt der amerikanische Autor Erik Larson – einst Reporter für „Time“ und „Wall Street Journal“, dann Bestsellerautor von Krimis wie „Der Teufel von Chicago“ – doppelsinnig mit „The Garden of Beasts“. So wird aus dem beschaulichen Diplomatenviertel Tiergarten ein Garten der Bestien. Wer damit gemeint ist, zeigt der Einband des Buches mit einer Aufnahme aus der Kroll-Oper 1933, die Hitler als Reichskanzler an der Seite seiner Getreuen Joseph Goebbels und Hermann Göring zeigt. Es ist das Jahr, in dem der neue amerikanische Botschafter, der Historiker und Wahlkämpfer für Präsident Roosevelt, William E. Dodd, mit Frau, Sohn und Tochter in Berlin eintrifft und zwei Villenetagen in der Tiergartenstraße 27a bezieht. Die Geschichte seiner kurzen Amtszeit bis Ende 1937 erzählt Larson in der amerikanischen Originalausgabe mit dem treffenden Untertitel „Love, Terror and an American Family in Hitler’s Berlin“ (in der deutschen Ausgabe verharmlost zu „Ein amerikanischer Botschafter in Nazi-Deutschland“).

Botschafter Dodd bestreitet in Larsons zeitgeschichtlichem Reißer allerdings nur die Rahmenhandlung – für Love and Terror ist allein seine Tochter Martha zuständig, die als Skandalnudel sowohl dem deutschen Gestapochef Rudolf Diels, dem französischen Attaché Armand Bérard wie dem sowjetischen Botschaftsangehörigen und Agenten Boris Winogradow den Kopf verdrehte. Von Hitlers Berater „Putzi“ Hanfstaengl wurde sie sogar seinem Führer als Heiratskandidatin empfohlen. Er hielt sie „für eine entzückende Person, die das Schicksal Europas ändern könnte“. Doch es blieb bei einer flüchtigen Begegnung und einem Handkuss Hitlers. Ihr Bericht davon bei ihrem Vater entlockte dem Botschafter nur ein amüsiertes Lächeln und die Bemerkung, „dass Hitler persönlich kein unansehnlicher Mann“ sei.

In Hitlers Tischgesprächen taucht Martha 1941 im Rückblick nur als Objekt versäumter politischer Umgarnung auf: Es „habe doch niemand fertiggebracht von diesem Auswärtigen Amt, die wirklich zugängliche Tochter des amerikanischen Botschafters Dodd so richtig in Beschlag zu nehmen“. Auf die Frage Wilhelm Keitels, ob sie „denn wenigstens hübsch“ gewesen sei, und die Antwort Karl Jesko von Puttkamers („widerwärtig!“) setzte Hitler hinzu: „Ja, das muss man überwinden, lieber Freund, da muss man schon so was in Kauf nehmen, für was werden die Leute bezahlt!“

War auch Boris Winogradow bezahlt, um Martha Dodd für das NKWD zu gewinnen? Ausgeschlossen ist das nicht, denn Winogradow war – wie Martha noch mit einem Bankier in den USA – zu Hause in Russland verheiratet und hatte tatsächlich den Auftrag, Martha als russische Agentin zu gewinnen. Allerdings sprechen seine glühenden Liebesbriefe und das leidenschaftliche Auf und Ab ihrer Beziehung für eine echte Affäre – wenn auch eine, vielleicht die heftigste, von mehreren Beziehungen der Diplomatentochter mit Berliner Verehrern jeder politischen Couleur. Die brisanteste Affäre, die aber offenbar nicht in Zusammenhang mit einer Geheimdienstaktion stand, war die zu Rudolf Diels, dem zeitweise in Ungnade gefallenen, ins Ausland geflohenen und wieder zurückgekehrten Berliner Gestapochef. Von Heinrich Himmler politisch entmachtet und in die Provinz versetzt, überlebte er das „Dritte Reich“ und seinen russischen Nebenbuhler Winogradow, der 1938 Stalins Großem Terror zum Opfer fiel. Sein letzter Brief an Martha, der ein Wiedersehen in Russland in Aussicht stellte, war vom NKWD diktiert, um ihre Sympathie für die Sowjetunion zu bewahren.

Tatsächlich hat sie den Sowjets noch in den Kriegsjahren unter dem Decknamen „Lisa“ Informationen geliefert, wie auch ihre in Berlin verheiratete amerikanische Freundin Mildred Fish-Harnack, die mit ihrem deutschen Mann Arvid Harnack und seinen Freunden der „Roten Kapelle“ von den Nazis hingerichtet wurde. Martha Dodd, die mit ihrem Vater 1937 in die USA zurückkehrte, sollte ihre Lebensodyssee 1953 wieder nach Europa verschlagen, als sie mit ihrem späteren Mann Alfred Stein vor einer Vorladung durch das McCarthy-Komitee für unamerikanische Umtriebe ins Ausland floh und sich bis zu ihrem Tod 1990 in Prag niederließ. Den sowjetischen Einmarsch in Prag 1968 missbilligte sie als „das Hässlichste und Abstoßendste, was ich je erlebt hatte“. Aber an eine Rückkehr in die USA war nicht zu denken, „da will man uns noch nicht“ (wieder).

Für ihren Vater, der sich in Berlin – zunächst beeindruckt von der Aufbruchsstimmung in Deutschland – zu einem entschiedenen Gegner der Nationalsozialisten entwickelte, waren die Jahre als Botschafter in Deutschland weniger turbulent, aber deprimierend genug. Seine erste persönliche Begegnung mit Hitler hatte Dodds, der 1897 in Deutschland studiert hatte, nach dessen Austritt aus dem Völkerbund; sie verlief noch scheinbar konstruktiv, so dass er nach Washington meldete, Hitler wolle den Frieden. Doch bei seinem Abschied wusste er es schon besser – besser als das State Department, das ihn durch einen vermeintlich flexibleren Diplomaten ersetzte. Dodd hatte konsequent Einladungen zu NS-Parteitagen ausgeschlagen und zur NS-Ideologie diplomatische Distanz gewahrt.

Die Bestien in Berlin riefen ihm noch bei seinem Tod 1939 im nationalsozialistischen „Angriff“ nach, er sei „einer der seltsamsten Diplomaten“ und ein notorischer „Deutschenhasser“ gewesen. Hannes Schwenger









– Erik Larson:

Tiergareten. In the Garden of Beasts. Hoffmann & Campe, Hamburg 2013. 480 Seiten, 24,99 Euro.

Hannes Schwenger

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