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Wolf

© dpa

Hugo Wolf: Da draußen die Welt der Harlekine

Autodidakt und Selbstquäler: Zum 150. Geburtstag des Wiener Komponisten Hugo Wolf.

Wien, im Februar 2010. Frage in der Musikalienhandlung Arcadia in der Staatsoper nach Literatur über Hugo Wolf. Im Regal mit den Jubilaren und Aktualitäten steht nichts, der freundliche Herr steigt in den Keller hinunter, es dauert, bis er zurückkehrt, mit leeren Händen. Nicht einmal die Rowohlt-Monografie wurde zu Wolfs 150. Geburtstag neu aufgelegt. Die Recherche im Computer nach Antiquarischem ergibt das eine oder andere, aber das haben sie alles nicht da. Sind wir nicht in Wien, fragt die Kundin irritiert, und war Hugo Wolf nicht Wiener, liegt er nicht in einem pompösen Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof begraben?

Der Herr lächelt: ja, eben, ein typisches Wiener Künstlerschicksal. Aber im Antiquariat Löcker in der Annagasse, da könne man es noch versuchen. Und da gibt es tatsächlich etwas: ein paar vergilbte „Lebensbilder“ und Werkbetrachtungen aus den dreißiger und vierziger Jahren, Erik Werbas verdienstvolle, immer musikalisch argumentierende WolfBiografie von 1971, ein angegrabbeltes Exemplar aus der Reihe „Musik-Konzepte“ von 1992. Hugo Wolf, sagt der Antiquar, sei nun mal nicht „populär“.

Wer war, wer ist Hugo Wolf? Ein Autodidakt, Querulant, Masochist, Syphilitiker. Alle Geräusche dieser Erde (Vögel, Katzen, Mäuse, Menschen) sind dazu da, ihn in den Wahnsinn zu treiben – und da landet er denn auch: progressive Gehirnparalyse, mit 43 Jahren. Die letzten sechs Jahre verbringt er in der Irrenanstalt.

Als Auslöser für diesen finalen Schub gilt ein Besuch beim frisch gekürten Hofoperndirektor Gustav Mahler 1897. Wolf rechnet sich Chancen aus: wegen der Freundschaft mit Mahler, die aus Wiener Konservatoriumszeiten datiert, und wegen des Erfolgs seines „Corregidors“ bei der Mannheimer Uraufführung. Mahler aber ist von der Partitur nicht überzeugt, es wird ihm zu viel geredet und rekapituliert. Außerdem hat er sich für die Saison 1897/98 bereits vier andere Erstaufführungen gesichert: Smetanas „Dalibor“, Tschaikowskys „Eugen Onegin“, Bizets „Djamileh“ und Leoncavallos „Bohème“. Reiche, aufregende Opernzeiten. Es kommt zum Streit, Wolf stürzt auf die Ringstraße hinaus und hält sich fortan selbst für den Operndirektor.

Hugo Wolf wird am 13. März 1860 in Windischgraz in Slowenien geboren. Ein musikalisches Kind in einer musikalischen Familie, von Anfang an schwer zu lenken. 1875 tritt er ohne Schulabschluss ins Wiener Konservatorium ein, wird Schüler von Robert Fuchs und Mitschüler von Gustav Mahler – und begegnet im Hotel Imperial Richard Wagner, hört dessen „Tannhäuser“ und beschließt stehenden Fußes, Wagnerianer zu werden. Das Konservatorium entlässt ihn nach zwei Jahren, der Vater hat kein Geld mehr, Wolf findet zu seiner Lebensform: Halb hält er sich durch Unterrichten über Wasser, halb lässt er sich von gut betuchten Freunden aushalten, lebt in deren Häusern, reist mit ihnen.

Wolf hat nie Geld und immer Hunger. Er komponiert, eine Symphonie, ein Violinkonzert, ein Streichquartett, sinfonische Dichtungen, vieles bleibt unvollendet. Und immer wieder Lieder: „Das verlassene Mägdelein“, oder „Verschwiegene Liebe“ gehören zum Ergreifendsten, was nach Schubert geschrieben wurde. Fünfmal pilgert Wolf enthusiastisch nach Bayreuth, für drei Monate bekleidet er die Stelle eines zweiten Kapellmeisters in Salzburg, zweieinhalb Jahre schreibt er für das „Wiener Salonblatt“ ätzende Musikkritiken (Brahms nennt er einen „Leimsieder“ und dessen Symphonien allesamt „Maulwurfshügel“). Die Jahre vor 1888, schreibt er später, seien ein „langsamer, qualvoller Selbstmordversuch“ gewesen. Danach wird es vorübergehend besser.

Hugo Wolf, dieser „geniale Dilettant“, ist gleichzeitig zu früh und zu spät dran: Zu den titanischen Entgrenzungen eines Bruckner, Mahler oder Richard Strauss stehen seine kleinen, oftmals von pausbäckigem Humor getragenen Lieder („Storchenbotschaft“) merkwürdig quer. Mörike-, Heine-, Goethe- und EichendorffLieder, „Alte Weisen“ nach Gottfried Keller, das Italienische und das Spanische Liederbuch, einiges auch für Chor gesetzt und orchestriert: Musikgeschichtlich steht Hugo Wolf zwischen Schubert, Schumann und Brahms auf der einen, Strauss, Reger und Pfitzner auf der anderen Seite. Ästhetisch aber ist er schwer zu fassen. Es heißt, Wolf habe das Klavier im Lied emanzipiert und jeder Strophenseligkeit durch sein frei sich fortspinnendes Melos ein Ende bereitet. Es heißt, harmonisch greife er auf Wagner zurück und auf Debussy voraus. Es heißt, Wolf bemächtige sich der Lyrik in einer Weise, die diese gleichsam auflöse, verflüssige, dem Klang anverwandle.

Bei alledem ist Hugo Wolf unerhört schwer zu singen. Seine Diskografie, die ihre beste Zeit mit Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf in den fünfziger, sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts erlebt, belegt das. Dass er heute kaum mehr gespielt wird und wir seinen 150. Geburtstag trotzdem im Kalender führen, zeigt unser schlechtes Gewissen. Wäre es nicht längst an der Zeit, Wolfs sublime, delikate Kunst als Provokation zu begreifen, als Aufforderung zu mehr Sensibilität und Feingefühl?

Letzte Bruchstücke: Im Sommer 1897 lernt Hugo Wolf das Radfahren. Er stürzt viel, zieht sich schlimme Blessuren zu. Ein Jahr später unternimmt er im eiskalten Traunsee einen Selbstmordversuch. In der Nacht, in der er stirbt, leitet Mahler an der Hofoper eine Neueinstudierung von Wagners „Tristan und Isolde“. Es ist Fasching in Wien, der Zug mit Wolfs Leiche bahnt sich den Weg zur Votivkirche vorbei an Harlekinen, Spaßmachern, bunt geschmückten Pferdegespannen. Wolf, dem „zornigen Romantiker“, hätte dieser makabre Abgang vielleicht gefallen.

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