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Hans Holbein d.J.: Die Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen, 1526/28 (Ausschnitt).

© Würth

"Holbein in Berlin": Von Fingern und Fasern

Gipfeltreffen im Bode-Museum: Die Ausstellung „Holbein in Berlin“ löst ein Rätsel der Kunstgeschichte.

Im Martin-Gropius-Bau galt es noch Abstand zu halten zur berühmten Holbein-Madonna. Holzbänke in Doppelreihen standen davor, die Besucher der ausgestellten Sammlung Würth mussten sich in einen eigenen Raum begeben, andächtige Stille wie in einer Kapelle herrschte dort. Die ganze Aufmerksamkeit galt der hinreißenden Schutzmantelmadonna des Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen (1526/28), ein wahrer Altar war ihr gebaut. Wer dieses Prachtstück aus der imposanten Kollektion des baden-württembergischen Unternehmers verpasst hat, bekommt nun in Berlin eine zweite Chance.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat dieses bedeutende Gemälde für einige Monate als Leihgabe erhalten. Sie zelebriert es mit einer Ausstellung, die Werke Hans Holbeins des Jüngeren wie des Älteren vereint, aus Gemäldegalerie und Kupferstichkabinett. Sie feiert damit auch ein wenig sich selbst, denn „Holbein in Berlin“, so der Ausstellungstitel, hat etwas von einer Heimholung. Seht her, wie gut die Madonna zu uns passt – und wie gut sich Gemälde im Bode-Museum machen, das ansonsten vornehmlich der Skulptur gewidmet ist. Die Schau stellt in verschiedene Richtungen ein taktisches Manöver dar.

Die Zusammenstellung der berühmten Madonna mit dem Porträt des Kaufmanns Georg Gisze (1532) aus der Berliner Gemäldegalerie ist denn auch eine kleine Sensation, ein Gipfeltreffen der besonderen Art. Es zeigt den aus Danzig stammenden Händler in seinem Kontor, kostbar gekleidet in roter Seide, darüber ein Wams aus schwarzem Samt. Holbein schwelgt in Stoff und Farbe, stellt Räume mit einer atemberaubenden Akkuratesse dar, durchpulst seine Porträtierten mit Leben, lässt Licht und Luft in die Szenen ein. Das alles macht auch die Madonna des Jakob Meyer zum Hasen so betörend.

Nach knapp 200 Jahren sind die beiden nun zum ersten Mal wieder beisammen zu sehen. Damals tobte noch ein Streit, ob die Madonna eine Kopie aus dem 17. Jahrhundert sei. Für die Kunstgeschichte wurde er zum Wendepunkt ihrer Disziplin, denn mittels Formanalyse und Stilinterpretation konnte erstmals nachgewiesen werden, dass tatsächlich Holbein der Maler der Muttergottes war. Julius Lessing, der Direktor des Berliner Kunstgewerbemuseums, lieferte wenig später den letzten Beweis: Das abgebildete Teppichmuster auf der Kopie musste jüngeren Datums sein. Teppiche, wie sie zu Füßen der Madonna samt Bürgermeisterfamilie sowie auf dem Tisch des Kaufmanns Georg Gisze liegen, hängen ebenfalls in der Ausstellung. Sie stammen aus dem benachbarten Museum für Islamische Kunst. Die gleichen Bordüren und Flechtbandrosetten finden sich in den Gemälden wieder. Das aus Anatolien importierte Exemplar trägt deshalb die offizielle Bezeichnung Holbein-Teppich, eine Rarität.

Bis heute wird gerätselt, wer die beiden Jungen zur Linken der Muttergottes sind

Kunstgeschichte ist Detektivarbeit, manchmal über Jahrhunderte hinweg – das zeigt sich auf eindrückliche Weise an der Schutzmantelmadonna. Bis heute wird darüber gerätselt, wer die beiden Jungen zur Linken der Muttergottes sind. Jakob Meyer zum Hasen, seine beiden Ehefrauen und die Tochter sind zweifelsfrei identifiziert. Zuletzt galt der nackte Knabe als Johannes der Täufer, dem allerdings die Attribute Lamm und Kreuz fehlen. Die Rechercheure der Gemäldegalerie stießen nun auf ein bislang unbeachtetes Dokument, das auf einen Sohn des Bürgermeisters verweist. Demnach könnte auch der zweite Junge sein Kind sein, allerdings früh verstorben, was seine Nacktheit erklärt. Auch für den ungewöhnlichen Gestus hat Kurator Stephan Kemperdick eine Erklärung parat: Der Kleine verweist nach unten auf ein Grab. Bei dem Bild handelt es sich demnach um ein Epitaph, ein Gedächtnisbild, womit auch der bislang offene Standort gefunden wäre: die Martinskirche, wo die reichen Basler sich beerdigen ließen.

Kinderpsychologen erkennen einen Abwehrgestus beim Jesusknaben

Aber was will der Jesusknabe uns sagen, der ebenfalls stark gestikuliert? Die Frage bleibt offen. Konsultierte Kinderpsychologen haben konstatiert, dass es sich um einen Abwehrgestus handelt, ein Zeichen der Unwilligkeit. Darauf hätte auch der Laie kommen können, so grimmig, wie der Kleine blickt. Ob er sich über die heraufdämmernde Reformation grämt, bleibt als Nuss für die nächste Generation zu knacken. Der Besucher darf sich rein erfreuen.

Bode-Museum, Museumsinsel, bis 8. 5.; Di–So 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr. Katalog (Michael Imhof Verlag) 19,95 €.

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