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Kultur: Höllentrip und Himmelfahrt

Wenn Körper zu Skulpturen werden: Emanuel Gat und Iztok Kovac beim Tanz im August.

Von Sandra Luzina

Nein, er sei nicht etwa zum Christentum übergetreten, hat der israelische Choreograf Emanuel Gat nach der Premiere von „The Goldlandbergs“ im Juni versichert. Seine Choreografie war nun beim Tanz im August im Haus der Berliner Festspiele zu sehen – und hat nicht wenige irritiert wegen des ungewöhnlichen Soundtracks. „The Goldlandbergs“ ist eine Hommage an den 1981 gestorbenen Pianisten Glenn Gould. Gat kreuzt Goulds legendäre Einspielungen von Bachs „Goldberg Variationen“ mit der Radiodokumentation „The Quiet in the Land“ aus dem Jahr 1977. Gould hat damals eine mennonitische Gemeinde im kanadischen Manitoba besucht und Stimmen, Chormusik und Geräusche aufgenommen, sie kontrapunktisch wie in einer Fuge montiert. Der Choreograf behandelt diese Stimmencollage wie eine Partitur, es geht ihm nicht darum, das Gesagte zu illustrieren. Doch man kann inhaltliche Überschneidungen erkennen.

Die Sprecher diskutieren auch den Einfluss der modernen Gesellschaft auf die traditionellen Werte ihrer Glaubensgemeinschaft. Gat untersucht in seinem Stück, was diese Gruppe zusammenhält. Am Anfang bilden zwei Männer ein Kreuz, doch die Körper lassen sich keineswegs in eine religiöse Symbolik einzwängen. Sie wirken sperrig, ihre Bewegung kantig und unbehauen. Auch in den Duetten ecken die Körper an, statt zu verschmelzen. Die Tänzer umklammern einander mit festem Griff und scheinen doch auseinanderzudriften.

Hier gibt es keine vorherbestimmte Harmonie, Gat geht es um Unterdrückung, um innere und äußere Zwänge. Vieles sieht zumindest recht unbequem aus. Michael Löhr kippt seitlich zu Boden und sieht wie eine gestürzte Statue aus. Zwei Tänzerinnen hocken sich auf den Mann, der nur mit äußerster Kraftanstrengung seine Haltung bewahren kann.

Gat gelingen tolle Ensembleszenen, wo sich unterschiedliche Haltungen der Tänzer zu einer flüchtigen Skulptur zusammenfügen. Dann wieder pressen und zwängen die acht Tänzer sich zu einem wuselnden Körperknäuel zusammen. Je mehr sich das Kollektiv auflöst, desto heftiger zerren die Tänzer aneinander. Zum Schluss senkt sich eine schwarze Box vom Bühnenhimmel über die Tänzer – nun sind die Gläubigen von der Außenwelt abgeschnitten. Faszinierend ist, wie Gat immer neue Beziehungen webt, wie er die Strukturen verflüssigt. Doch als Porträt einer verschworenen Gemeinschaft überzeugt das Stück nicht.

Einfach hinreißend dagegen der Strawinsky-Abend von Iztok Kovac. Der slowenische Choreograf gastierte schon in den Neunzigern beim Tanz im August, heute zählt er zu den Großen. Seine Tanzkompanie EnKnap ist das erste feste Ensemble für zeitgenössischen Tanz in Slowenien. In „Ottetto (8 Swings for His Highness)“ nähert er sich Strawinskys Oktett aus dem Jahr 1923 – einer Komposition nur für Blasinstrumente, die Zeitgenossen für einen Scherz hielten.

Živa Ploj Peršuh dirigiert zunächst ohne Orchester und fordert später die Musiker auf, nur Ausschnitte zu spielen, was herrlich schräg klingt. Die fabelhaften Tänzer swingen und springen, zugleich haben die Sequenzen etwas Vertracktes. Videos tauchen sie in Raster und Energiefelder, doch sie tanzen übermütig durchs Labyrinth der Töne. Er habe sich vorgestellt, so erzählt Kovac, dass Strawinsky sich das Stück anschaut und ihm auf einmal dämmert, dass er ja eine Ballettmusik geschrieben hat. Sandra Luzina

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