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Eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg - aktueller denn je.

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Historischer Jugendroman: Alle wollen nach Amerika

Die Flucht vor den Nazis nach Portugal erzählt Rüdiger Bertram wie ein Abenteuer

Marseille 1941. Die Stadt ist voll mit Flüchtlingen aus Deutschland – auf dem Weg in die Vereinigten Staaten. Auch Rolf, sein Terrier Adi und sein Vater Ludwig, politischer Journalist, sind hier gestrandet. Die Mutter, eine Tänzerin, ist bereits in New York. Eine Riesenstadt, weiß Ludwig, „die Häuser dort kitzeln den Wolken die Bäuche, die ragen bis in den Himmel hinein.“ Aber wie sollen sie dorthin kommen? Die Schiffspassage von Lissabon haben sie schon, die Transportgenehmigungen bis zur Grenze fälscht eine deutsche Exilantin im Café. Oft hat sie das schon gemacht.

Der Schriftsteller Rüdiger Bertram beschreibt das schwierige Dasein der Geflüchteten in seinem Buch „Der Pfad“ so, dass auch Zwölfjährige sich alles gut vorstellen können. Die Dialoge indes hätte man sich etwas differenzierter gewünscht. Erwachsene und Kinder sind in ihren Redewendungen kaum zu unterscheiden. An erster Stelle aber steht hier natürlich der Plot – und der ist spannend aufgeschrieben. Junge Leser und Leserinnen werden mitfiebern bei der Frage von Rolf und Ludwig: „Wie kommen wir bloß nach Lissabon?“ Die Lösung: Mit dem Zug nach Banyuls-sur-Mer und von dort über die Pyrenäen ins spanische Portbou. Viele haben diesen Weg tatsächlich genommen, Lisa Fittko zum Beispiel, oder Walter Benjamin. Für Ludwig und seinen Sohn rückt Lissabon schon recht nah.

Alles scheint sich gut zu fügen. In Banyuls-sur-Mer organisiert ein deutsches Pärchen für sie einen Guide durchs Gebirge. Der Katalane Manuel ist noch ein Kind – wie Rolf. Kann das gutgehen? Erst mal befiehlt Manuel: Der Hund kann nicht mit. Wenn er kläfft! Viel zu gefährlich. Rolf, erst verzweifelt, scheint sich damit abzufinden. Doch unterwegs stellt sich heraus: Der Terrier ist mit von der Partie, sein Herrchen hat ihn im Rucksack versteckt. Schon ist es passiert. Der bellende Hund ruft deutsche Soldaten auf den Plan, die nehmen Ludwig mit. Ein Glück, dass die Kinder sich vor ihnen verstecken können.

Jetzt beginnt das wahre Abenteuer, und behutsam entspinnt sich eine Freundschaft zwischen Manuel und Rolf. Beide lernen voneinander, überwinden Misstrauen und Vorurteile. Schade, dass sie dabei so betuliche Sätze sprechen. Manuel, der Deutsch ja nur gebrochen spricht, sagt etwa „mäßigregel“ statt „regelmäßig“, und ermahnt Rolf, langsamer zu gehen: „Jetzt spar Puste zu laufen.“ Ob Zwölfjährige, für die das Buch ja gedacht ist, über so etwas lachen können?

Der Geschichte folgen können sie sicher, auch wenn sie über die NS-Zeit noch wenig gehört haben. Das Thema Geflüchtete aber ist ihnen, vielleicht in der eigenen Schulklasse, schon nah gerückt. „Der Pfad“ wird Kinder weiterdenken lassen – und viele Fragen stellen. Eltern sollten sich wappnen. Auch der Schluss des Buches ist lobenswert, gerade weil er nicht für alle Protagonisten glücklich endet.

Danken sollten wir dem Autor noch dafür, dass er eine Lanze für Erich Kästners Buch „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee“ bricht. Sobald es irgend geht, liest der kleine Flüchtling Rolf in diesem Band. Wer neugierig recherchiert, ist schon bei der ersten Leseprobe hellauf begeistert. Dieses Feuerwerk von Ideen, das Jonglieren mit den Worten, all der Sprachwitz. Erich Kästner wollte vielleicht nur lustig sein. Rüdiger Bertram hatte ein (geschichtliches) Anliegen. Und das kann vielleicht nicht so unangestrengt daherkommen.

Rüdiger Bertram: Der Pfad. Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit. Roman. Mit Illustrationen von Heribert Schulmeyer. cbj Verlag, München 2017. 235 Seiten. 12,90 €. Ab zwölf Jahren.

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