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Sex sells. Die Porno-Rapperin Nicki Minaj ist berühmt für ihre raffiniert gereimten Vulgaritäten.

© AFP

Hip-Hop: Barbie fährt Scooter

Nicki Minaj ist die derzeit erfolgreichste Rapperin der Welt. Nun gab die 29-Jährige ihr Deutschlanddebüt im Berliner Tempodrom.

Vor kurzem ist es Nicki Minaj gelungen, als erste Frau seit Beginn der Chart-Aufzeichnungen mit sieben Hits gleichzeitig in den amerikanischen Billboard Hot 100 vertreten zu sein. Aber noch nie hat sie auf einer deutschen Bühne gestanden. Eine Kränkung des hiesigen Publikums, die am Samstag dadurch gelindert werden konnte, dass die in Trinidad geborene und in Queens aufgewachsene Porno-Rapperin und Popsängerin auf ihrer „Pink Friday“-Tour im zackigen Betonhut des Berliner Tempodroms gastierte.

Dort wird die 29-Jährige, deren Karriere steil geht, wie man so sagt, seit sie beim Label Young Money des Rapstars Lil’ Wayne unter Vertrag steht, von etwa 3000 Fans erwartet. Analog zu Minajs Repertoire, das knackige Hip-Hop-Tracks genauso umfasst wie monumentalen Kindergeburtstagstechno, wie er in den USA gerade sehr angesagt ist, teilt sich das Publikum in zwei Lager. Die aber anscheinend gut miteinander können: Da sind die lässigen Hip-Hopper mit ihren überdimensionierten Baseballmützen und auf der anderen Seite die hysterische Bravo- Leserschaft in engen T-Shirts. Etwa eine Mädchenclique, die mit identischen pinkfarbenen Glanzperücken anrückt, wie auch Minaj sie trägt.

Das Durchschnittsalter liegt bei etwa 19 Jahren, also einige Monate über dem Schutzalter, von dem man annehmen sollte, dass es für Nicki Minajs Musik eigentlich gilt. Immerhin sind die Texte der Rapperin an raffiniert gereimter Vulgarität momentan unübertroffen. Wobei Minaj aktuell auch kaum Wettbewerb hat, denn ansonsten herrscht im expliziten amerikanischen Frauen-Hip-Hop, während Missy Elliott schon viel zu lange an einem neuen Album arbeitet, absolute Flaute.

Aber wie werden die Eltern, die hier ihre Sieben- und Dreizehnjährigen begleiten, deren Fragen zur Choreografie des Songs „Did It On ’Em“ beantworten, in der Minaj Natursektbestrafung dadurch visualisiert, dass sie und ihre vier athletisch gebauten Tänzer jeweils einen Unterarm als Schlauch vor dem Schritt baumeln lassen? Werden die Eltern sagen, dass die Lederpeitschen im Song „Whip It“ benötigt wurden, um Mattels Cinderella-Kutsche auf Trab zu bringen?

Tatsächlich inszeniert sich Minaj als eine Art Barbie, aber auch einen direkten Einfluss der Berliner Electro-Rapperin Merrill Nisker und ihrer „Teaches of Peaches“ meint man auszumachen – nicht nur, weil Minaj im ersten Teil der Show pinkfarbene Hotpants trägt, so wie sie vor zehn Jahren zum Markenzeichen von Peaches wurden, sondern auch, weil sie eine ähnliche Mischung aus emanzipativen Parolen und machohafter sexueller Gestik vorführt. Minajs größter handwerklicher Vorteil besteht dabei darin, dass sie live selbst bei höchstem Tempo noch über das sensationell akkurate Rhythmusgefühl verfügt, das man von ihren Platten kennt. Was live aber nicht zur Geltung kommt, ist die Finesse, mit der Minaj in verschiedenen Zungenschlägen rappt: Auf Platte kann man sie innerhalb eines einzigen Reims vom hohen girliehaften Register in einen tantenhaften britischen Akzent wechseln und schließlich in bedrohliches jamaikanisches Patois hinunterdonnern hören.

Irgendwann zur Mitte der für solche vokalen Tricks zu atemlosen Show festigt sich dann auch der Eindruck, dass hier performative Widersprüche nicht bewusst zum Knirschen gebracht, sondern unverbunden nebeneinanderher aufgeführt werden, um alle zufriedenzustellen. Es ist der Moment, in dem Minaj, die eben noch von ihrem Schwanz rappte, plötzlich ganz zaghaft wird, wenn sie – das aktuelle Hit-Donnerwetter „Starships“, der konsequenteste Scooter-Song seit langem, ist gerade vorüber – eine Halbliterflasche Mineralwasser in drei kleinen Spritzerchen über ihr Publikum verteilen will. „Hui, ihr seid so heiß, ich hab euch nass gemacht – hi, hi, hi!“ Porno-Barbie kann auch sehr schüchtern sein. Es folgen Soundbombast, Autotune-Effekte und viel zu lange Kostümwechselpausen.

Dem Publikum scheint all das genau so recht zu sein. Es lässt sich von Nicki Minaj nach 22 Hits und keiner einzigen Zugabe, trotz minutenlangen Jubels mit einem frommen „God bless you!“ segnen. Danach versammelt man sich glücklich bedröhnt vor der Halle und grölt noch lange im Chor in den Berliner Himmel: „Hyper Hyper!“

Jan Kedves

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