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Triptychon mit Himmel und Hölle. Hieronymus Boschs Gemälde "Der Heuwagen", ausgestellt im Kloster El Escorial bei Madrid aus Anlass des 500. Todestags des Künstlers im Jahr 2016.

© dpa/EPA/Juan Carlos Hidalgo

Hieronymus Bosch: Von der Kunst, in der Luft zu kleben

Düstere Ahnungen: Neue Bücher über den Maler Hieronymus Bosch

Hundert Jahre vor Shakespeare, im Sommer 1516, starb der Maler Joen (oder Jeroen) van Aken, den die Welt als Hieronymus Bosch kennt. Mit diesem an seine brabantische Heimatstadt ’s-Hertogenbosch angelehnten Namen hat er signiert. Heute gelten 24 Gemälde sowie eine kleine Reihe von Zeichnungen als eigenhändige Werke verbürgt. Im Übrigen hatte Bosch Schüler und war eine Sensation schon zu Lebzeiten. Sein pandämonisches Universum voll grotesker Mischwesen und Monster in einem Irrgarten der Lüste und Foltern, bevölkert von fliegenden Fischen, fantastischen Frucht- und Furchtblasen, von spukenden Eiern, Teufeleien oder einem als Nonne verkleideten Schwein, diese geniale Wahnsinnswelt scheint nicht nur den Surrealismus und die Science- Fiction vorausgeträumt zu haben. Sie wirkt wie eine Vision aller Zeiten.

Außer den Bildern aber wissen wir fast nichts vom Künstler Bosch, nicht einmal sein Geburtsjahr (um 1450). Keine Briefe, keine eigenen Worte. Doch Bosch war wohlhabend verheiratet, verkaufte seine Gemälde hoch bezahlt bis an den spanischen Hof, und womöglich hatte ihn sein Ansehen als Mitglied der noch heute bestehenden Bruderschaft Unserer Lieben Frau vor dem schon bald erhobenen Verdacht des Teufelswerks und der Einnahme von Hexenkraut und bewusstseinserweiternden Drogen geschützt.

Heute haben nun alle, die der großen Jubiläums-Werkschau weder nach ’s-Hertogenbosch noch ab Ende Mai in den Madrider Prado nachreisen können, immerhin die Droge der Literatur. Eine vorzügliche Einführung bietet Nils Büttner „Hieronymus Bosch“ (C.H. Beck Verlag, München, 128 Seiten, 8,95 Euro). Büttners illustrierte Werkbiografie zitiert auch José de Sigüenza, den Prior des zum spanischen Königsschloss El Escorial gehörenden Klosters, der um 1604 bemerkte, dass andere Künstler „den Menschen malen, wie er von außen aussieht“, Bosch hingegen „den Mut hat, ihn so zu malen, wie er im Inneren ist“. Damals ein kühnes Wort, drei Jahrhunderte vor Professor Freud.

„Eine düstere Vorahnung“ nennt so im Untertitel Cees Nooteboom seine „Reisen zu Hieronymus Bosch“ (Schirmer/Mosel Verlag, München, 77 Seiten, 29,80 Euro). Der kunstliebende Schriftsteller ist seit 60 Jahren immer wieder in den Museen der Welt den Spuren seines Landsmanns gefolgt, und das Staunen hat kein Ende. Nootebooms mit wunderbaren Details aus den figurenwimmelnden Bosch-Bildern illustrierter Reiseführer zitiert dabei seinen Kollegen Harry Mulisch: dass es angesichts aller Rätsel das Beste sei, „das Rätsel zu vergrößern“. Nooteboom selber meint, es sei im Lichte der künstlerischen Evidenz doch gleich, ob bei Bosch „ein Schlüssel immer Wissen bedeutet und eine Muschelschale Untreue (...) oder eine Ratte stets für Sex oder Lügen an die Adresse der Kirche steht ...“.

Empfehlenswert ist hier zur Vertiefung natürlich der Jubiläums-Ausstellungskatalog „Hieronymus Bosch. Visionen eines Genies“ oder gleich das Chef d’Oeuvre der offiziellen Forschung „Hieronymus Bosch. Maler und Zeichner. Catalogue raisonné“, das auch Röntgenbilder einzelner Werke bietet (beide im Belser Verlag, Stuttgart, 192 und 607 Seiten, 24,99 und 99,- Euro).

Was Bosch sein „Garten der Lüste“ war, ist Jörg Immendorff sein „Café Deutschland“ gewesen: und der Betrachter mittendrin. Tilman Spenglers „Waghalsiger Versuch, in der Luft zu kleben“ (Berlin Verlag, 160 Seiten, 18,- Euro) ist nun beileibe kein „Roman“, wie behauptet, sondern eine Sammlung von funkelnden, auch mal flunkernden Prosastücken, die Spenglers Begegnungen mit dem Düsseldorfer Malerfreund skizzieren. Luzide, witzig, einfühlsam. Ob bei Immendorffs Totenfeier mit Altkanzler Schröder oder bei Jörgs Taufe (hier die Final-Szene mit vorausweisendem Gebrüll), ob als Toter oder als großes Kind, immer schwebt der Künstler mit erhellenden Zitaten durch den Raum. Und als er, von der tödlichen Nervenkrankheit ALS gezeichnet, in einer Pekinger Privatklinik noch auf Stammzell-Injektionen in den eigenen Schädel hofft, erkennt er: „Krankheitsbilder sind genauso Bilder wie alle anderen auch. Sie zeigen die Person, die das ganz individuell gestaltet hat. Wie die Kunst.“

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