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Meister der Durchhörbarkeit. Der 90-jährige Dirigent Herbert Blomstedt.

© Martin Lengemann

Herbert Blomstedt bei den Berliner Philharmonikern: Wach & weise

Der schwedische Dirigent Herbert Blomstedt spielt Mozart und Bruckner mit den Berliner Philharmonikern.

Er dirigiert jetzt im Sitzen, man ist fast erleichtert. Mit seinen 90 Jahren und nach der Jubiläumstournee zum 275. des Leipziger Gewandhausorchesters, die er selbst leitete, macht Herbert Blomstedt trotz dieses kleinen Zugeständnisses an die Nebenwirkungen unermüdlichen Konzertierens wieder einen ungemein frischen, fast jugendlichen Eindruck. Kein anderer Dirigent dieser Tage vereint Wachheit und Weisheit, Weltnähe und Spiritualität derart meisterlich wie der hochgewachsene Schwede.

Bei Mozarts A-Dur-Klavierkonzert KV 488 animiert er die Berliner Philharmoniker zum duftigen Spiel. Behutsam-behände Diktion, keine Rubati, keine Schwermut, jeder Takt ein Kleinod. Das Adagio, einer der schönsten langsamen Sätze der Konzertliteratur, intoniert Maria João Pires mit abgründiger Schlichtheit, im zärtlichen Dialog mit den Holzbläsern. Zwei Königskinder, die einander voll Wehmut ihre Liebe zurufen. Im Kopfsatz hätte sich die sonst so nuanciert phrasierende portugiesische Pianistin noch fast verstolpert; ihre rechte Hand drohte der linken davonzulaufen. Aber es macht nichts, Klang ist Bewegung, da sind Pires und Blomstedt sich einig.

Leise vibrierender Urgrund

Folgt Bruckners Dritte, die Urfassung der d-Moll-Symphonie von 1873 mit ihren harten Zäsuren und den „Tristan“- und „Tannhäuser“-Zitaten. Nicht leicht, die Klangpracht in Worte zu fassen, die Blomstedt entfaltet und entfesselt, allem voran seine Crescendi, die ausgehend vom anfänglichen Schöpfungsszenario mit dem archaischen Quart-Quint-Motiv ganze Universen eröffnen. Blomstedt legt keinen dröhnenden, sondern einen leise vibrierenden Urgrund, evoziert ein funkelndes, aber niemals wuchtiges Blech und ein Fortissimo, dem Blomstedt und die Philharmoniker alles Gewalttätige nehmen. Was an der Klarheit und Transparenz liegt, mit der noch die synkopisch verschobenen apokalyptischen Streicher-Tutti im Finalsatz versehen sind. Allein wie er Bruckner kühne Triolen-Duolen-Reibung auskostet: Blomstedt ist auch ein Meister der Durchhörbarkeit. Die tänzerischen Seitenthemen versieht er mit betörendem Flair – und im finalen Allegro mit sämigem Legato. Sonst tanzen die Streicher hier eher Polka, diesmal liegen sie einander in den Armen.

Herbert Blomstedt schenkt der Welt einmal mehr sein berühmtes Lächeln, eine Freundlichkeit, die noch lange nachwirkt an diesem Abend.

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