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Nachtfalter. Das HKW mit seiner Henry-Moore-Plastik.

© Sabine Wenzel/HKW

Haus der Kulturen der Welt: Die neuen Perlen der schwangeren Auster

Das HKW ist runderneuert worden. Mit einer Reihe über das Ende der Nationalstaaten startet der Betrieb wieder. Ein Rundgang mit Direktor Bernd Scherer.

Im neuen Licht kommt das wahre Gesicht des Hauses endlich zur Geltung. Die Farbgebung im Foyer beispielsweise, die anhand des ursprünglichen Konzeptes aus den 50er Jahren rekonstruiert wurde, erstrahlt nun unter erstklassigen Scheinwerfern. Sicher, das mag nur dem geschulten Betrachter auffallen. Aber gravierendere Veränderungen lässt der Denkmalschutz im Haus der Kulturen der Welt ohnehin nicht zu.

Seinem Direktor Bernd Scherer ist das nur recht. „Meiner Erfahrung nach haben wir überall dort, wo der Originalzustand wiederhergestellt wurde, gewonnen“, sagt er beim Rundgang durch die frisch renovierten Räume. Scherer leitet das HKW im elften Jahr und hat schon die erste „Teilinstandsetzung“ 2006 und 2007 miterlebt. 2012 bewilligte der Bundestag zehn Millionen Euro Sonderförderung für weitere Baumaßnahmen. Im Berliner Maßstab keine nennenswerte Summe also. Schon gar nicht, wenn es darum geht, eine Institution für die Zukunft zu rüsten.

Direktor Scherer schwärmt für die alte und neue ästhetische Qualität

Nicht alle Neuerungen sind sichtbar. Im Auditorium wurde der verrottete Schallschutz hinter sämtlichen Holzpaneelen an den Raumseiten ausgetauscht, ebenso wie die Scheiben in den Dolmetscherkabinen, die eine ungünstige Krümmung aufwiesen. Schlecht für die Akustik. Was dagegen sofort ins Auge fällt, ist der neue Boden aus Gussasphalt in der unteren Etage. Oder die komplett neue „Ausstellungshalle 2“, die auf fünf Meter erhöht wurde und eine Lichtdecke erhalten hat. „Das Haus“, schwärmt Scherer während der Führung ehrlich entflammt, „besitzt eine ungeheure ästhetische Qualität“. Und das ist nicht einfach schöngeistig gemeint. „Ästhetik“, fasst Scherer das ungeschriebene Motto seines Hauses zusammen, „ist Welterfahrung“.

Neun Monate haben die Bauarbeiten im HKW gedauert. Wie es sich gehört für eine schwangere Auster. Die erste Veranstaltung, die nach der Wiedereröffnung im Februar bereits über die Bühne ging, war die Transmediale. Nun nimmt der reguläre Betrieb an der John-Foster-Dulles-Allee wieder Fahrt auf. Beginnend in Kürze mit dem dreitägigen Forum „Die Jetztzeit der Monster. What Comes After Nations?“. Der Titel spielt auf ein Zitat des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci an, aus dessen „Gefängnisheften“: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster“.

Eine Sprache für die sich rasant wandelnde Gegenwart finden

Das HKW, 1989 in der zwecklos gewordenen Kongresshalle eröffnet, war anfangs ja auch so ein seltsames Zwischenzeitding. Hingesetzt in der Wende-Ära, als Berlin ausschließlich mit sich selbst beschäftigt war. Als die Welt sich nur um West und Ost und das Gleichgewicht zwischen beiden zu drehen schien und man die übrigen Kulturen, wie Asien oder Lateinamerika, noch mit dem wohlwollenden Blick des bildungsreisenden Folkloristen zu betrachten pflegte.

„Der Westen als Rahmen der Beurteilung“, sagt auch Bernd Scherer über die Frühphase des HKW, „wurde nicht infrage gestellt“. Die Tendenz des Hauses sei – bis zur „postkolonialen Phase“ mit Ausstellungen wie „The Short Century“ oder „Black Atlantic“ Anfang der 2000er – vor allem kompensatorischer Natur gewesen. „Man wollte vorführen, dass die Künstler, die man einlud, auch im Hamburger Bahnhof oder in der Nationalgalerie hätten ausstellen können.“

Das ist passé. Scherer hat nie versucht, Museum oder Universität zu spielen. „Dass wir in keine westliche Tradition von Institution passen, kann ein Vorteil sein“, findet er. Im Gegensatz zum Humboldt-Forum oder auch der Volksbühne müsse das HKW eben keine spezifische Tradition bedienen. Womit er natürlich recht hat. Die historischen Dimensionen sind andere. Das Humboldt-Forum soll ein kulturelles Erbe ins 21. Jahrhundert übersetzen, Chris Dercon die Geschichte der Piscator-Volksbühne fortschreiben. Die Aufgabe von Scherer und seinem Team ist es, eine Sprache für die sich rasant wandelnden Realitäten der Gegenwart zu finden. Ästhetisch wie theoretisch.

Das anstehende Forum will über den Nationalstaat diskutieren

Dass auch das HKW bei all dem auf dem Boden von Geschichte steht, ist klar. Am Beispiel des eigenen Hauses wird das nun durch die Umbenennung des „Café Global“ im unteren Foyer in „Hirschfeld Bar“ betont. Der jüdische Arzt und Pionier der Schwulenbewegung Magnus Hirschfeld betrieb sein „Institut für Sexualwissenschaft“ genau dort, wo sich heute das HKW befindet. Bis der Naziterror ihn in die Emigration zwang. Das bleibt dem Ort eingeschrieben. Ebenso wie die Tatsache, dass die Kongresshalle Berlin von den Amerikanern geschenkt wurde, als Reeducation-Maßnahme, „um die neue Demokratie zu feiern“, erinnert Scherer.

Geschichte ist kein abgeschlossener Prozess. Eher eine fortlaufende Straße mit ungezählten Abzweigmöglichkeiten. Aus dieser Annahme ist am HKW die Reihe „100 Jahre Gegenwart“ entstanden, in der nun auch „Die Jetztzeit der Monster“ läuft.

Zur Diskussion steht der Nationalstaat, wie er sich nach der Pariser Friedenskonferenz von 1919 herausgebildet hat. „Die Idee der Nation geht von einer statischen, homogenen Bevölkerungssituation aus, die es eigentlich so nie gegeben hat“, erläutert Bernd Scherer in seinem Büro die Geburtsfehler im System. Migration, gar Flucht seien dabei nicht vorgesehen, die Non-Citizens würden entsprechend entrechtet. In der Bundesrepublik habe das Missverständnis schon mit dem Wort „Gastarbeiter“ begonnen. In den USA lebten heute ganze Schattenökonomien von Menschen ohne Bleiberecht. „Wenn Herr Trump die alle rauswerfen will, bekommt er ein echtes Problem“, so Scherer.

Dem Rechtsruck ein weltoffenes Sinnangebot entgegensetzen

Es sind ja herausfordernde Zeiten. Auch für sein Haus. Seit den Gründungstagen hat die Globalisierung beim Durcheinanderwirbeln der Weltordnung ganze Arbeit geleistet. Der Kulturbetrieb ist längst gründlicher politisiert als eine Bürgerversammlung zum Thema „Mein Kiez gehört mir!“. Kunst „an der Schnittstelle von“ ist Mainstream und wartet auf die Ablösung. Das HKW hat auf diese Entwicklungen reagiert, indem es von der Kulturvermittlung im Völkerverständigungsdunst zur theoretischen Tiefenbohrung übergeschwenkt ist. Mit Forschung an der Grenze zwischen Kultur und Natur, Mensch und Maschine. Eine Ausstellung im Herbst widmet sich dem „Kosmismus“: einer Philosophie von Orthodox-Religiösen im Russland des 19. Jahrhunderts, die mittels Technologie und Wissenschaft das ewige Leben zu verwirklichen suchten. Die Zukunft der Vergangenheit.

Die Gegenwart erscheint vor allem paradox. Auf der einen Seite steht heute eine technologische Beschleunigung, mit der Schritt zu halten schon begrifflich eine der härteren Übungen ist. Auf der anderen Seite erstarken neokonservative Kräfte, die ideologische Zuflucht in einer verklärten Vergangenheit versprechen, die so viele Lösungen parat hält wie eine Reparaturanleitung für den Ford T.

Die Rechtsparteien, beobachtet auch Scherer, machten im Chaos schwer verständlicher Prozesse ein Sinnangebot, nicht nur für ökonomische Verlierer. Freilich ein reaktionäres. „Die Herausforderung für Kultur-Institutionen ist es, dem ein weltoffenes Sinnangebot entgegenzusetzen“, sagt er. Und zwar, indem man die komplexen Realitäten nicht ausblende. Sondern durchleuchte und verständlich mache. Dafür hat das HKW jetzt auch wieder die technischen Möglichkeiten.

Die Jetztzeit der Monster. What Comes After Nations?: 23. - 25. März im HKW

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