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Enzensberger

© dpa

Hans Magnus Enzensberger: "Ich bin kein Baum"

Der Publizist Hans Magnus Enzensberger galt dem ganzen Land zeitweilig als Orakel. Zum 80. Geburtstag hat er vor allem einen Wunsch: immer beweglich bleiben.

Von Gregor Dotzauer

Wie gern wäre er noch heute den anderen immer zwei Schritte voraus. Und mit welcher Seligkeit würde er dabei stets einige Fußbreit über sich selbst schweben: ein Luftgeist, der auf den Winden der Ironie reist und sich bereits in seiner nächsten und übernächsten Rolle materialisiert, während sich die begriffsstutzigen Zeitgenossen noch mit der Spiegelung auseinandersetzen, die sie für die wahre halten. Hans Magnus Enzensbergers hartnäckiges Desinteresse an der eigenen Biografie, das er in dem mitreißend leichtfüßigen und familiären Arte-Porträt „Mein Leben“ seiner Freundin Irene Dische auch noch mit 80 Jahren bekundet, hat nicht nur damit zu tun, dass er tatsächlich wenig Einschneidendes erlebt hat, das auf literarischen Ausdruck gedrängt hätte, und auch die letzten Luftkriegsjahre ohne größere Traumata überlebt hat. Aus ihm spricht wohl die einzige große Angst dieses ansonsten unermesslich heiteren Mannes: einmal so festgenagelt zu werden, dass es ihm nicht gelingt, sich sofort wieder mit einer Pointe aus der Affäre zu ziehen.

„Ich bin kein Baum“, sagte er schon vor zehn Jahren in Ralf Zöllers sehr viel stilisierterem Porträt „Ich bin keiner von uns“, das jetzt in einer Doppel-DVD zusammen mit Fernsehschätzen aus den sechziger Jahren erschienen ist. „Ein Baum hat immer einen Standpunkt. Ein Mensch kann sich bewegen.“ Man muss Enzensberger nicht darauf hinweisen, dass Bäume dafür den Vorzug von Wurzeln haben. Seine Prinzipienlosigkeit, die zu Zeiten, als Intellektuelle nur im Brustton tiefster Überzeugung zu sprechen wagen durften, den Geist einer erfrischenden Opposition gegen ewige Werte atmete, würde er wahrscheinlich mit dem Hinweis auf die Tugenden einer traditionsreichen philosophischen Skepsis verteidigen.

Sein Pech ist nur, dass die Kunst, die eigene Originalität rein strategisch auszurichten, epidemisch geworden ist – sein Glück, dass er damit nicht mehr Karriere machen muss. Die Brillanz, mit der er erst mit der undogmatischen Linken flirtete, sich dann von ihrer Kultur verabschiedete und schließlich leugnete, ihr jemals zugeneigt gewesen zu sein, hat genau einmal für die Herausbildung der Marke HME gereicht.

Das gilt zumindest für den Publizisten, der zum bestbezahlten Essayschreiber der Bundesrepublik aufstieg, ohne dass man ihm vorwerfen könnte, er hätte sich jemals seine Unabhängigkeit abkaufen lassen. Auch dass er mit dem „Spiegel“ in einem Blatt schrieb, dessen Sprache er in frühen Jahren mit vernichtendem Ergebnis untersucht hatte, und mit der „FAZ“ eine Zeitung beglückte, deren Nachrichtenpolitik er einst unter dem Titel „Journalismus als Eiertanz“ abkanzelte, spricht nur für eine subversive Lust, die er in einem überschaubaren Feld von bundesrepublikanischen Leitmedien noch genüsslich auskosten konnte.

Alle Irrtümer, die er dabei machte, gehen auf seine Rechnung – auch der berüchtigte Vergleich zwischen Saddam Hussein und Adolf Hitler, den er 1991 im „Spiegel“ anstellte und der ihn in den Folgejahren zu einem Parteigänger Amerikas machte, wie es sich der antiimperialistisch gesonnene junge Mann wahrscheinlich nicht einmal selbst ausmalen konnte.

Enzensberger hat seine eigene Marke von Anfang an selbstbewusst gepflegt – und dabei immer Wert darauf gelegt, in erster Linie als Dichter betrachtet zu werden. Um zu verstehen, wie er mit einem Hauch intellektueller Abenteuerlust und einem guten Pfund thesenstarken Scharfsinns, aus der Gruppe 47 kommend, ein ganzes Land mit seinem sprachbewussten Charme so verzaubern konnte, dass es eine Art Orakel in ihm sah, muss man auf den DVDs der Filmedition Suhrkamp nur sehen, aus welcher absurden Ferne ein kleines Interview wie das der „Hessenschau“ vom Anfang der Sechziger in die heutige herüberschaut. In ihm spürt eine sichtlich ahnungslose Reporterin HME in seinem Frankfurter Apartment auf und lässt sich von ihm ein neues Gedicht vorlesen. Oder welch angestrengter Ton klingt auf in Peter Hamms Gespräch mit dem „Kursbuch“-Herausgeber in der Küche seiner Wohnung in der Berliner Fregestraße.

Geblieben ist nur Enzensbergers Art zu reden, in der das Spitzbübische immer ein wenig ans Süffisante grenzt. Ein Teil von ihm streckt sich überartikuliert nach dem Hochdeutschen, ein zweiter Teil bleibt in einer mittelfränkischen Färbung stecken, die jedes „das“ in ein „des“ umwandelt und jedes „l“ mit der Zungenspitze über den Rand der Schneidezähne schiebt. Woher das kommt, sieht man in Irene Disches Film. Sie reist mit Enzensberger nicht nur in sein norwegisches Refugium, sondern auch in die Stadt, in der er aufgewachsen ist: Nürnberg.

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