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Bernard Haitink, Maestro aus Amsterdam, ist den Philharmonikern in 51-jähriger Freundschaft verbunden.

© Promo/CSO

Haitink und die Berliner Philharmoniker: Die Rettung der Melodie

Kerzengerade steht der 86-jährige Bernard Haitink am Pult der Berliner Philharmoniker - und dirigiert Mozart sowie Bruckners Neunte.

Die Hörner sitzen rechts hinter den Celli, das sorgt für mehr Transparenz. Keine kompakte, alles zertrümmernde BlechFormation ist offenbar Bernard Haitinks Ansinnen bei Bruckners Neunter, sondern ein sorgsam abgemischter Klang, der noch bei den stampfenden d-Moll-Fortissimo-Tutti im Scherzo und den Dissonanzballungen im Adagio-Finale durchhörbar bleibt: dunkel gefärbt, mittelstimmengesättigt, aber entschlackt. Kerzengerade steht der 86-Jährige vor den Berliner Philharmonikern, denen er in über 50-jähriger Freundschaft verbunden ist, und rettet, ausgerechnet, die Melodie aus Bruckners wuchtiger Weltuntergangs-Symphonik.

Von wegen Architektur und Abstraktion, von wegen andere, ferne Welt: Dieser Bruckner ist fast schon von der gelassenen Heiterkeit eines Mozart infiziert, mit dessen C-Dur-Klavierkonzert KV 503 Till Fellner vor der Pause sein PhilharmonikerDebüt gegeben hatte: ein organisches, träumerisches, am Ende doch unverbindlich formvollendetes Zusammenspiel, mit diskreten Rubati und wohlerzogen vorgetragenen Kinderliedfloskeln.

Kein donnerndes Amen: Haitink zähmt Bruckner

Mühelos spannt der Maestro aus Amsterdam dann bei Bruckner die unermesslichen Bögen des 60-Minuten-Werks und nimmt sich schon im ersten Satz alle Zeit der Welt, ohne je den Zerfall ins Amorphe zu riskieren. Kein Abwärts-Pizzicato, das sich ins Nichts verliert, keine in Einzelteile aufgesprengte Motivik, keine schmerzhaften Vergeblichkeiten, kein donnerndes Amen. Sondern klar konturierte Figuren und verbindliche Sinnzusammenhänge, die einen zunächst aufhorchen lassen: Warum Bruckner nicht einmal nach rückwärts denken, statt immer die Modernität des Spätromantikers zu betonen? Aber das gespenstisch-unerbittliche Scherzo samt seinen mörderischen Unisono-Hieben mit derart konsequenter Legato-Kultiviertheit vorzutragen, bringt dann doch keinen Erkenntnisgewinn.

Haitinks legendäre Zurückhaltung, seine dienende Demut gegenüber dem Werk in allen Ehren. Aber man vermisst den glühenden Funken, die blutige Verzweiflung, die die Neunte doch prägt. Wer nicht in den Höllenschlund blickte, für den verliert die stille Zurücknahme mit den leeren Quinten der Schlusstakte jede metaphysische Dimension. Und die None zu Beginn des Adagios, diese schreiende Absage an die Epoche der Tonalität, sie verrutscht den Philharmonikern. Mit Verlaub, rhythmische Präzision wäre das Mindeste.

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