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Gitarrengöttin. Danielle Haim beim Berliner Auftritt ihrer Band.

© dpa-Zentralbild

Haim in Berlin: Luftballons und Metallsplitter

Hinterm Hype geht’s weiter: Haim beweisen im ausverkauften Berliner Astra, dass sie eine großartige Rockband mit immensem Potenzial sind. Labyrinthische Wechselgesänge, tolle Gitarrensoli, coole Sprüche und eine ziemlich charmante Spontancoverversion von "99 Luftballons" - yeah!

Von Jörg Wunder

Wohin geht die Reise für Haim, das im letzten Jahr schwer gehypte Schwesterntrio aus Kalifornien? Trotz des Gezerres um ihr Debüt, das nach mehrfach verzögerter Veröffentlichung einfach zu spät kam, um die Vorschusslorbeeren in Verkäufe umzumünzen, scheinen Este, Danielle und Alana Haim bei ihrem dritten Berlin-Konzert bester Stimmung zu sein. Mit Recht, denn so schlecht läuft es nicht. Immerhin haben sie ihr Publikum wieder verdoppelt: Nach dem Grünen Salon kam das Lido und nun das fast 2000 Leute fassende Astra – selbstredend ausverkauft.

Ob das so weitergeht, hängt davon ab, ob die Fans bereit sind, den Wandel der Band mitzugehen. Schon jetzt ist es verblüffend, wie gut das schmale Repertoire – gerade mal ein Dutzend Songs – die Experimentierlust der drei verträgt. Dass sich der Sound weg von luftigem Pop mit Achtziger-Anmutung in Richtung Rock verschiebt, mag dem exponenziell wachsenden Können geschuldet sein. Danielle etwa ist als Gitarristin mittlerweile so gut, dass es falsche Bescheidenheit wäre, wenn sie das nicht auch zeigen würde. So zieht sie eine Schleifspur splitternder Metal-Riffs durch das tolle Fleetwood-Mac-Cover „Oh Well“ oder streuselt Morsezeichenlicks in „If I Could Change Your Mind“, während sie mit ihren Schwestern labyrinthische Wechselgesänge zelebriert, das Markenzeichen von Haim.

Dabei hat ihre Virtuosität nichts Demonstratives, bleibt dosiert und strikt songdienlich. Eigenschaften, die für die gesamte Performance der Band gelten – das schließt den Schlagzeugwüterich Dash Hutton und einen neuen Keyboarder mit ein. Danielle Haim ist Zentrum und ruhender Pol, Extrovertiertheiten überlässt sie ihren Schwestern: Este wirft sich in ironische Rockstar-Posen, fertigt freche Zwischenrufer ab und stimmt spontan Nenas „99 Luftballons“ an – vielleicht hat sie – mit 27 Jahren die Älteste – Nenas Gassenhauer ja mal im Kindergarten gehört. Die Jüngste, Alana, spielt im dreistimmigen Chor eine immer wichtigere Rolle, was man vor allem bei aggressiveren Stücken wie dem R’n’B-Kracher „My Song 5“ hört. Die Hits werden zur Versuchsanordnung: „Don’t Save Me“, „Falling“ und „Forever“ sind auch in ihren rockigen Häutungen fantastische Popstücke, deren melodischen Verästelungen selbst die obligatorischen Mitklatschwellen nichts anhaben können. Nach 70 Minuten mündet die Zugabe „Let Me Go“ in ein so sinnloses wie lustiges Kollektivgetrommel der Schwestern. Alles gut im Hause Haim.

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