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Der Göttinger Multiinstrumentalist Gunter Hampel.

© picture alliance / dpa

Gunter Hampel live in Berlin: Freidrehende Pirouetten

Jazz-Legende Gunter Hampel feierte seinen 80. Geburtstag im Berliner Gretchen mit dem Omniversal Earkestra und einer tollen Tanztruppe.

Zwischen Bühne und Backstage hebt die Magie an. Zuerst erklingen leise Bläsersalven von Tenorsaxofon und Bassklarinette. Die Bühne ist noch leer. Frei schwirren die kurzlebigen Noten umher, strahlen raus in den vollen Saal, hinein in verdutzte Gesichter. Auf der Bühne ist allmählich eine vierköpfige Tanzgruppe zu erkennen, sie kriecht in Zeitlupe über den Boden.

Viele im Raum tuscheln, manch einer fragt: Was passiert? Und wo sind wir gelandet? Die Antwort lautet: im Gretchen, beim zweiten Konzert der Reihe „Seven Large Ensembles“, die bis Mitte Oktober Jazz-Großformationen in der Hauptstadt präsentiert. Das Omniversal Earkestra, bekannt von seinen allwöchentlichen Montagskonzerten an verschiedenen Berliner Orten, spielt an diesem Abend zusammen mit Jazz-Altmeister Gunter Hampel. Der wiederum feiert seinen 80. Geburtstag – inklusive Tortenempfang und Kerzenauspusten auf der Bühne. Der Göttinger Multiinstrumentalist gehört seit den Sechzigern zur Speerspitze der europäischen Avantgarde.

Vier Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich vor der Band

„Gunter Hampel Music + Dance Improvisation Company“ heißt das Bühnenkonzept, das die erste Hälfte des Abends bestimmt. Dazu tritt nicht die ganze Big-Band-Besetzung an: Hampel, der zwischen Vibrafon, Bassklarinette und Flöte wechselt, wird begleitet von Schlagzeug und Tenorsaxofon. Dazu kommt die ungeheure Stimmgewalt seiner Tochter, der Jazzsängerin Cavana Lee Hampel. Im Vordergrund stehen die vier Tänzer und Tänzerinnen aus Brasilien, Taiwan, Deutschland und den USA, die das Spektakel ausdrucksvoll umspielen. Dieser Teil des dreistündigen Abends ist das Highlight.

Gespielt werden Kompositionen von Gunter Hampel, wie das wunderschöne „Writing To You“, bei dem Vater und Tochter die zarte Melodie der Ballade mit Vibrafon und Stimme hinhauchen. Der Großteil der Stücke jedoch hat wilden, experimentellen Charakter: kollektive Klangeskapaden, bei denen besonders der Dialog der beiden Bläser für viel Krach und Zündstoff sorgt. Trotzdem ist das hier kein Free Jazz. Dafür werden die Arrangements zu oft durch die furios auf den Becken verzierten Grooves des Drummers Bernd Oezsevims unterbrochen, oder besser gesagt: bereichert.

Sie beschwören den Geist von Sun Ra

Was Hampel und sein Ensemble leisten, ist immens. Es macht sich positiv bemerkbar, dass er schon mehr als 15 Jahre mit dem Saxofonisten Johannes Schleiermacher und Schlagzeuger Oezsevim auftritt. Ihre meist improvisierten Exkursionen, die den Sound des lange in Europa beheimateten Art Ensemble of Chicago und des kosmischen Jazz-Propheten Sun Ra beschwören, sind kommunikative Schöpfungen im Augenblick auf technisch höchstem Niveau.

Der heimliche Star des Abends aber ist Cavana Lee Hampel. Sie singt, zischt, atmet rhythmisch ins Mikrofon, lotet das komplette Register ihrer stimmlichen Möglichkeiten aus und treibt die Band so unablässig nach vorne. Vor ihr führt die vierköpfige Tanzgruppe ein improvisatorisches Katz- und Mausspiel auf und sorgt mit Capoeira-artigen Dialogen, zuerst in Slow Motion, dann immer schneller, für ekstatische Spannungsbögen. Sie schafft es, die turbulenten Klangwelten der Band nicht nur zu begleiten, sondern zu komplettieren. Beispielhaft dafür steht eine Soloeinlage der 25-jährigen Ching Mei, die die Musiker mit ihren frenetischen Pirouetten zu Höchstleistungen antreibt.

Als die Big Band spielt, hat sich Ermattung eingestellt

Nach der fulminanten Show gibt es eine kleine Umbaupause. Die rund 20-köpfige Band des Omniversal Earkestra spielt im Anschluss unter der Regie von Hampel Stücke aus seiner Feder wie den sphärischen „Waltz for Three Universes in a Corridor“. Doch irgendwie ist nach dem stürmischen Start die Luft raus. Nicht bei den Musikern, die weiterhin formidabel aufspielen. Doch im Saal hat sich eine gewisse Ermattung eingestellt – wie nach dem Schlemmen an einem reichhaltigen Buffet. Satt ist nun mal satt, da kann man noch so viel auf die üppige Auslage schielen. Und Hampels experimenteller Jazz, den der jetzt 80-Jährige immer noch locker aus der Tasche schüttelt, ist eben keine leichte Kost.

Ken Münster

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