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Sesede Terziyan als Verkäufein Elisabeth und Taner Şahintürk als Polizist Alfons Klostermeyer.

©  Ute Langkafel/Gorki

"Glaube Liebe Hoffnung" am Gorki: Ungefährliche Abziehbilder

Hakan Savaş Mican inszeniert Ödon von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ am Berliner Maxim Gorki Theater.

„Im Oktober werden es acht Monate, dass ich abgebaut worden bin“, sagt Elisabeth zu Beginn im Maxim Gorki Theater kämpferisch, „aber ich habe den Kopf nicht hängen lassen.“ Und wie um dieses Selbsterbauungsstatement zu unterstreichen, zieht sie sich vital die Lippen nach.

Neunzig Minuten später wird die Sache mit dem erhobenen Haupt, dem geschminkten Mund und dem aufrechten Gang freilich nur noch nach einer zynischen Leerformel klingen, nach einem hoffnungslos dysfunktionalen Beliebigkeitsmantra. Da steht Elisabeth, die nach einem Suizidversuch noch einmal aus dem Wasser gefischt wurde, tropfnass an der Rampe, bis ihr schlussendlich das Herz versagt.

Dazwischen liegt Ödon von Horváths szenische Abwärtsspirale „Glaube Liebe Hoffnung“. Und gemessen daran, wie restlos Elisabeth im Laufe des Stückes aller drei Kategorien verlustig geht, wirkt der Untertitel „Ein kleiner Totentanz“ fast noch ein bisschen euphemistisch.

Elisabeths kleine Notlüge fliegt natürlich auf

Die adrette Dunkelhaarige im weinroten Kleid, die im Gorki von Sesede Terziyan mit einem ordentlichen Schuss Berliner Raubeinigkeitscharme gespielt wird, meldet sich zu Beginn im Anatomischen Institut, um quasi prospektiv ihre Leiche zu verkaufen. Von den erwarteten hundertfünfzig Mark will sie, so erzählt sie es dem „Präparator“, einen Wandergewerbeschein bezahlen, den sie für ihre Außenhandelstätigkeit als Dessousverkäuferin braucht.

De facto muss die toughe junge Frau davon allerdings eine Geldstrafe abstottern, weil sie bereits ohne Erlaubnis gearbeitet hatte. Die kleine Notlüge fliegt natürlich auf, und von da an geht es für Elisabeth immer steiler nach unten.

Was vor allem daran liegt, so will es Horváths in den frühen dreißiger Jahren entstandenes Stück, dass das Geld- und Machtmilieu, also die Herren Oberinspektoren und die (Ehe-)Frauen Amtsgerichtsrat, schmierig zusammenhalten und kungeln, während die viel zitierten kleinen Leute nicht nur für jede noch so läppische Pseudo-Verfehlung hart bestraft, sondern gesellschaftlich einfach schon mal aus Prinzip geächtet werden.

Ressentiments, die klingen wie bei Pegida abgelauscht

Inszeniert hat den um einige Textpassagen aus anderen Horváth-Stücken angereicherten Abend der Regisseur Hakan Savaş Mican, der am Gorki als Fachmann für solche „Kleine Leute“-Dramen gilt. Zuletzt setzte er im besagten Segment Hans Falladas Bestseller „Kleiner Mann – was nun?“ in Szene. Prinzipiell interessiert sich Mican dabei vor allem für das im Stoff steckende Melodram, für die ewige, harte und am Ende aussichtslose Strampelei ums viel zitierte kleine Glück.

Um konkrete Gesellschaftsanalysen, zum Beispiel darum, wie genau sich die Oben-Unten-Inklusions-Exklusions-Dialektik knappe hundert Jahre später modifiziert hat, geht es ihm weniger.

Zwar lässt Mican den prekären Horváth’schen Kundenchor des Wohlfahrtsamts aus dem Dritten Bild durchaus fremdenfeindliche und Bildungseliten-Ressentiments äußern, die klingen, als wären sie einer Pegida-Kundgebung abgelauscht. (Horváth setzte sich ja ganz explizit in Stücken wie „Italienische Nacht“ oder dem Roman „Jugend ohne Gott“ kritisch mit dem aufkommenden Faschismus auseinander.) „Für jeden dieser Studenten zahlt der Staat 3500 Mark jährlich drauf“, ereifert sich in Micans Inszenierung etwa die „Arbeiterfrau“ gegenüber einem Jungakademiker in spe. „Unser Geld ist das, vom kleinen Mann das Geld! Heut’ sag ich mal meine Meinung!“ Und ein „Invalider“ schwadroniert, „der Staat“ sei „nicht sicher, weil ihn die Juden beherrschen.“ Schließlich gerät auch dem Musiker Daniel Kahn, der den Abend brechtianisch-moritatenhaft begleitet, die „Internationale“ schon mal zeitgeistdiagnostisch zur „Unternationalen“.

Der verliebte Schupo schenkt ständig Blumensträuße

Aber im Wesentlichen nimmt Mican auch diesmal den Plot eher zeitlos – und konzentriert sich insbesondere auf die rührseligen Szenen. Einen großen Auftritt hat hier, mal wieder, Taner Şahintürk: Als „Schupo“ Alfons Klostermeyer, der sich zwar einerseits so herzig in Elisabeth verliebt, dass er ihr mit entsprechendem Slapstick-Zirkus aus jeder Bühnenecke einen neuen Strauß Herbstastern hervorzaubert, aber andererseits auch wiederum nicht so heillos, dass er ihretwegen etwa seine Karriere gefährden würde.

Neben Sesede Terziyans anfänglich so überlebenswilliger und final gebrochener Elisabeth ist Şahintürks Polizist damit auch die differenzierteste Figur des Abends. Elisabeths Gegenspieler sind und bleiben eindimensional böse: die verlogen-hartherzige Unterwäscheverkäuferin Irene Prantl (Orit Nahmias), der stets mit unheilvoll hallenden Schritten aus der Tiefe von Sylvia Riegers abstrakt dunkler Bühne an die Rampe schreitende Oberinspektor (Lea Draeger) oder der obrigkeitshörige Präparator (Mehmet Ateşçi). Sie sind fiese, stromlinienförmig gegelte, gewissenlose Abziehbilder. Und damit letztlich ziemlich ungefährlich.

Nächste Vorstellungen: 17. Januar sowie am 9. und 13. Februar

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