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Großmaul. "Der große deutsche Menschenfresser", Karikatur auf den preußischen König Wilhelm I., entstanden 1870/71 zum deutsch-französischen Krieg.

© DHM

„Gier nach neuen Bildern“ im DHM: Blut und Tinte

Das Deutsche Historische Museum zeigt Flugblätter, Bilderbögen und Comics. Sie fungierten als Vorläufer der Pressefotografie, übermittelten aber auch Hass und Fake News.

Die Tiara ist die Krone des Papstes, eine kegelförmige Kopfbedeckung mit drei umlaufenden Diademen, die von einem Kreuz überragt wird. Dreht man sie um, wird sie zum Gefäß. Auf einem Flugblatt, das um 1545 in der Cranach-Werkstatt in Wittenberg entstand, benutzen drei Männer, Bauern oder Landsknechte, eine so gekippte Tiara als Toilette. Sie scheißen buchstäblich auf den Papst. Darunter stehen Verse, die von Martin Luther stammen: „Papst hat dem Reich Christi gethan / Wie man hie handelt seine Cron.“

Luther war, das ist 500 Jahre nach seinem Thesenanschlag fast vergessen, ein leidenschaftlichen Pöbler, Polemiker und Populist. In seinen Angriffen auf den römischen Klerus sparte der promovierte Theologe nicht mit Unflätigkeiten. Das Deutsche Historische Museum zeigt in seiner Ausstellung über die „Gier nach neuen Bildern“ fünf Flugblätter, die Luther und Cranach veröffentlichten, als Papst Paul III. das Konzil von Trient einberufen hatte. Der Bibelübersetzer hatte seinen italienischen Rivalen bereits als „Teufelsdiener, Lästerer, Chef der Hurenkirche“ beschimpft, doch so tief unter die Gürtellinie war er noch nicht angekommen: im Enddarm.

In der Ausstellung geht es, so der Untertitel, um „Flugblatt, Bilderbogen, Comicstrip“, niederen Gattungen der Kunstgeschichte mithin. Gezeigt werden 180 Blätter aus fünf Jahrhunderten. Die „Ereignisgrafik“, so der Fachterminus, gilt als arme Schwester der Historienmalerei, hatte allerdings den Vorteil, schneller auf Geschehnisse reagieren zu können. Weil nur ein kleiner Teil der Bevölkerung lesen konnte, fungierten die Bilderbögen, die oft aus München, Nürnberg oder Neuruppin stammten, bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als wichtigstes Nachrichtenmedium. Sie waren ein Vorläufer von Pressefotografie und Fernsehbildern. Allerdings hatten die Zeichner stets mit der Zensur zu kämpfen. Satire war nur erlaubt, wenn sie nicht der Obrigkeit galt, und calvinistische Geistliche verurteilten die Bildermacherei gleich generell, weil sie – so Kuratorin Leonore Koschnik – „die Menschen verderben“ würde.

An schrecklichen Taten mangelte es nie

Aber waren sie nicht ohnehin schon verdorben? Die Menschen interessierten sich auch in der Frühen Neuzeit schon für Sex und Crime, und die Händler, die Flugblätter und Bilderbögen auf den Märkten verkauften, bedienten diese Neugier. „Wahrhaffte Abconterfectur der Erschrocklichen Wundergebort“ ist ein Augsburger Blatt von 1560 überschrieben, das eine Missgeburt mit vier Armen und Beinen zeigt. Andere Exponate in der ersten von drei Ausstellungsabteilungen, die den „sensationellen Neuigkeiten“ gewidmet ist, präsentieren die an den Hüften zusammengewachsenen Siamesischen Zwillinge von Preßburg, den Ausbruch des Ätnas 1669 oder die Hinrichtung des jüdischen Finanzberaters Joseph Süß Oppenheimer 1738 in Stuttgart, ein antisemitisches Exempel mit zwölf Meter hohem Galgen.

Die Holzschnittmacher, Kupferstecher und Bildbetexter verfügten über die Instinkte heutiger Boulevardreporter. An „jämmerlichen“, „erschröcklichen“, „grewlichen“, „abschewlichen“, „gotteslästerlichen“ oder „verzweifelten“ Taten mangelte es nie. So erwürgt Jörg Kleck, ein rechtschaffener Bürger aus der Umgebung der Schweizer Stadt Schaffhausen, 1561 seine in den Wehen liegende Ehefrau und ihre zwei kleinen Kinder, um sich anschließend zu erhängen. Ein kolorierter Holzschnitt, der in Augsburg gedruckt wurde, stellt seine Mordtat neben die Bestrafung. Die Leiche des amoklaufenden Familienvaters wird symbolisch über einen Acker geschleift. Kein Verbrechen ohne Vergeltung. So verlangte es die göttliche Ordnung.

Bilder können Waffen sein

Die frühen Bildmedien mochten sich als neutrale Nachrichtenübermittler geben, waren aber meist parteiisch. Das zeigt sich etwa im deutsch-französischen Krieg von 1870/71, wo beim „Kampf der Beiern“ auf einer Dresdner Farblithografie Kavalleristen mit gezückten Degen bei Sedan angreifen, während gleich daneben auf einem Blatt aus Epinal republikanische Truppen eine Barrikade in einem Loire-Städtchen gegen die Preußen verteidigen. Sie verloren gegen die Eroberer, doch trotzdem sei die Episode „eine der schönsten Geschichten des Krieges“ gewesen, versichert die Bildzeile. Die Heldenposen gleichen einander, nur die Stoßrichtung der Begleittexte unterscheidet sich. Bilder – das zeigt die Ausstellungsabteilung über „Propaganda und politische Satire“ – können Waffen sein. Manchmal gibt es dabei auch Tote.

Denn Köpfe mussten rollen. Auf einer furiosen Karikatur des britischen Zeichners James Gillray von 1793 stirbt der französische König Ludwig XVI. unter der Guillotine, während vom Haupt des Oberhaupts bereits eine rote Blutwolke Richtung England emporsteigt und nach Rache ruft. Auf dem Titelbild des NS-Satiremagazins „Die Brennnessel“ schlägt ein SA-Mann 1932 mit der Sense schwungvoll die Köpfe von Kommunisten, Sozialdemokraten und Pfaffen ab. An ihren Physiognomien sind einige von ihnen als Juden zu erkennen. Im anschließenden Reichstagswahlkampf gab es 99 Tote, ein Bruchteil der Opferzahlen des Holocausts, der mit derlei Satire vorbereitet wurde.

Die Comics gehören zu den wertvollsten Exponaten

Auch große Künstler waren sich nicht für Propaganda zu schade. Kasimir Malewitsch und Wladimir Majakowski feierten mit dynamisch-knallbunten Kompositionen, die sich an den traditionellen Lubok-Volksbilderbögen orientierten, die russischen Siege im Ersten Weltkrieg. George Grosz attackierte im links-anarchischen Kampfblatt „Die Pleite“ die Freikorps- und Reichswehr-Reaktionäre als Unmenschen mit Monokel.

Die Ausstellung reicht bis in die gegenwärtigen Kulturkämpfe der „Titanic“-Titelbilder und Mohammed-Karikaturen von „Charlie Hebdo“. Gebrauchsgrafik gehört zu den besonders preiswerten Kunstformen, bei Erscheinen besitzt sie kaum mehr als Papierwert. Gerade deshalb ist sie paradoxerweise inzwischen so kostbar. So dürften die frühen amerikanischen Comic-Beilagen mit den „Katzenjammer Kids“, „Hans und Fritz“ oder „Max und Moritz“ zu den wertvollsten Exponaten zählen. Sie wurden zwar hunderttausendfach gedruckt, meist aber schnell weggeworfen und erst spät von Museen gesammelt. Bei „Max und Moritz rollen hinab!“, einer Hommage des deutschstämmigen Zeichners Rudolph Dirks an Wilhelm Busch, geht es genau darum: Die Lausbuben rollen, festgespannt auf ein Fass, einen Berg hinab. Die kinetische Energie, die ihr Slapstick freisetzt, ist bis heute beeindruckend. Mit Max und Moritz nimmt ein ganzes Genre, die neunte Kunst, Fahrt auf.

Deutsches Historisches Museum, bis 8. April. Täglich 10–18 Uhr. Katalog (Theiss Verlag) 29,95 €.

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