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Wildes Wandbild. Vom Pop-Künstler Eduardo Paolozzi stammt das Blatt "B.A.S.H.", 1971, Farbsiebdruck und Collage.

© Katalog

"Gezeichnete Welten" im Museum für Architekturzeichnung: Die Fantasie an der Macht

Wir bauen auf Papier: Das Museum für Architekturzeichnung Berlin zeigt Meisterstücke aus Pop und Postmoderne von Eduardo Paolozzi bis Zaha Hadid.

1986 gab es Überlegungen, das handtuchschmale Grundstück am Kurfürstendamm Ecke Lewishamstraße zu bebauen – ein Grundstück, das durch einen Straßendurchbruch der siebziger Jahre entstanden war. Zaha Hadid, die damals nur Insidern bekannte Londoner Architektin irakischer Herkunft, lieferte eine Zeichnung, die allenfalls ahnen ließ, was für ein Gebäude sie für dieses Fleckchen vorsah; auf jeden Fall etwas sehr Dynamisches, wie ein geblähtes Segel.

Ein anderer Architekt durfte schließlich bauen; Zaha Hadids Zeichnung, nunmehr farbig zur Offset-Lithografie veredelt, gelangte in die Obhut des Direktors der Architectural Association, Alvin Boyarsky.

Die „AA“, wie sie stets gekürzelt wird, ist eine bereits 1847 gegründete private Lehranstalt für Architektur mitten in London, ein durchaus elitärer Verein – und stand 1971 kurz vor der Schließung, weil Maggie Thatcher, damals Bildungsministerin (!), die Schule von der Liste für staatliche Stipendien strich.

Realisierbarkeit war nicht die oberste Priorität der Werke

In dieser Situation wurde Alvin Boyarsky (1929–1990) zum Chairman gewählt. Er begegnete der institutionellen Krise, indem er die AA weit öffnete und international machte. Unter den Studierenden finden sich unter anderem heutige Größen der zeitgenössischen Architektur wie David Chipperfield, Rem Koolhaas oder eben Zaha Hadid.

Der in Kanada gebürtige Boyarsky öffnete die AA nicht nur für eine internationale Studentenschaft, sondern auch für neue Ideen: Es wurde die Zeit der Postmoderne. An die Stelle der schematisch gewordenen Nachkriegsmoderne setzte Boyarsky die Kraft der Zeichnung – und sammelte selbst, was in den Kursen des Hauses entstand, meist eher von Lehrkräften als von Studenten. Realisierbarkeit war nicht die oberste Priorität, um es vorsichtig auszudrücken.

Boyarsky hängte die – ihm persönlich zugedachten – Zeichnungen, Drucke und Collagen in sein Büro, auch als Anregung für alle, die bei ihm vorbeikamen. So entstand in den knapp 20 Jahren seines Direktorats eine ansehnliche Sammlung, von der 50 besondere Blätter jetzt in einer aus den USA übernommenen Wanderausstellung im Museum für Architekturzeichnung Berlin zu sehen sind.

Studenten wurden ihre Abschlusszeugnisse verwehrt

Jahrhundertelang war Architektur in Form von Traktaten und Lehrbüchern vermittelt worden, nun setzte sich die Zeichnung – im weitesten Sinne – an die Spitze. Boyarsky sorgte für internationalen Austausch durch unzählige Ausstellungen, Veröffentlichungen, Symposien; sein Motto war „Wir kämpfen die Schlacht mit den Zeichnungen an der Wand“. Dass das nicht nur harmonisch ablief, wurde 1983 klar, als einem ganzen Kursus das Abschlusszeugnis verweigert wurde, weil die Zeichnungen der Studenten „zu experimentell und cartoonartig“ seien.

In der Tat, Baubares wird man in den ausgestellten Arbeiten wenig finden können. Aber Kunstwerke aus eigenem Recht, das sind sie. Es kann also nicht verwundern, in der Ausstellung farbenfrohe Arbeiten des Brit-Pop-Künstlers Eduardo Paolozzi zu entdecken – der in Berlin ein längst verschwundenes Wandbild an der Kurfürstenstraße schuf – oder Collagen der italienischen Gruppe „Superstudi“".

Erst mit dem Computer konnten aus den Blättern baubare Entwürfe werden

Der AA nahestehende Architekten gaben ebenfalls, was auf ihren Zeichentischen lag: So der Amerikaner John Hejduk seinen Plan für das Prinz-Albrecht-Gelände, als von der „Topographie des Terrors“ noch keine Rede war, aber die Ideen für diesen verwunschenen Ort nur so blühten. Alexander Brodsky aus Moskau steuerte eine seiner Piranesi’schen Raumfantasien bei. Allein Frank Gehrys Krikelkrakel-Zeichnung für ein Bibliotheksgebäude in Hollywood lässt erahnen, wie aus einem Blatt Papier eventuell doch noch ein Gebäude werden konnte.

Glanzstück der Ausstellung ist aber doch die handkolorierte Druckgrafik „Die Welt (89 Grad)“ von Zaha Hadid, die all’ ihre frühen Pläne, Schnitte, Explosionszeichnungen vereinigt. Das Blatt wurde zu einem weithin verbreiteten, von vielen gesammelten Emblem der Postmoderne. Erst mit der Ankunft des Computers konnten aus solchen Blättern baubare Entwürfe werden. Es ist interessant sich zu vergegenwärtigen, dass zur selben Zeit in der ihrem Ende entgegentaumelnden Sowjetunion die durchaus vergleichbare Strömung der „Papierarchitektur“ lebte. Für beide gilt das Motto des Pariser Mai ’68: „Die Fantasie an die Macht!“.

Museum für Architekturzeichnung, Christinenstr. 18 (Pfefferberg), bis 24. September. Mo–Fr 14–19, Sa/So 13–17 Uhr. Katalog 32 €. – www.tchoban-foundation.de

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