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Alles hängt mit allem zusammen. Elzbieta Jablonskas Leuchtbuchstaben-Installation „Neues Leben“ an einem Ausflugsschiff.

© Elzbieta Jablonska/DB-Kunsthalle

Gegenwartskunst aus Polen: Mein Land, wohin treibst du?

Künstler beziehen Position: Die DB-Kunsthalle und das Polnische Institut in Berlin präsentieren zeitgenössische Werke unserer östlichen Nachbarn.

Das „Neue Leben“ biegt träge um die Ecke. Am Tag ist es blass und kaum zu erkennen – nachts aber leuchtet es verheißungsvoll. Wer nach diesem neuen Leben greifen will, muss schwimmen können. Denn die Leuchtlettern stehen auf einem Schiff. Das wiederum war sieben Tage lang für die Ausstellung „Common Affairs“ unterwegs, gemächlich von Naklo nad Notecia nach Berlin. Äußerlich ist die Arbeit der polnischen Künstlerin Elzbieta Jablonska all die Zeit dieselbe geblieben. Doch ihre Bedeutung hat sich mit jedem Flusskilometer verändert. Was bedeutet „Neues Leben“ in Polen? Was in Berlin? Und wer kann hier überhaupt „Nowe Zycie“ entziffern?

Elzbieta Jablonska hat die große Neonschrift vor Jahren von einer polnischen Genossenschaft übernommen. Hier war das – schon nicht mehr ganz so neue – gemeinsame Leben zu Ende, die Zeit der Marktwirtschaft brach an. Als Readymade steht die Arbeit nun im Polnischen Institut in Berlin und sprengt fast die Dimensionen des Ausstellungsraums. So bleibt im Institut bloß Platz für ein flankierendes Video über die Reise. Eine wunderbare, langsame Transformation unter nächtlichen Himmeln, sich wandelnder Botanik und fließenden Gewässern.

Renommierte Künstler sind dabei: Pawel Althamer und Monika Sosnowska zum Beispiel

Die übrigen Arbeiten von „Common Affairs“ sind in der Deutschen Bank Kunsthalle untergebracht. Dass es höchste Zeit sei, einen konzentrierten Blick auf die zeitgenössische Kunstszene des Nachbarn zu werfen, betonen die Partner des Projekts, das kleine Wellen in vielerlei Hinsicht schlägt. So hat man mit Julia Kurz aus Leipzig und Stanislaw Welbel aus Warschau zwei Kuratoren einer jüngeren Generation zusammengebracht. Ihre Liste war allerdings begrenzt: auf jene Künstler, die seit 2003 für den Views-Award entweder nominiert waren oder ihn tatsächlich gewonnen haben. Dazu gehören arrivierte Namen wie Pawel Althamer, Monika Sosnowska oder Agnieszka Polska und Witek Orski. Aber auch weniger etablierte Künstler.

Pawel Althamers "Cloak Room", 2003.
Pawel Althamers "Cloak Room", 2003.

© Elzbieta Seczykowska/Courtesy of Zacheta Natioanl Gallery of Art/DB-Kunsthalle

Hier schließt sich ein Kreis. Der mit 15000 Euro dotierte Preis wird von der Deutschen Bank gestiftet und hat sich über die Jahre zur wichtigsten Auszeichnung für Künstler in Polen entwickelt. Was einerseits zeigt, dass der privatwirtschaftlich initiierte Views-Award von staatlicher beziehungsweise institutioneller Seite kein Pendant hat. Seine Bedeutung fußt aber auch auf der starken integrativen Wirkung: Der Preis hat von Beginn an das polnische Publikum einbezogen. Es wählt seinen eigenen Liebling, der mit einem Stipendium belohnt wird.

Wie wichtig solche Strategien in einer Gesellschaft sind, die den zeitgenössischen Kunstdiskurs erst wieder aufnehmen musste, wird aus den begleitenden Materialien zur Ausstellung klar. Dies ist keine Schau, die sich leicht vermittelt – auch wenn die witzige, lockere Arbeit „Nowe Zycie“ das anfangs nahelegt. Auch die filmische Dokumentation der Gruppe Azorro, die sich vor über einem Jahrzehnt auf die Suche nach der „besten Galerie“ Berlins machten, ist eingängig und schnell zu verstehen. „The Cross“ von Piotr Wysocki, eine Video-Installation mit 14 kleinen Bildschirmen, verbindet sich schon viel konkreter mit der polnischen Geschichte, wenn sie den Flugzeugabsturz der Präsidentenmaschine 2010 in Erinnerung ruft und die anschließende Spaltung der Gesellschaft.

Traum und Scheitern: Der Sozialismus ist immer wieder Thema

Richtig tückisch wird es bei Rafal Jakubowicz. Der Künstler und Kunstkritiker, Jahrgang 1974, hat rostige Buchstaben an die Wand genagelt, die den Titel seiner Arbeit ergeben: „Bauhaus“. Dieselbe Typographie wurde von Franz Ehrlich, der am Bauhaus in Dessau studiert hatte, für die Inschrift über dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald verwendet: „Jedem das Seine“. Ehrlich war dort inhaftiert, entwarf im Geist einer Moderne, die bei den Nationalsozialisten verfemt war – und wurde später ein wichtiger Architekt im Sozialismus.

Sieben Buchstaben werden zum vieldeutigen Gebilde: Es geht um die Moderne, ihre Träume und das Scheitern sozialistischer Modelle. Und natürlich um die Gegenwart. Seit der Views-Award vor 13 Jahren erstmals vergeben wurde, hat sich die politische Situation in Polen extrem verändert. Da bleibt es nicht aus, dass einige der Künstler heute anders auf ihr Land schauen.

Die Kuratoren haben eine ungewöhnliche Lösung für dieses Thema gefunden. Die Ausstellung „Common Affairs“ trägt im Untertitel die Ergänzung „Revisiting the Views Award“ und räumt den Protagonisten die Möglichkeit ein, jene Werke zu zeigen, mit denen sie am Wettbewerb teilgenommen hatten, oder die Arbeiten neu zu interpretieren, ja sogar etwas völlig anderes zu zeigen. Das Ergebnis ist weit mehr als eine kleine Retrospektive, die den Preis feiern und vorzeigen will.

Janek Simon etwa reagiert mit seinen Skulpturen „Real Poles“ auf aktuelle Diskussionen um nationale Identität und Abgrenzung. Anna Okrasko hat junge Emigranten befragt und dokumentiert in ihrem fortlaufenden Projekt „Patriots“, wie sich die Arbeitssuche quer durch Europa auf das Selbstbild jener Menschen auswirkt.

Der Künstler Karol Radziszewski untersucht die queere Geschichte Polens

Dass alle polnischen Männer im Jahr 2015 schwul sein werden, behauptet Karol Radziszewski in großer, roter Schrift auf einer Wand der Deutschen Bank und fragt: „Willst du der letzte sein?“ Der in Warschau lebende Künstler, Jahrgang 1980, untersucht die queere Geschichte seines Landes, und man kann nur vermuten, dass die krude Prophezeiung der Fantasie homophober Kräfte entsprungen ist. Auch dieser Part gehört zu „Common Affairs“. Künstler forschen, experimentieren und betreiben wissenschaftliche Studien, die sich in den kleinen Motiven von Tymek Borowsi überall in der Ausstellung wiederfinden. Welchen Weg die Künstler nach ihrer Nominierung genommen haben, ob ihre Werke von Galerien vertreten werden und wie sich Kulturgeschichte in Diagrammen anschaulich machen lässt, sind einige der Fragen, mit denen Borowski sich auseinandersetzt.

Alles ist mit allem verbunden: Tymek Borowskis Skulptur "Common Affairs" von 2016.
Alles ist mit allem verbunden: Tymek Borowskis Skulptur "Common Affairs" von 2016.

© Tymek Borowski

So umschifft „Common Affairs“ Konflikte, die sich daraus ergeben könnten, dass die Deutsche Bank Preisstifter und zugleich Finanzier der Deutschen Bank Kunsthalle ist. Als Jubiläumsschau versteht sich dieses Projekt nicht. Sondern als kritischer, nachdenklicher und sehenswerter Kommentar zu den Realitäten in Europa.

Deutsche Bank Kunsthalle, Unter den Linden 13/15, täglich 10 - 20 Uhr; Polnisches Institut, Burgstr. 27, Di - Fr 10 - 18 Uhr. Beide Ausstellungen laufen bis 30. Oktober.

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