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Der britische Musiker Gary Numan.

© Promo

Gary Numan live in Berlin: Karneval der Replikanten

Die Welt ist ein übler Ort, immer noch: Gary Numan mit seinem neuen Album "Savage" im Columbia Theater.

Passend zur Blade-Runner-Fortsetzung dampft im randvollen Columbia Theater ein Mann über die Bühne, der bereits 1979 mit „Replicas“ den Elektro-Pop-Futurismus auf Blockbusterniveau brachte: Gary Numan, der eigentlich Gary Webb heißt und den Planeten mit Songs über Retortenbabys, Androiden und Maschinen-Sex eroberte. Eine ganze Teenie-Generation von „Numanoids“ lag ihm zu Füßen, während ihn die Presse als blutleere Bowie-Kopie verspottete oder wegen seiner Sympathie für Thatcher ignorierte. Dabei hatte sein kühler Elektrosound massiven Einfluss auf Depeche Mode oder Afrika Bambaataa. Der Zenit war rasch überschritten, Anfang der 80er wurde der Hobbypilot wegen Spionageverdacht in Indien verhaftet, es folgte ein künstlerisches Tief, aus dem er sich erst befreite, als er Ende der 90er von Marilyn Manson oder Trent Reznor als Vorbild gepriesen wurde. Woraufhin er seine Musik an deren brachialen Industrial-Sound anpasste und zu seinen Lieblingsthemen zurückfand: Selbstzweifel, Isolation, Paranoia.

Aufgepumpte Blubberbässe

Dass die Zukunft nach wie vor düster ist, verkündet auch sein aktuelles Werk „Savage (Songs of a broken world)“, laut Numan ein Konzeptalbum über den Klimakollaps. Im Konzert präsentiert sich der 59-jährige Londoner, der in Los Angeles lebt, nicht mehr als der schüchterne Roboter-Gigolo aus Atari-Computer-Tagen, sondern als flotter Entertainer, der sich nach einigen missglückten Haartransplantationen für ein schmuckes Toupet im Al-Pacino-Look entschieden hat (im Gegensatz zum anderen großen Elektro-Pop-Influencer Phil Oakey, der mit Glatze ins Rampenlicht tritt). Der New-Wave-Veteran geht mit erstaunlicher Vitalität aufs Publikum los: Harte Bratzgitarren, fett aufgepumpte Blubberbässe, schmierige Breitwand-Keyboards und Klopperschlagzeug, eine zähe Mischung aus Elektrostampf und schwulstigem Emo-Bombast.

Numan und seine vier Mitstreiter zeigen im Postapokalypse-Schlabberlook eine durchkomponierte High-Tech-Show. Mit neuen Titeln, von denen die Single „My Name is Ruin“ mit arabischer Melodie überrascht, und mit alten Knüllern wie „Metal“ und „Down in the Park“, die von den versammelten Numanoiden begeistert mitgeschunkelt werden. Ein spektakuläres Lichtgewitter verwandelt den Saal in einen psychedelischen Endzeitkarneval. Nach 75 Minuten kommt der alte Replikanten-Existenzialismus nochmal voll zur Geltung, als Numan bei der obligatorischen Schlussnummer mit unverkennbarer Heulstimme die große Frage stellt: „Sind deine Freunde elektrisch?“ Und natürlich kann es darauf nur eine Antwort geben: keine Ahnung.

Von Volker Lüke

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