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Future Islands

© Tom Hines/Promo

Future Islands: Ich grunze, also bin ich

Man sollte es nicht Tanzen nennen: Die amerikanische Synthiepop-Band Future Islands gibt ein entfesseltes Konzert in Berlin.

Von Jörg Wunder

Future Islands sind ein Musterbeispiel dafür, wie Unauffälligkeit durch Beifügen einer Zutat X in etwas Besonderes verwandelt werden kann. Im Grunde spielt die Band aus Baltimore simpel gestrickten Synthiepop mit Postpunk-Grundierung, der sich geschickt, aber wenig originell bei großen Vorbildern bedient, etwa New Order (die melodieführenden Bassläufe) oder Underworld (die flächigen Keyboard-Schwaden, siehe „Born Slippy“).

Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine strukturelle Ähnlichkeit der zahlreichen Songs und durch die statische Performance der drei Instrumentalisten, die wie festgetackert ihre Arbeit verrichten. Man tut William Cashion (Bass), Gerrit Welmers (Synthies) und Michael Lowry (Drums) sicher nicht unrecht, wenn man feststellt, dass sie nur bedingt der Grund dafür sind, dass der für das Berliner Astra gebuchte Auftritt in die doppelt so große Columbiahalle verlegt wurde und selbst die rappelvoll ist.

Der Grund heißt vielmehr Samuel Herring. Der 32-Jährige ist Sänger der Future Islands, wobei das eine unterkomplexe Stellenbeschreibung wäre für das, was er so anstellt. Noch bevor er beim Opener „Aladdin“ von dem im April erscheinenden fünften Album „The Far Field“, das erste Mal den Mund öffnet, verfällt er bereits in jene eigentümlichen Moves, die seit einem Auftritt in David Lettermans „Late Show“ 2014 den Bekanntheitsgrad der Band sprunghaft erhöht haben.

Preisboxer und einbeiniger Storch

Man sollte das nicht „Tanzen“ nennen, weil es keiner rhythmischen Bedingtheit zu folgen scheint. Vielmehr wirkt es wie ein Hervorbrechen innerer Gemütszustände, wenn er sich vornüber gebeugt wie ein Preisboxer vor und zurück wiegt, in waghalsigen Ausfallschritten wie ein schlecht balancierter Capoeira-Schüler herumwirbelt oder sich mit der flachen Hand heftig auf die Brust schlägt, wenn er flamencohaft herumgockelt oder eine komplizierte Schrittfolge macht, die man „den einbeinigen Storch“ nennen könnte.

Wer indes glaubt, Herrings Gehabe würde lächerlich wirken, irrt gewaltig. Vermutlich hilft die Tatsache, dass er nicht wie der sixpackgestählte Sieger einer Casting-Show aussieht, sondern mit leichtem Bauch- und fliehendem Haaransatz wie der prototypische average guy einer US-Vorabendserie. Jedenfalls nimmt man ihm das Eruptive, das Spontane seiner rätselhaften Bewegungen ab, die jedes Mal für tosenden Beifall sorgen.

Was noch mehr hilft: Samuel Herring ist ein herausragender Sänger. Seine Singstimme ist eigentlich ein bluesiges Knödeln, das an den einstigen Fine-Young-Cannibals-Sänger Roland Gift oder Ian Astbury von The Cult erinnert und damit bereits ungewöhnlich für die unterkühlte Musik klingt. Völlig übergangslos kann Herring seinen Gesang aber in ein orkhaftes Grunzen oder bestialisches Kreischen verwandeln, das jedem Death-Metal-Sänger zur Ehre gereichen würde. Von dieser Fähigkeit macht er lustvoll Gebrauch, am ekstatischsten in der Ballade „Candles“ und in „Seasons (Waiting On You)“, dem bislang größten Hit der Band. Herrings Leidenschaft, die sich nie über seine Mitspieler erhebt (er weiß genau, wie wertvoll ihre Bescheidenheit für seine Extravaganzen ist), trägt den Auftritt bis zum Ende von zwei mitreißenden, frenetisch bejubelten Stunden.

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