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Über das Wasser gehen: Eine Besucherin durchläuft die Installation «On Water» von Ayse Erkmen.

© dpa

Fünfte Skulptur Projekte Münster: Zu neuen Ufern

Kunst kann sogar auf der Straße stehen, Bier trinken und quatschen: In Münster haben die Skulptur Projekten begonnen, die inzwischen fast so wichtig wie die documenta sind..

Drei gigantische Kugeln liegen am Aasee, als hätten Riesen sie nach einem Boccia-Spiel am Ufer vergessen. Ein Bild des Friedens, der Idylle, denn rund um das Ensemble lagern Badende auf der Wiese, Picknickdecken sind ausgebreitet. Dass um die drei Betonbälle einst in Münster ein erbitterter Streit getobt haben soll, ihre Gegner sie in den See zu rollen versuchten, lässt sich heute nur noch schwerlich vorstellen, so sehr sind sie Teil des Stadtbilds geworden. Sie gehören mittlerweile zu den beliebtesten Postkartenmotiven neben Prinzipalmarkt und Dom.

Es bleibt beim Dezennienrhythmus

Exakt 40 Jahre ist das her, mit der ersten Ausgabe der Skulptur Projekte kam Claes Oldenburgs Werk nach Münster. Seitdem wiederholt sich alle zehn Jahre das Spiel, diesmal nehmen 35 Künstler teil. Die Stadt wird zum Parcour von Kunst im öffentlichen Raum. Längst ist eine große Liebe daraus geworden. Kasper König, künstlerischer Leiter seit Anbeginn, musste sich diesmal sogar dagegen stemmen, dass der Dezennienrhythmus auf einen Fünfjahrestakt parallel zur Documenta verkürzt wurde. Gerne hätten die Stadtväter die Kunstreisenden aus Kassel nach Münster weitergeleitet.

Die Skulptur Projekte sind längst zur Marke geworden, was für die Kunst riskant werden kann, will sie mehr sein als nur Stadtverschönerung oder touristische Attraktion. Wie lässig die Münsteraner selbst mit künstlerischen Nadelstichen der Skulptur Projekte umgehen, erweist sich an dem Lkw, der diesmal mitten auf dem Bürgersteig vor dem Landesmuseum steht. Auf seiner Ladefläche befindet sich eine riesige schwarze Kiste, groß genug, um die von der Neuen Nationalgalerie in Berlin entliehene Henry-Moore-Skulptur aufzunehmen. Sie steht seit einer Ausstellung des britischen Bildhauers auf dem Museumsvorplatz und soll eigentlich bis zum Sanierungsende des Berliner Mies-van-der- Rohe-Baus bleiben.

Kunst zum Abholen

Das humorvolle Gemeinschaftswerk von Cosima von Bonin und Tom Burr verweist durch seinen massiven Auftritt auf dem Trottoir und die drohende Abholung auf die Gefahren der Stadtmöblierung durch Kunst. Rund um den Tieflader stehen am Eröffnungstag die Gäste im abendlichen Sonnenschein, entspannt mit einer Flasche Bier. Sie trinken Emeka Ogbohs „Quiet Storm“, ein Honigbier mit Lindenblüten, das während des Fermentierungsprozesses mit dem Sound der nigerianischen 18-Millionen-Stadt Lagos beschallt wurde, wie das Etikett verrät, um „good vibes zu garantieren“.

Kunst im öffentlichen Raum kann vieles sein, sogar auf der Straße stehen, Bier trinken und quatschen. In Münster fällt das Getränk lieblich, süffig aus, während Ogboh für die politisch ambitionierte Documenta passenderweise ein Schwarzbier mit dem Namen „Sufferhead“ brauen ließ. Der Vergleich mit Kassel liegt auf der Hand, schließlich beginnen beide Ausstellungen am selben Tag. Doch während die Documenta jedes Mal ein anderes kuratorisches Konzept als Ausgangspunkt hat, in das die Beiträge mal mehr, mal weniger reingepresst werden, bleiben die Skulptur Projekte immer gleich: Künstler werden nach Münster eingeladen, suchen sich ihren Platz, machen Vorschläge, die Auseinandersetzung mit Ort, Geschichte, zeitgemäßer Ausdrucksform ergibt sich von selbst.

Was Skulpturen leisten können

Diese Formel hat wieder funktioniert, auch die vierte Ausgabe ist eine Reise wert. Kasper König und die beiden Kuratorinnen Britta Peters und Marianne Wagner stehlen zwar weder der Biennale in Venedig noch der Documenta in Kassel und Athen die Schau, dafür ist Münster mit einem Etat von 7,7 Millionen Euro auch viel zu klein dimensioniert. Trotzdem dürfen sie sich als Gewinner wähnen. Münster fliegen die Sympathien zu, die weitaus geringere Anzahl an Werken erlaubt eine vertieftere Auseinandersetzung damit, sorgt für Entspannung statt Stress. Vor allem: Anders als in Kassel wird hier niemand politisch agitiert, der Kunst keine Aussage dekretiert. Dennoch stellen auch die Skulptur Projekte die Frage, was Kunst heute leisten kann, zugespitzt auf den öffentlichen Raum.

Ähnlich wie die Documenta mit Athen leistet sich auch Münster in diesem Jahr eine Außenstelle. Allerdings fällt sie mit dem sechzig Kilometer entfernten Marl einige Nummern kleiner aus. Auch Marl steht für eine Krise, die des Ruhrgebiets, sowie für einen kulturellen Urknall: die großflächige Implantierung von Kunst im städtischen Raum. Als eine der prosperierendsten Kommunen der jungen Bundesrepublik ließ sich Marl eine Vorzeigestadt der Moderne auf die grüne Wiese bauen. Dazwischen stellten namhafte Künstlern Skulpturen auf.

Heute schillert die Stadt zwischen Freilichtmuseum und Resterampe. Damit bildet sie das ideale Gegenstück zu Münster, dem „akademischen Florida“, wie Kasper König es nennt. Arbeiten von Teilnehmern der Skulptur Projekte sind in Marl allerdings weniger zu finden, bis auf Joelle Tuerlinckx, für deren 200 Meter lange Linie aus Kreidespray sich kein passender Platz in Münster fand. Ihr Beitrag „Le Tag“ überzieht nun quer den Raum auf einem ehemaligen Friedhof in Marl, der kurz vor seiner Umwandlung in einen Skulpturenpark steht.

Allmähliche Verfüllung der Stadt

Wer den Plan von Münster in den Händen hält, könnte ebenfalls auf den Gedanken kommen, dass die Stadt zum Skulpturenpark mutiert: grüne, rote Punkte überall, für neue wie alte Werke, die nach Ausstellungsende von der Stadt angekauft wurden. Auf diese allmähliche Verfüllung spielen auch Nairy Baghramians „Beliebte Stellen“ am Erbdrostenhof an, wo sich schon Joseph Beuys platzierte. Die wulstartigen blauen und weißen Gebilde der in Berlin lebenden Künstlerin bleiben im Ungefähren, auf dem Vorplatz des Erbdrostenhofs sind sie provisorisch verschraubt, auf dem Hinterhof mit Schaumstoff unterlegt, als blieben sie nur kurz.

Zum Prinzip der Skulptur Projekte gehört das Nachdenken auf Zeit, die Tatsache, dass die Werke hinterher verschwinden. Das passt zu einem aktuellen Phänomen in der bildenden Kunst, der Faszination für Performance. So kann es ahnungslosen Passanten dieser Tage passieren, dass sie in Münster auf der Straße angesprochen werden, ob man sie kurz stören und ihnen eine Pose, eine skulpturale Situation vorführen dürfe, die von Xavier Le Roy und Scarlet Yu mit Besuchern in Workshops erarbeitet wurde.

Kunst dehnt sich in Raum und Zeit, setzt sich fort im Körper eines anderen, das macht diese Ausstellung deutlich. Es gibt zwar weiterhin klassische Skulpturen wie Thomas Schüttes „Nuclear Temple“ aus tonnenschwerem, oxidiertem Stahl, der wie eine verkleinerte Mischung aus Meiler und Moschee aussieht. Oder „Nietzsches Felsen“ von Justin Matherly. Der US-Künstler bildete einen Felsen im Oberengadin aus Beton nach, der den Denker zur Idee der ewigen Wiederkehr des Gleichen angeregt haben soll. Bei Motherly steht der Koloss allerdings auf medizinischen Gehhilfen.

Brocken bleiben hocken

Solche Brocken werden weniger, Skulptur sucht heute ihren digitalen Ausdruck, wie Hito Steyerl vorführt. Mit ihrer Installation in der Landesbausparkasse fragt sie, wie Computer dem Menschen in Zukunft helfen können. Doch Siri, die Spracherkennungssoftware von Google, hat angesichts eines zerstörten Dorfes in Syrien die Frage wieder nicht verstanden, und der Roboter fällt um, als ein Forscher ihn im Labortest tritt. Rettung gibt es keine, konstatiert Steyerl mit ihrem Beitrag „HellYeahWeFuckDie“.

Eine bittere Erkenntnis, würde nicht Ayse Erkmen der Ausstellung ein Wunder bescheren. Die in Berlin lebende türkische Künstlerin ließ einen Steg knapp unter der Oberfläche eines Hafenbeckens installieren. Von Weitem sieht es aus, als ob die Besucher über Wasser laufen können. Baden gehen werden diese Skulptur Projekte gewiss nicht.

Münster, bis 10. Oktober, www.skulptur-projekte.de

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