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Gibt Gummi. Alexandra Müller, die Autorin unseres Textes, ist Performancekünstlerin und Journalistin.

© David von Becker

Flummis: Hüpfen ist hip

Der neueste Trend: Flummis! Die Automaten stehen an jeder Ecke, das Spiel mit dem Gummiball bietet etwas, das Yoga-Kurs, Eventtour und Rückkehr zum kindlichen Ich in einem ist. Für nur 20 Cent verändert sich die Welt. Ein Selbstversuch

Es gab eine Zeit, da waren Automaten in Berlin furchtbar angesagt. Es ging dabei nicht um Zigaretten- oder Getränkeautomaten – verrückt und kreativ mussten sie sein. Da gab es einen Bücherautomaten, der gelbe Heftchen mit Anarcholyrik ausspuckte, einen Höschenautomaten in einer Prenzlauer-Berg-Bar und einen Kunstautomaten in Neukölln, in dem für zwei Euro winzige Drucke erhältlich waren.

Doch irgendwie wirkten diese Automaten immer aufgesetzt. Sie nutzten einen Kindheitsspieltrieb, der uns einst Pfennig für Pfennig Taschengeld für ekelhafte Kaugummis, Plastikringe und Tierfiguren ausgeben ließ, überzogen diesen Trieb aber mit einer Schicht Coolness, die den Vorgang des „Etwas-Ziehens“ zur Demonstration der eigenen Verrücktheit und Kreativität machten.

Damit ist jetzt Schluss. Die Zeiten sind härter, die fünf Euro für das Höschen aus der Dose bleiben im Geldbeutel. Gleichzeitig hat die Stunde einer Automatengattung geschlagen, die überhaupt nicht hip ist und schon fast vergessen war: die der Flummiautomaten. Dabei gehören sie seit Jahren zum Stadtbild.

Die kleinen roten oder gelben Kästen hängen an mehr als einer Seitenstraßenecke. Sie sind von Eddings und Spraydosen geschunden, bisweilen vandalisiert, und viele riechen nach den Bierflaschen, die an ihnen zerschellt sind. Doch keine Angst: Sie funktionieren in den meisten Fällen. Und sie bieten etwas, das Yoga-Kurs, Eventtour und Rückkehr zum kindlichen Ich in einem ist.

Sie bieten Flummis.

Nur 20 Cent kostet ein solcher Flummi. Es gibt sie in allen Regenbogen- und Neonfarben, mit Glitzer und marmoriert, einige besondere sind sogar fluoreszierend. In meiner Ex-WG hat schon jeder mindestens einen.

Lisa hat mittlerweile 18 Stück und immer einen in der Hosentasche. „Ich finde Berlin in letzter Zeit so anstrengend. Aber wenn ich mit dem Flummi spazieren gehe, kann ich mich viel besser konzentrieren.“ Sie hat Manu angesteckt: „Ich war auf dem Weg zur U-Bahn, da hab ich einen Automaten gesehen, geschaut, ob ich 20 Cent hab und mir einfach einen geholt.“ Manu will sich allerdings erst mal auf einen einzelnen Flummi beschränken – das reicht ihm.

Fliegendes + Gummi = Flummi!

Meinen ersten eigenen ziehe ich mir an der Sonnenallee, Ecke Treptower Straße. Der Automat versteckt sich neben einem arabischen Gemüsestand. Ich greife in die Hosentasche und ziehe die vorbereitete Münze heraus. Ich werfe einen Blick über die Schulter: Ein paar Jungs beobachten mich. Schnell stecke ich die 20 Cent in den Schlitz, drehe den schwarzen Griff und – Plopp! – schlägt innen etwas gegen die silberne Klappe. Ich greife hinein: Ein leuchtend pinkfarbener Flummi rollt mir entgegen. Ich lasse ihn einmal aufspringen und fange ihn mit einer Hand. Die Blicke der Jungs sind mir plötzlich egal. Schon bin ich eine Jüngerin des Gummiballs.

20 Cent genügen. Ein Flummiautomat in der Kreuzberger Wrangelstraße. Von den Graffiti darf man sich nicht abschrecken lassen.
20 Cent genügen. Ein Flummiautomat in der Kreuzberger Wrangelstraße. Von den Graffiti darf man sich nicht abschrecken lassen.

© David von Becker

Laut Wikipedia und einer Firma, die Bälle herstellt, stammt der Ausdruck Flummi von Walt Disney. Im Film „Flubber“ von 1961 entwickelt ein verrückter Wissenschaftler eine Gummimischung, die unter anderem von allem Möglichen abprallt. Aus „flying rubber“ machte Disney „flubber“, und die deutschen Übersetzer entwickelten die Analogie: „fliegendes Gummi“. Also: Flummi.

Vor den 60er Jahren hieß der Flummi „Superball“ und war zunächst nur in Schiefergrauschwarz erhältlich – als dann die bunten Versionen auf den Markt kamen, war das eine Sensation. Für mich ist der Flummi ebenfalls eine kleine Sensation. Wie ein Kind freue ich mich darüber, ihn springen zu lassen. Ich probiere die verschiedenen Auffangtechniken: mit nach oben geöffneten Händen, seitlich, mit nach unten geöffneten Händen, beim Wieder-Herunterfallen oder noch in der Springbewegung. Für kleinstes Geld bietet der Flummi ein Arsenal an Bewegungen, die die Nutzerin aus der Routine herausholen und gegen die Großstadtabstumpfung wirken: Ich bewege mich dreimal so viel wie bei einem normalen Stadtbummel, und ich nehme meine Umgebung bewusster wahr: Gibt es Pflastersteine oder glatte Gehwegplatten? Gibt es Bäume oder Fahrradständer, die meinen Weg kreuzen? Gibt es Flummiautomaten? Und: Wie reagieren die Leute auf mein neues Trendobjekt?

Denn das ist er, der Flummi: ein Trendobjekt. Dabei ist er weder prätentiös noch hip. Dazu ist er trotz seiner schrillen Farbigkeit zu unscheinbar. Und zu billig. Harmlos aber ist er nicht. Er steigert die Konzentration und trainiert, ganz nebenbei, die computergeschundenen Hände in Motorik und Schnelligkeit. Gleichzeitig ist er zeitlos. Ein Flummi ist kein Luxusobjekt, sondern leicht zu ersetzen – wenn einer mal im Rinnstein verschwindet, bekommt man zwei Ecken weiter den nächsten. Allein das bringt eine gewisse Leichtigkeit mit sich. Besonders, wenn der Flummi an einem Riss im Asphalt oder einem Pflasterstein abprallt und unvorhersehbar die Richtung wechselt. Dann heißt es: fangen, bevor der Ball in Tramschienen oder einem Hundehaufen verschwindet. Der Flummi macht seinen Besitzer zu einem Jongleur des Alltags, ganz ohne Verlustängste.

Wer es einmal probiert, ist süchtig

In einer Nebenstraße in Kreuzberg beobachte ich drei Wahlberliner in Sportjacken, die im Dreieck mit den hüpfenden Bällchen spielen. Als einer von ihnen unter ein Auto kriecht, um seinen Flummi zu retten, habe ich eine Vision: Was würde Berlin schöner und sympathischer machen als Hipster, die wie verrückt leuchtenden Gummibällen hinterherhechten? Denn der Flummi arbeitet subversiv gegen die Frage: „Was werden die anderen denken?“ Er fordert den Spieltrieb heraus, ohne ihn cool machen zu wollen, ja, zu können. Hüpfen ist eben einfach uncool! Und trotzdem: Wer es einmal probiert hat, ist sofort süchtig.

Ich spreche die Jungs an, einer von ihnen ist gerade zu Besuch, er kommt aus München: „Geil, was man für 20 Cent für einen Spaß haben kann. Ich habe seit bestimmt 15 Jahren keinen Flummi mehr gehabt. Ich werde auf jeden Fall die Automaten-Lage in München auschecken.“

Der Trend wird sich verbreiten, das ist jetzt schon abzusehen. Es wird Flummiakrobaten geben, Flummimeister, aber immer auch die ganz normalen Flumminutzer. Endgültig wird er sich etabliert haben, wenn Lady Gaga bei den nächsten MTV Music Awards im bunten Flummikleid erscheint, ihre Sonnenbrille abnimmt – und fröhlich herumhopst.

Die Berliner Flummimeilen: Schlesische Straße (z. B. hinter der Bushaltestelle Schlesisches Tor); Wrangelstraße (z. B. zwischen Nr. 44 und 45); Sonnenallee (z. B. Nr. 132 oder Ecke Treptower Straße); Weserstraße (z. B. Nr. 58). Achtung: Die Automaten haben wechselnde Sortimente!

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