zum Hauptinhalt
Sie pochen auf ihre Identität. Separatisten in Katalonien.

© Emilio Morenatti/dpa

Flugschriften Kolumne über Identität: Von Katalonien führt der Weg nur nach Katatonien

Der französische Philosoph François Jullien warnt in einem Band vor den Gefahren, die falsche Konzepte von „kultureller Identität“ mit sich bringen.

Von Caroline Fetscher

Alles sieht danach aus, als wollten die meisten Katalanen ihr Katalonien von Spanien abspalten. „Wir pur“ scheint die Vision. Es gehe „um die Wurzeln unserer Identität“, ist zu hören, und außerdem war Katalonien doch bis 1714 unabhängig!

Flaggenmeere und Nationalgeschrei fluten die Straßen, Leute bemalen ihre Gesichter wie Fußballfans im Stadion. Als gälte es, retroaktiv die Schlacht im Spanischen Erbfolgekrieg zu gewinnen und den Bürgerkrieg gegen General Franco. Nur geht das dieses Mal fast ohne Risiko für Leib und Leben, in einem riesigen Freilufttheater. Während jetzt beide Parteien, Barcelona und Madrid, einander ohne Not provozieren, widerlegt der Konflikt, wie ein satirischer Roman, den Nutzen des Konstrukts „kulturelle Identität“, das für diesen Angriff auf Europa bemüht wird.

Ins Katalanische wie Spanische übersetzen und gratis verteilen lassen könnte die Europäische Union den kleinen Band des Pariser Philosophen François Jullien, mit der klaren Aussage als Titel: „Es gibt keine kulturelle Identität.“ (Aus dem Französischen von Erwin Landrichter. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, 80 S., 10 €.) Jullien räumt nicht als Erster mit dem Phantasma der „homogenen Kultur“ auf, aber er setzt die Klärung fort. „Der Versuch“, so Jullien, „die Vielfalt der Kulturen in Form von Unterschieden zu behandeln“, habe zur Folge, „dass die Kulturen in ihrer Identität fixiert und isoliert werden.“ Eben das jedoch ist unmöglich, „schließlich zeichnet sich das Kulturelle ja gerade dadurch aus, dass es mutiert und sich verwandelt. Eine Kultur, die sich nicht länger verändert ist tot.“ Katalonien wäre also, könnte man mit Jullien sagen, auf dem Weg zu einem „Katatonien“. Was es zu verteidigen gelte, das sind, laut Jullien, vielmehr „kulturelle Ressourcen“, denn die „Transformation ist der Ursprung des Kulturellen“. Deshalb ist es „unmöglich, von der Identität einer Kultur zu sprechen.“ Der Abstand, die Spannung zwischen prägenden Elementen macht „Kultur“ überhaupt aus – ins Homogene, Fixierte, führt da kein Weg, etwa die Spannung zwischen René Descartes („Ich denke, also bin ich“) und dem Lyriker Arthur Rimbaud („Ich ist ein Anderer“), zwischen Aufklärung und Surrealismus.

Identitäre Phantasmen kommen von rechts und von links

Eindringlich warnt François Jullien vor den politischen Gefahren, den Kosten, die falsche Konzepte von „Identität“ mit sich bringen, und seine Warnung erstreckt sich auch auf eine der beliebtesten Konstruktionen der Gegenwart, Samuel P. Huntingtons „Kampf der Kulturen“, der sämtliche tradierten Klischees einer „chinesischen“, „islamischen“ und „westlichen“ Kultur bedient, als gäbe es „homogene Kulturen“.

Mit identitären Phantasmen beackern deutsche Rechtspopulisten rassistisches Sumpfgelände, doch identitäre Phantasmen werden nicht wahrer oder akzeptabler, wenn sie „von links“ zu kommen scheinen. Ihre Anhängerschaft hat sich im selben politischen Irrgarten verlaufen. Wer also um das „Identitäre“ einen Bogen zu machen versteht, darf mit Denkern wie François Jullien seine Intelligenz schärfen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false