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Herrschend und Klasse: Tilda Swinton boshaft entstellt als "Snowpiercer"-Kommandeurin Mason

© Snowpiercer Ltd.

Filmkritik: "Snowpiercer": Rollende Revolution

Ist dieser Film zu clever für das amerikanische Publikum? Der koreanische Sci-Fi-Kracher „Snowpiercer“ darf nicht auf das internationale Parkett - Produzent Harvey Weinstein will die Schere ansetzen. Aber das wäre ein großer Fehler.

Manchmal ist es ja gut, wenn ein Regisseur sich nach der Fertigstellung seines Films noch mal auf die Finger klopfen lässt. Doch im Fall von „Snowpiercer“ muss man fragen, wo überhaupt gekürzt werden soll. Denn so, wie er ist, ist er perfekt. „Snowpiercer“ ist der neue Film von Bong Joon-Ho („The Host“). Das ist jener Regisseur, von dem Tarantino sagt, er sei besser als Spielberg zu seinen besten Zeiten. Der Sci-Fi-Thriller ist Koreas bislang teuerster Film (40 Millionen US-Dollar). Tilda Swinton, John Hurt, Jamie Bell und Ed Harris treten neben Stars aus Südkorea in Erscheinung.

Vorlage ist der französische Comic „Le Transperceneige“. Bong fand ihn zufällig in einem kleinen französischen Laden und las das mehrteilige Werk, im Laden stehend, an einem Nachmittag durch. Die Idee eines Zuges, der in unendlicher Bewegung um eine zugefrorene Erde rast und dabei die letzten Reste der Menschen beherbergt, beflügelte ihn sofort.

Im Zug sind sie aufgeteilt in eine herrschende Gruppe (vorne) und eine arme Unterklasse (hinten). Der Film erzählt von einer Revolte im 18. Jahr, eher widerwillig angeführt von Curtis (Chris Evans). Er will die Spitze des Zuges einnehmen. Dort residiert Wilbur (Ed Harris), Erfinder des Perpetuum mobile – und so Herrscher der letzten Menschen.

„Snowpiercer“ ist wuchtiger Thriller und surreale Satire zugleich – aufregend, reichhaltig, immer wieder überraschend. Je näher die Revolte ihrem Ziel kommt, desto mehr wird daraus ein schwarzes Märchen über die Grausamkeit der Menschen, eine beunruhigende Parabel über den Sinn von Revolutionen. Dennoch will Harvey Weinstein die Schere ansetzen. Der mächtige Produzent ist berüchtigt, sein Spitzname „Scissorhands“ wohlverdient. Im letzten Jahr musste Wong Kar-Wai „The Grandmaster“ auf sein Geheiß verstümmeln, er ist nur einer in einer langen Reihe drangsalierter Filmemacher.

Harvey "Scissor Hands" Weinstein will eine kürzere Version - doch in Deutschland darf das Original laufen

Als Bong Joon-Ho erstmals im New Yorker Büro der Weinstein Company vorstellig wurde, begrüßte man ihn zwar herzlich, hatte offenbar aber bereits (und ohne sein Wissen) einen eigenen Schnitt vorbereitet, der den Film auch für Amerikaner in „Fly-Over-States“ wie Iowa oder Oklahoma verdaulich machen soll. Die hält man für so schwer von Begriff, dass der Film ein erklärendes Voice-Over brauche und eine Kürzung um eine halbe Stunde. Weinstein hatte sogar einen Vorschlag, wer das Voice-Over schreiben solle: der Fantasy-Autor Neil Gaiman.

Bong war nicht einverstanden. Wie zur Bestrafung durfte er seinen Film weder in Toronto noch in Locarno auf den Festivals zeigen, nicht mal während eines Abends zu Ehren von Tilda Swinton im New Yorker MoMA.

Doch wer die Originalversion kennt, darunter längst auch wichtige amerikanische Kritiker, ist angetan. Selbst das Publikum in Testvorführungen, so Bong, gibt seiner Version den Vorzug. Weinstein aber besteht darauf, einen Film, den man jetzt schon als Klassiker des Genres bezeichnen darf, auf das Format eines gewöhnlichen Thrillers zurückzustutzen – und schadet mit der sinnlosen Hängepartie den Erfolgsaussichten des Films erheblich, nicht nur in den Ländern, wo Weinstein die Rechte hält.

Der deutsche Verleih ließ verlauten, dass „Snowpiercer“ hierzulande ab April in der Originalversion zu sehen sein wird. Wer aber ganz sicher sein will, sollte versuchen, ihn auf der Berlinale zu sehen. Harveys Scherenhände reichen weit.

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