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Szene aus Zhou Haos Dokumentation "The Chinese Mayor".

© Doku.Arts

Filmfestival DOKU.ARTS in Berlin: Melancholie in Ruinen

Das Berliner Dokumentarfilmfestival DOKU.ARTS widmet sich in diesem Jahr der Architektur - und dem Schriftsteller W. G. Sebald.

Von Gregor Dotzauer

Wohin er seinen Blick auch wandte, er sah Ruinen. Der Schriftsteller W. G. Sebald hatte einen siebten Sinn für das Zerstörungswerk der Zeit – und den geradezu neurotischen Drang, es festzuhalten. „Die Ringe des Saturn“ sammelt die Trümmer der Vergangenheit auf einer „englischen Wallfahrt“ ein, die der Erzähler durch die Grafschaft Suffolk zu Fuß unternimmt. Zugleich konstruiert Sebald eine einzige Verfallsgeschichte von der Kolonialzeit bis zum Zweiten Weltkrieg. „Austerlitz“, der letzte Roman, den er vor seinem Unfalltod im Jahr 2001 veröffentlichen konnte, findet im Antwerpener Hauptbahnhof sein Sinnbild von architektonischer Pracht und Verletzlichkeit.

Doch taugt er zum heimlichen Star eines Dokumentarfilmfestivals, das sich dem Schwerpunkt „Architekturen in Bewegung“ verschrieben hat? Er tut es sogar besser, als man es sich auf Anhieb vorstellen kann. Denn während akademische Sekundärdiskurse sein Werk oft gefährlich jargonhaft überwuchern, lassen sich Maler und Regisseure von Sebalds abenteuerlich langsamem, peripatetisch schweifendem Schreiben zu geistesverwandten Werken inspirieren. Grant Gees Essayfilm „Patience (After Sebald)“, der sich des „Saturn“-Buches annahm, lief bei DOKU.ARTS im Berliner Zeughaus-Kino schon vor drei Jahren.

"Austerlitz"-Meditation eröffnet Filmfestival

Nun eröffnet am heutigen Mittwoch die „Austerlitz“-Meditation des aus Prag stammenden, französischen Regisseurs Stan Neumann in deutscher Erstaufführung das Festival. Sie ist, obwohl Léos Carax’ Lieblingsschauspieler Denis Lavant darin die Rolle des Protagonisten Jacques Austerlitz spielt, nicht eigentlich eine Verfilmung des erzähltechnisch verschachtelten Romans. Wie wäre die Anverwandlung an ein von Sebald „periskopisch“ genanntes, sich wie Thomas Bernhard auf die Aussagen Dritter berufendes Erzählen, überhaupt möglich? Neumanns Film ist eher der Bericht von einer Lektüreerfahrung, in die sich die Suche nach der eigenen Vergangenheit mischt.

Auch der Flame Peter Krüger, der zuletzt mit dem Afrika-Essay „N – The Madness of Reason“ Aufsehen erregte, hat sich von „Austerlitz“ anregen lassen. „Antwerp Central“, das am 25.9. als Deutschlandpremiere läuft, kreist im Hin und Her von Spiel, Dokumentation und Archivmaterial um die Geschichte des Bahnhofs als Inbegriff belgischer Geschichte. Am 10.9. um 20 Uhr erinnert sich überdies Sebalds langjähriger Kollege in Norwich, der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser, an seine Zeit mit „Max“ und denkt darüber nach, warum Sebalds Ruhm fast 15 Jahre nach seinem Tod noch immer wächst (Eintritt frei).

Ein Höhepunkt: Zhou Haos Doku „The Chinese Mayor“

Ein weiterer Höhepunkt ist Zhou Haos Dokumentation „The Chinese Mayor“ aus der nordchinesischen Stadt Datong. Zhou gewährt Einblicke in den politischen Wahnsinn eines Bürgermeisters, der mithilfe der Regierung die schwer luftverseuchte, ökonomisch darniederliegende Stadt in ein Touristenparadies verwandeln will. Geng Yanbo lässt die kaiserzeitlichen Stadtmauern neu errichten und versucht, eine Art „Theme Park“ zu installieren. Zhou vermittelt einen lebendigen Eindruck von den politischen Räderwerken im heutigen China – und verschweigt nicht die Pointe: Nach Gengs Abzug ist das Ganze eine Bauruine.

Insgesamt 15 Filme gehören zum Architekturschwerpunkt, darunter Ludwig Metzgers Dokumentation über Peter Zumthors Bau der Kölner Kolumba, das neue Diözesanmuseum, sowie Pierre Maillards Film „Le paysage intérieur“ über die vom japanischen SANAA-Büro entworfene Ecole Polytechnique in Lausanne. Dazu gibt es Porträts des Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui und des Regisseurs Nicolas Roeg.

Zeughauskino, Unter den Linden 2, bis 27. September, www.doku-arts.de

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