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Arbeiten bis zum Umfallen. Die Brigade mit Julian vorne links.

© Grandfilm

Film „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“: Früchte der Revolution

Gesellschaftsutopien auf dem Apfelhof: Julian Radlmaiers diskursive Komödie „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“.

Von Andreas Busche

Sommer auf der Kolchose. Könnte auch der Titel eines Defa-Jugendfilms sein, beschreibt aber in etwa die libidinös-politische Utopie in Julian Radlmaiers Salonkommunistenkomödie „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“. Radlmaier spielt sich gewissermaßen selbst, nicht der einzige selbstreflexive Wink in seinem DFFB-Abschlussfilm.

Julian ist ein linker, von luftigen Idealen gehemmter Filmemacher, der gerade auf die nächsten Fördergelder wartet, dessen Karriere nach seinem letzten Versuch aber kaum mehr vom Fleck kommt. Der Grund: „In Deutschland hat man nicht so Bock auf ästhetisch-politisches, radikales Zeug“, erklärt er im Gespräch mit einer Kritikerin seine Situation. Der Sachbearbeiter im Jobcenter zeigt dennoch kein Einsehen und schickt ihn als Erntehelfer auf einen dieser Brandenburger Apfelhöfe, die in den Sommermonaten Brigaden von osteuropäischen Wanderarbeitern beschäftigen.

Alles Anschauungsmaterial für einen Film über die Ausbeutungsverhältnisse des Kapitals, erklärt er entschuldigend Camille (Deragh Campbell), einer kanadischen Wahl-Berlinerin, in die er sich beim Besuch in der Gemäldegalerie verknallt hat. Sie schließt sich kurzerhand seiner „Recherchereise“ an, da Julian ihr eine Rolle in seinem nächsten Film versprochen hat.

Der Hipster findet keinen Anschluss bei den Arbeitern

Doch mit körperlicher Arbeit hat es der schlaffe Hipster in seinen Mode-Sneakern nicht so, auch die Proklamationen des Klassenkampfes sind bei ihm eher theoretisches Beiwerk als Weltanschauung. An die Proletarier auf der Apfelfarm, die nach Schichtende in ihrer Unterkunft literarische Zirkel abhalten, findet Julian keinen Anschluss. Er ist ganz auf Camille fokussiert, die seine ungeschickten Avancen ahnungslos oder vielleicht auch bewusst ignoriert.

Die Frau wird für ihn genauso zur Obsession wie die Revolution, die im Niedriglohnsektor stets zum Greifen nah erscheint. Der überraschende Tod der Plantagenbesitzerin, die zu kernigen Motivationsansprachen im BMW vorfährt, eröffnet urplötzlich neue Perspektiven der Selbstorganisation: Die Möglichkeit eines Umsturzes, der die Arbeiter in den Besitz der Produktionsmittel bringen könnte, nimmt Gestalt an, verschiedene Modelle der Kollektivierung werden diskutiert – doch der revolutionäre Impuls verpufft schnell angesichts realpolitischer Erwägungen. Basisdemokratie halt.

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Die sozialdemokratische Option eines Streiks bringe die Verhältnisse doch allenfalls ins Wanken, erklärt Julian Camille, das kapitalistische System müsse für einen Neuanfang an sich selbst zugrunde gehen. Es gibt allerdings auch eigennützige Gründe, warum er den Realo-Flügel der Apfelmänner und -frauen unterstützt. Als Transferleistungsempfänger hat Julian am Arbeitsplatz zu kuschen, sonst droht eine Kürzung der Sozialbezüge.

„Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ weidet sich in geradezu masochistischer Weise am Dilemma seines Protagonisten, als Profiteur eines staatlichen Fördersystems am Umsturz der Verhältnisse zu arbeiten. Die Ironie geht am Figurenpersonal, gespielt von Theaterrecken und Laien, nicht verloren. Ebenfalls aus Berlin hat es Hong (Kyung-Taek Lie) und Sancho (Beniamin Forthi) auf die Apfelplantage verschlagen, denen ein sanfter Kommunismus ohne Kommunisten – ohnehin das Grundübel – vorschwebt. Der georgische Hüne Zurab (Zurab Rtveliasvili) mit Dschingis-Khan-Bart zieht eine stramme Hierarchie nach bolschewistischem Vorbild vor, der Ex-DDRler in der Pflückerkolonne erinnert sich mit gemischten Gefühlen an das realsozialistische Versprechen winterfester Avocados.

Thesen, Theorie und Slapstick

Mit einer Mischung aus Agitprop-Theater, Filmessay und burlesker Komödie inklusive dosierter Slapstick-Einlassungen – Radlmaier spielt wie ein derangierter Pierre Richard, der sich in einem Film aus Godards maoistischer Phase verirrt hat – arbeitet sich „Selbstkritik“ an einem ganzen Thesenkatalog zum richtigen Leben im falschen ab. Jede einzelne These wird hübsch kadriert in bewegten Tableaus ausgestellt. Dabei erweist sich Radlmaier als Stilist der politischen Filmtheorie: Die Apfelbäume leuchten in satten Farben, die Sonnenuntergänge glühen pittoresk wie in einem sowjetischen Kolchose-Musical in schönster Sovcolor. „Darum machen wir Kunst“, beschwört Julian seinen radikalen Ennui, „damit die Möglichkeit als Form überlebt.“

Plötzlich landet Julian auf dem Festival von Venedig

Mit diskursivem Humor hat sich schon Radlmaiers DFFB-Studienkollege Max Linz in „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ dem Kulturbetrieb zugewandt. Die Ansätze sind vergleichbar und doch grundverschieden. Wo Linz auf hochverdichtete Weise eine Archäologie historischer Formen des politischen Filmemachens betreibt, ist „Selbstkritik“ in seiner Zitatwut freier, mäandernder. Der Umsturz ist in dieser naiven Sicht immerhin noch denkbar.

Hong und Sancho brechen mit einem Franz-von-Assisi-Charakter nach Italien auf, doch der hat den Gesang der Vögel falsch gedeutet. Und Julian landet mit seinem Film, dem man hier beim Entstehen zusieht, auf dem Festival in Venedig, wo er im Publikumsgespräch endgültig vor den Widersprüchen kapituliert: Er verwandelt sich in den titelgebenden Vierbeiner. Die Parabel entlarvt sich sozusagen als Bestiarium. Der Regisseur ist ein Hund der Verhältnisse.

In sechs Berliner Kinos.

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