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Viggo Mortensen und Kirsten Dunst in „Die zwei Gesichter des Januars“.

© Studiocanal

Film „Die zwei Gesichter des Januars“: Die Sonne, die uns täuscht

Ein Hit seit Hitchcock: Die Romane von Patricia Highsmith werden immer wieder verfilmt. Jetzt kommt „Die zwei Gesichter des Januars“ in die Kinos.

Athen 1962: Ein attraktives, amerikanisches Touristenpaar besichtigt die Akropolis und beobachtet amüsiert einen Reiseleiter, der eine Gruppe ihrer Landsleute mit Geschichten aus der Antike unterhält. Viggo Mortensen und Kirsten Dunst verkörpern mit aufreizender Eleganz die Reisenden Chester und Colette, für die sich der charmante Führer Rydal (Oscar Isaac) interessiert. Er bietet ihnen seine Dienste an, sie nehmen an, lassen sich von ihm durch die Stadt führen – und betrügen.

Als dann ein Privatdetektiv aus den USA auftaucht, scheint es plötzlich, dass zumindest Chester nicht ganz so harmlos ist, wie er tut. Und schon stolpert er in ein Verbrechen, das vertuscht werden muss – jetzt sind Rydals Orts-, Sprach- und Personenkenntnisse gefragt, und im Nu sind alle drei Protagonisten aufs Unerfreulichste miteinander verstrickt.

Regisseur Hossein Amini inszeniert diese jüngste Patricia-Highsmith-Verfilmung in einem malerischen, sonnigen, streckenweise leeren Griechenland – 1962 war der Massentourismus noch weit entfernt. Je heller die Sonne, je idyllischer die Landschaft, desto trüber die Stimmung und undurchsichtiger die Motive der Protagonisten in „Die zwei Gesichter des Januars“.

Das große Thema der 1921 in Texas geborenen Patricia Highsmith, auf deren Romanen mittlerweile zahlreiche Filme basieren, sind die schäbigen Begierden, die kleine wie mittlere Gauner erfassen – auch jene, die sich selbst gar nicht für Gauner halten. Ihr 1950 publizierter erster Roman „Strangers on a Train“ enthielt bereits die Hauptmotive aller folgenden Werke. Bei Highsmith geht es nicht um die Aufklärung von Verbrechen, sie werden vielmehr aus der Sicht des Täters geschildert. Das war in den 50ern neu, und so verfilmte kein Geringerer als Alfred Hitchcock „Strangers on a Train“. Ein reicher Psychopath wird zum Stalker eines Tennisprofis, der jenen beinahe zum Mord treibt. Hitchcock drehte in kontrastreichem Schwarz-Weiß und inszenierte das Ende als expressionistischen Bilderrausch auf einem Rummelplatz.

Highsmith errang durch den Film ersten Ruhm. Berühmt wurde die Schriftstellerin dann durch ihren 1955 veröffentlichten ersten Ripley-Roman, dem noch vier weitere Krimis mit dem Gelegenheitsverbrecher Tom Ripley folgen sollten. „Der talentierte Mr. Ripley“ spielt an der französischen Riviera und wurde 1960 von René Clement unter dem Titel „Nur die Sonne war Zeuge“ adaptiert, mit Alain Delon als Mörder und Maurice Ronet als dessen eitles, überhebliches, hirnloses Opfer. Die Besetzung mit den beiden wunderschönen jungen Männern, die damals am Beginn ihrer Schauspielkarrieren standen, das flirrende Licht an der sommerlichen Côte d’Azur und die genüssliche Zurschaustellung nasser, gebräunter oder auch verbrannter Haut sorgten für den Erfolg des Films, der jede Menge weiterer Highsmith-Verfilmungen nach sich zog.

Derzeit arbeitet Todd Haynes an der Adaption von "Carol"

Ähnlich glamourös wie „Nur die Sonne war Zeuge“ ist die Adaption des gleichen Stoffes von Anthony Minghella aus dem Jahr 1999. Dessen „Talentierter Mr. Ripley“ ist als Kostümfilm inszeniert; Matt Damon und Jude Law verkörpern die Antagonisten, die sich mit einer Clique von reichen Amerikanern in Rom und an der Küste herumtreiben. Verleugnete Homosexualität und gekränkte Eitelkeit sind die Motive, die den linkischen, unsicheren Ripley (Damon) zum Mord an dem weltgewandten, skrupellosen Freund treiben.

Die psychologischen Krimis von Highsmith fanden in den 60ern und 70ern vor allem in Frankreich, Spanien und Deutschland ein begeistertes, gebildetes Publikum, und man mag darüber spekulieren, warum die Identifikation mit dem Bösen gerade in diesen Ländern so faszinierte. Empfand man es in der Bundesrepublik womöglich als Erleichterung, dass es auch andere Verbrecher gab als die Nationalsozialisten, mit denen sich die bürgerliche Mittelschicht auseinandersetzen musste? Taugte der Hedonist und Connaisseur Tom Ripley, der gelegentlich mal einen Mord beging, gar als Identifikationsfigur für die Leserschaft, die sich gerade erst aus dem Korsett starrer gesellschaftlicher Normen befreite? Spannend im klassischen Sinne sind die Highsmith-Romane zumindest aus heutiger Sicht nämlich nicht, vielmehr enthalten sie detaillierte Schilderungen des Alltags, der Gewohnheiten und der Gedanken ihrer Helden. Dramatische Wendungen beschreibt die Autorin oft so unaufgeregt, dass sie als solche kaum zu erkennen sind.

Wim Wenders gelang 1977 mit „Der amerikanische Freund“, der Adaption von „Ripley’s Game“, ein Meisterwerk, das wiederum durch die Besetzung besticht. Dennis Hopper spielt einen zerquälten, einsamen, auch etwas bizarren Ripley, der den todkranken Rahmenmacher Jonathan (Bruno Ganz) mit schmutzigen Mitteln dazu treibt, einen Mord zu begehen, und ihm bei weiteren Verbrechen selbst zu Hilfe kommt. Wenders drehte in Hamburg, nutzte den Hafen, U-Bahn-Steige, graffitibedeckte Häuserzeilen und die neonbeleuchtete Reeperbahn als Locations – ganz so, als handele es sich um eine amerikanische Stadt.

Derzeit arbeitet Todd Haynes („Dem Himmel so fern“) an der Verfilmung von „The Price of Salt“. Diese Romanze zwischen zwei Frauen – auch bekannt unter dem Titel „Carol“ – hatte Highsmith 1953 unter Pseudonym veröffentlicht. Auf die eine oder andere Art haben Highsmith-Filme offenbar immer Konjunktur. Auch jetzt wieder, wo die 50er und 60er im Rückblick wie eine Zeit der Unschuld erscheinen – weniger verwirrend, strenger geregelt und übersichtlicher, fast wie im Märchen.

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