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Fettes Brot

© Promo

Fettes Brot: "Was seid ihr für Menschen?"

"Bettina, zieh dir bitte etwas an" ist schon in den Charts: Die neue Platte von Fettes Brot erzählt leider nur wenig Sozialkritisches. Verabschieden sich die Hamburger in die Liga der Mitgröl-Rapper?

Es geht zur Sache. „Was seid ihr für Menschen?“, wundert sich Rapper König Boris über Kollegen, die sich „dicke Autos, Supernutten, Automatikpistolen“ zulegen und „einen Haufen blinder Soldaten“ um sich scharen: „Mit denen bringt ihr den Krieg in jeden Kindergarten.“ Und weiter heißt es: „Was habt Ihr bisher gemacht außer Seelen zertrampelt/ Und mit zugedröhntem Schädel junge Mädels misshandelt?“

Unterm Strich kommt da einiges zusammen bei Bushido, Sido, Azad, Fler oder Massiv, die auf dem neuen Album der Hamburger Spaßband Fettes Brot zur Zielscheibe werden. Aus den tristen Sozialbau-Enklaven der Hauptstadt sind die Aggro-Rapper an die Chartspitze gestürmt und verschrecken das bürgerliche Feuilleton regelmäßig mit aggressivem Ghetto-Gehabe, mit schwulen- und frauenfeindlichen Texten sowie einer unverhohlenen Freude am Geld. Längst sind die meisten deutschen Gangsta- und Proleten-Rapper vom kleinen Berliner Aggro-Label zu größeren Plattenfirmen gewechselt, wo bis dahin nur Abiturienten für klug genug gehalten wurden, um in rasender Folge Worte aneinanderzureihen, die auch noch einen Sinn ergeben. Das nötige Quantum Frust tut es auch, wie Sidos „Mein Block“ oder „Ihr habt uns so gemacht“ demonstrieren.

Dem deutschen Hip-Hop sollte der Realitätsschock der „Neuen Berliner Härte“ gut tun. Waren es doch vor allem Albernheiten wie „Die da“ und „Sie ist weg“ von den Fantastischen Vier, die den Ton angaben. Geistreich und poppig zwar, aber auch ohne Haftung für irgendwas. Und wenn sich doch mal soziales Gewissen regte, setzten sich Rap-Crews allzu gutwillig mit gesellschaftlichen Abgründen auseinander. Das Elend wurde sofort durch Solidaritätsgesten geglättet.

Mit „Nordisch by Nature“ zählten Fettes Brot 1995 ebenfalls zur Speerspitze des deutschen Rap. Die Geschichte hätte da auch böse enden können, denn friesische Mundart war nicht gerade das, was auf der Landkarte heimischer Popsprachen gefehlt hätte. Doch schnell lösten Martin Vandreier alias Doktor Renz, Boris Lauterbach alias König Boris sowie Björn Warns, der sich Schiffmeister nennt, idiomatische Fesseln. Mit „Jein“ schoben sie ein lustiges Liedchen über lästige Entschlussschwächen nach (Refrain: „Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein?“). Seither wurden fast alle stilistischen Leitplanken von dem Hamburger Trio durchbrochen. Sie haben mit Soul- und Funkbeats herumgespielt, Hip-Hop gemacht, ohne HipHop zu sein, und mit Hits wie „Schwule Mädchen“ und „Emanuela“ den derben Pennälerhumor ihrer Jugendzentrum-Musik weitergetrieben. Zuletzt gelang ihnen mit „Soll das alles sein?“ sogar ein feiner, nachdenklicher Abgesang auf die Hartz-IV-Reform. Die selbst ernannte „Faulenzertruppe“, die sich auch schon mal Jahre nicht blicken lässt, ist zu klug, um sich auf Dauer mit Pubertätsproblemen zu beschäftigen. Vielleicht sind sie die Einzigen,die die Kluft zwischen der heißen Obszönität der „Straßenjungen“ (Sido) und dem kühlen Intellekt der Pop-Fraktion schließen könnten.

Heute erscheint ihr sechstes Studioalbum „Strom und Drang“ – wie gewohnt auf eigenem Label (Vertrieb: Indigo). „Unruhe steckt da drin“, sagt Björn Warns über das Werk und die Herausforderung, der raueren Gangart der Aggro- Schule etwas ebenso Dringliches entgegenzusetzen.

Mit „Bettina (zieh dir bitte etwas an)“ ist die erste Single bereits in die oberen Chartsränge entkommen. Aus einem synthetischen Disco-Beat schält sich ein Song über den TV-Striptease nächtlicher Verkaufssendungen, die Fettes Brot mit Castingshows und dem Kult um Promi-Ladies wie Angelina, Jessica oder Paris kurzschließen: eine Hymne für alle, die der permanenten Show solcher Selbstdarstellerinnen überdrüssig sind. Das kann man machen, aber gibt es nicht Wichtigeres als gegen billige Medienreflexe anzusingen? Immerhin folgt die Geschichte des „traurigsten Mädchens der ganzen Stadt“. Auch sie steht im Mittelpunkt und bleibt unerreichbar. Wer so aussieht, muss ja unglücklich sein, denken sich die Typen.

Mit dem Denken ist es freilich nicht weit her, könnte man mit Blick auf das Cover meinen: Die drei Burschen pinkeln gegen den Betonpfeiler eines Windrads, Blitze züngeln um ihre Taillen. Das ist so kindisch, wie es klingt, und passt ganz gut zur Jungsprosa, die sich einfach zu oft an Mädchennamen abarbeitet und kühn behauptet „Der beste Rapper Deutschlands ist offensichtlich ich“.

„Strom und Drang“ ist mit seinen eingängigen Melodien, Anleihen bei brasilianischem Baile Funk und Jazz-Hop und Zeilen zum Mitgrölen zwar wieder eine gute, clevere Platte, aber leider doch nicht der wuchtig-amüsante Gegenwartskommentar geworden. Zu wenig wird von Boris & Co. demonstriert, dass Rap heißt, vom Alltag zu erzählen, statt sich in die Party zu verabschieden, die sich ohnehin keiner mehr leisten kann. Dabei ist sich die Band ihrer sozialen Funktion bewusst. „Fast jeden Tag kämpfe ich mit meinem Schicksal“, lässt sie einen Ein-Euro-Jobber mit sich hadern, „jedes mal frag’ ich mich, womit hab ich das verdient/ Denn bisher war das Leben meist trist,/ doch ab jetzt will ich das, was mir zusteht.“ Da geht die Party nahtlos in Randale über.

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