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Festival Club Transmediale: Der Klang der unbegrenzten Möglichkeiten

Ist Pop am Ende? Nein, sagt der Berliner Produzent Robert Henke. Beim Club Transmediale feiern er und andere das „Golden Age“ der digitalen Musik..

Es ist derzeit das wohl meistdiskutierte Buch zum Thema Popmusik: In „Retromania“ beschreibt der englische Musiktheoretiker Simon Reynolds sein Unwohlsein angesichts seiner Diagnose, dass sich die Popmusik heute weniger der Schockwirkung des Neuen und Innovativen verpflichtet fühlt, wie das noch etwa bei Punk oder in den Anfängen von Techno der Fall war, als dem Bestreben, bereits Vorhandenes immer wieder bloß neu zu recyclen. Es ist alles so schrecklich langweilig und berechenbar geworden, klagt Simon Reynolds und fragt sich, ob die Popmusik in Zukunft nur noch um sich selbst kreist.

Das diesjährige Berliner Musikfestival Club Transmediale, das sich seit seinem Bestehen dem Aufzeigen aktueller avantgardistischer Strömungen speziell in der elektronischen Popmusik verschrieben hat, versteht sein diesjähriges Motto „Golden Age“ als Gegenentwurf zu Reynolds Bestandsaufnahme. Oder: Es zieht andere Schlüsse aus dieser. Die Macher finden, dass heutzutage auch im Bereich experimenteller, vor allem elektronischer Nischenmusik, wie sie beim CTM zu hören ist, eklektizistisch gearbeitet wird, aber das führe nicht zu einem Entwicklungsstillstand in der Popmusik, wie ihn Reynolds konstatiert. Vielmehr bringe es „eine nie da gewesene Vielfalt“ mit sich. Und so mag man keine Popkultur erkennen, die Gefahr läuft, von der eigenen Vergangenheit aufgefressen zu werden, sondern wähnt sich stattdessen im Goldenen Zeitalter.

Einer, der ganz gut erläutern kann, warum seiner Ansicht nach diese ziemlich optimistische Einschätzung durchaus stimmig ist, ist Robert Henke. Der produziert schon seit Jahren unter dem Namen Monolake weltweit geschätzte elektronische Musik zwischen Techno und Ambient, arbeitet eng mit der Berliner Musiksoftware-Firma Ableton zusammen und unterrichtet seit fünf Jahren an der Universität der Künste als Professor im Masterstudiengang „Sound Studies“ das Fachgebiet „Auditive Mediengestaltung“. Beim diesjährigen CTM wird er gemeinsam mit seinen Studenten Experimente mit Sinustönen vorführen, die durch ein hochkomplexes System aus 96 Lautsprechern geschickt werden.

Henke ist sich sicher: „Die Voraussetzungen für innovative elektronische Musik waren nie besser.“ Der Grund dafür? Die immer bessere, immer billigere Technik. „Ich glaube an die Demokratisierung der Produktionsmittel und ich kann ja auch nichts dagegen haben, wenn jetzt mehr Leute Zugang zu künstlerischem Schaffen haben.“ Während Henke das sagt, sitzt er zwar in einem Studio der UdK vor einer eindrucksvollen Lautsprecher-Landschaft, die über einen unfassbar teuren und leistungsstarken Rechner läuft. Genau so etwas brauche man aber eigentlich gerade nicht, um interessante Musik produzieren zu können, findet er. „Die technischen Mittel sind für mich Werkzeuge, die sich nicht sehr von einem Kugelschreiber unterscheiden“, sagt er stattdessen, „die Frage, ob jemand damit etwas macht, die hängt mehr an der Person als an der Technik.“ Henke freut sich also durchaus, dass er mit dem höchst speziellen Audiowiedergabeverfahren Wellenfeldsynthese, das ihm hier zur Verfügung steht, mit seinen Studenten herumspielen kann, glaubt aber, mit Hilfe von Software „für den Preis eines guten Paars Turnschuhe“ sei bereits gute Musik produzierbar.

Vor der Schwelle zum eisernen Zeitalter

Und Henke geht noch weiter: Gar einen Idealzustand, ein „Golden Age“, sieht er jetzt in der elektronischen Musik erreicht. „In den Achtzigern hat noch jedes neue Gerät zu einer neuen Musik geführt. Du hörst Chöre bei Michael Cretu, weil er einen neuen Sampler hatte, du hörst metallische Sounds bei Depeche Mode, weil sie das Synclavier hatten. Das Thema ist jetzt vorbei, musikalische Innovation hat sich von technischer Innovation weitgehend abgekoppelt.“ Die Technik, so Henke weiter, sei ausdefiniert und es gebe die Möglichkeit, „mit den Werkzeugen, die wir jetzt haben, komplett neue Dinge zu entdecken“. Jetzt könne man anfangen, über Musik nachzudenken. Während Simon Reynolds also findet, so langsam gehe dem Pop die Puste aus, behaupten Robert Henke und der diesjährige CTM, jetzt gehe es erst so richtig los. Aber heute, wo jeder in seinem Schlafzimmer Musik produzieren kann, entsteht da auch wirklich mehr innovative neue Popmusik? Produzenten wie Matthew Herbert oder Mouse On Mars bestreiten dies immer wieder lautstark und bemängeln, dass in viel zu vielen Technotracks die immer gleichen Synthesizersounds und Klangspielereien zu hören seien.

Auch Henke glaubt letztlich nicht, dass allein die vereinfachte Verfügbarkeit der Produktionsmittel zu einer besseren Musik führt. „Golden Age“ sei für ihn, wenn mit den unendlichen Möglichkeiten richtig umgegangen werde. Als Idealbeispiel nennt er Burial, den Londoner Dubstep-Produzenten, der bekannt ist für seine komplex verschachtelte Form der Bassmusik. „Dessen Produktionsbedingungen sind lächerlich“, so Henke, „er amüsiert sich ja selbst darüber. Er benutzt ein Sequencerprogramm – Fruity Loops – das ist eine Billigsoftware. Du kannst mit Fruity Loops Musik machen, die die Welt nachhaltig begeistert. Du brauchst nicht das große, dicke Studio, du brauchst nicht das Mischpult, das von der einen Wand zur anderen reicht, du brauchst auch keinen Produzenten mehr, um Musik zu machen. Du brauchst nur noch eine Idee. Das ist ,Golden Age’.“

Nach der mythologischen Vorstellung des „goldenen Zeitalters“, das Henke hier so vehement beschwört, folgt darauf indes schnell der stufenweise Niedergang bis hin zum „Eisernen Zeitalter“. Irgendwo dazwischen befinden wir uns nach Simon Reynolds schon jetzt. All die technischen Möglichkeiten, so Reynolds, würden immer öfter zu einer Überfrachtung der Musik führen wie etwa bei dem von der Kritik gelobten Jazz-Hip-Hopper Flying Lotus, dessen Musik Reynolds für etwas zu ambitioniert hält. Es gibt also auch ein Zuviel an technischen Möglichkeiten, das ist den Machern des CTM bewusst, die auf diversen Festival-Panels und in Musikergesprächen die Probleme des konstatierten Goldenen Zeitalters diskutieren wollen. Geredet werden soll über drohende „Beliebigkeit“ sowie über „Redundanz und Sterilität“.

Um diese Probleme zu umgehen, müsse man „die Angst vor Beschränkung überwinden“, glaubt deswegen auch Robert Henke, sonst werde man als Produzent von den technischen Möglichkeiten schier erschlagen.

Da fällt es auf, dass viele der zu CTM geladenen Musiker um eben so eine Fokussierung bemüht sind – ob Carsten Nicolai mit seinem am Laptop erzeugten Fiepston-Minimalismus, Shackleton mit seinen klar strukturierten Dupstep-Kompositionen oder Keith Fullerton Whitman, der schon ganze Platten ausschließlich unter Verwendung eines bestimmten Analog-Synthesizers produziert hat. Auch der rockigste Act des Festivals, SunnO))), ist ein Meister darin, sich auf ein Instrument zu konzentrieren. Bei der Band hört man ausschließlich die Riffs von Gitarren. Aber die Art, wie diese zum Dröhnen gebracht werden, ist – wechselnde Zeitalter hin oder her – schier atemberaubend.

CTM Festival, 28.1. bis 3.2.

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