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Montage-Artist mit Kinoleidenschaft. Der Filmemacher Harun Farocki ( 9. Januar 1944 – 30. Juli 2014).

© Hertha Hurnaus

Farocki-Retro zur Berlin Art Week: Das Zerlegen eines Vogels

Harun Farocki wird im Kino Arsenal mit einer umfassenden Retrospektive geehrt. Der Neue Berliner Kunstverein zeigt seine Videoinstallationen.

Von Gregor Dotzauer

Wann ihm das Vertrauen in die Illusionsmaschine Kino abhandenkam und er in die Diskurswelt Kunst eintrat, lässt sich schwer datieren. Denn der Filmemacher Harun Farocki misstraute den vermeintlichen Selbstverständlichkeiten fiktionalen wie dokumentarischen Erzählens von Anfang an, ohne dass er seine Faszination für die Errettung der Wirklichkeit in einem bewusst hergestellten Zusammenhang leugnen mochte.

„Montage merkt man, und Schnitt merkt man nicht“, schrieb er 1979 in der Zeitschrift „Filmkritik“. In diesem Sinn war er immer für die Sichtbarkeit von Montage und gegen die Unsichtbarkeit des Schnitts. Wenn in seinen musealen Videoinstallationen, die 1995 mit den zwei Monitoren von „Schnittstelle“ im nordfranzösischen Villeneuve d’Ascq ihren äußeren Auftakt fanden, das Prinzip Montage schließlich die Wahrnehmung ganz beherrschen sollte, so war es der Versuch, den Anteil der Analyse gegenüber demjenigen der unvermeidlichen Synthese noch einmal zu steigern.

Drei Jahre nach seinem überraschenden Tod im Juli 2014, nach posthumen Ausstellungen in Valencia und Barcelona, kehrt Farocki nun als Protagonist der Berlin Art Week in die Stadt zurück, in die er 1962, als Sohn eines indischen Arztes und einer Deutschen im indonesischen Jakarta aufgewachsen, als 18-Jähriger vor der Enge des Hamburger Elternhauses floh und zu seiner Heimat machte. Mit einer Retrospektive seiner über 100 Filme im Kino Arsenal bis Ende November, die ihn als den eigenwilligsten Ethnografen kapitalistischer Lebensverhältnisse präsentiert, den die Bundesrepublik hervorbrachte. Mit seiner Fragment gebliebenen Autobiografie „Zehn, zwanzig, dreißig, vierzig“ im Verlag der Buchhandlung Walther König, die eine vierbändige Schriftenreihe eröffnet. Und mit einer Schau seiner filminstallativen Arbeiten im Neuen Berliner Kunstverein. Sie wird flankiert von einer Gruppenausstellung im Savvy Contemporary, die sich mit der Eindeutschung des väterlichen Namens El Usman Faroqhi auseinandersetzt, sowie einem Symposion, das vom 18. bis 21. 10. im Silent Green Kulturquartier und im HKW stattfindet. Dort war 2015 zuletzt seine große Videoinstallation „Eine Einstellung zur Arbeit“ zu sehen.

Trennen, Verbinden, Übersetzen

„Mit anderen Mitteln“, der Titel der Kunstvereinsschau, hat auf Farockis Grundmethode bezogen etwas Redundantes. Aber so demonstrativ er sich in der Trias von Trennen, Verbinden und Übersetzen übt, die die Kuratoren Antje Ehmann und Carles Guerra als Motiv der Arbeiten beschreiben, kennzeichnet es doch die Distanz zum vorgefundenen Ausgangsmaterial. „Die einen zerlegen einen Vogel, um ihn zu fressen“, zitiert Farocki den Filmkritiker Helmut Färber, „die anderen, um herauszufinden, wie man fliegen kann.“ Der wunderbare Satz diente ihm als Motto seiner auf sechs Bildschirmen in zeitversetzten Loops ablaufenden Installation „Fressen oder Fliegen“ (2008). Farocki entwirft hier eine Enzyklopädie selbstmörderischer Todesarten aus 70 Jahren Kinogeschichte. Alphabetisch nach Regisseuren geordnet, ergibt sich eine Abfolge letzter Minuten und Momente, unter denen man Antonionis „Il grido“ findet, Godards „Pierrot le fou“ mit Jean-Paul Belmondo und Fassbinders „In einem Jahr mit 13 Monden“, aus dem in einem Insert die ultimative Todesbegründung zitiert wird: „Warum ich mich aufhänge? Ich möchte den Dingen nicht länger ermöglichen, dadurch wirklich zu sein, weil ich sie wahrnehme.“

Nicht minder todestrunken ist die fünfkanalige, auf einen Tonausgang gelegte Installation „Tropen des Krieges“, die mit einer Vielzahl von Schnipseln ein Lexikon unbenannter rhetorischer Figuren in Kriegsfilmen entwirft, wie sie das Genre prägt und die Vorstellung vieler, die sich mangels eigener Anschauung ihr fiktional überschriebenes Bild machen mussten. Eine Art Rückübersetzung aus dem Mimetischen, dessen Regelhaftigkeit wiederum die tatsächliche kollektive Imagination ausmacht. Verglichen damit nehmen sich die Installationen zur Erzählweise von D. W. Griffith oder zur Synchronisation (beide 2006), in der man Robert De Niro in der Spiegelszene aus „Taxi Driver“ („You talking to me?“) bei seiner ersten waffenstarrenden Gewaltfantasie gleich in mehreren, seinen Körper unterschiedlich ausdeutenden Sprachen zusieht, wie Fingerübungen aus.

Das Überraschendste bei dieser Hommage ist die autobiografische Prosa: ein dichtes Stück Erinnerungsliteratur, das in bilanzierenden Dekadenschritten privat zwar so rätselhaft offen wie verschwiegen verfährt, formal und stilistisch aber eine gediegene Geschlossenheit besitzt. Jenseits kulturhistorischer Anekdoten aus dem untergegangenen West-Berlin hat sie nichts von dem radikalen Gestaltungswillen, mit dem Farockir als Essayist hinter der Kamera in den wilden Siebzigern an Konventionen rüttelte. Für jede künftige Auseinandersetzung mit Harun Farocki, der in seinem ureigenen Medium, dem Film, einen iconic turn inszenierte, wird es dennoch ein unverzichtbares Dokument sein – und für alle, die noch einmal wissen wollen, wie es damals etwa in Rolf Edens „Eden Saloon“ zuging, sowieso.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128, bis 28. 1.; Di bis So 12 – 18 Uhr, Do 12 – 20 Uhr

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