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Zwei, die sich verstehen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Daniel Barenboim beim Interview im Auswärtigen Amt.

© Mike Wolff

Eröffnung der Barenboim-Said-Akademie: "Berlin ist die Musikhauptstadt der Welt geworden"

Heute feiert die Barenboim-Said Akademie die Eröffnung des Lehrbetriebs. Außenminister Steinmeier und Akademie-Gründer Daniel Barenboim über die Kraft der künstlerischen Gemeinschaft.

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Herr Barenboim, kann Musik die Welt verbessern?

Barenboim: Wenn ich Ihnen diese Frage beantworte, wird der Minister die nächsten drei Termine nicht wahrnehmen können. Die Musik gibt uns mehrere Möglichkeiten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sie haben einen schlechten Tag – Sie haben schlecht geschlafen, nicht gefrühstückt, Sie gehen ins Büro, haben Streit mit Ihren Mitarbeitern. Dann müssen Sie zum Zahnarzt, es tut Ihnen weh. Danach gehen Sie zum Steuerberater, der schlechte Nachrichten für Sie hat. Am Abend sind Sie total erschöpft und schlecht gelaunt. Sie kommen nach Hause, legen eine CD ein – und in zwei Minuten vergessen Sie alles. Musik kann uns das geben. Sie wird selbstverständlich keinen Frieden bringen – wir sprechen vom Nahen Osten –, aber für Menschen, die gemeinsam etwas erreichen wollen, ist die Musik ein einzigartiges Mittel.

Unter den Augen des Maestros. Daniel Barenboim inmitten seiner Studierenden einer Masterclass in der Barenboim-Said Akademie, an der nun 37 junge Musikerinnen und Musiker aus dem Nahen Osten gemeinsam studieren.
Unter den Augen des Maestros. Daniel Barenboim inmitten seiner Studierenden einer Masterclass in der Barenboim-Said Akademie, an der nun 37 junge Musikerinnen und Musiker aus dem Nahen Osten gemeinsam studieren.

© Mike Wolff

Warum? Wir haben in unserem West-Eastern Divan Orchestra Musiker aus Israel, Palästinenser aus Israel, aus den besetzten Gebieten und aus der Diaspora, Syrer, Libanesen, Türken und Iraner – und alle wollen das Gleiche. Ich glaube, Herr Steinmeier wäre sehr glücklich, wenn er die Außenminister all dieser Länder mit der gleichen Intention zusammenbringen könnte.

Steinmeier: Es ist jedenfalls sicher leichter, junge Menschen aus der Region gemeinsam in ein Orchester einzuladen, als am runden Tisch über schier unlösbar erscheinende Konflikte zu verhandeln. Die Erwartung, mit einem Konzert die Welt zu verbessern, scheint mir aber doch etwas zu anspruchsvoll. Das kann weder ein Konzert noch ein politisches Gespräch. Aber Sensibilität und Aufmerksamkeit schaffen, das gelingt über Kultur häufig eindringlicher als über eine politische Konferenz.

Barenboim: Ich glaube, der Hauptgrund – besonders was Palästina betrifft – ist, dass sie im Orchester etwas haben, das sonst nicht existiert, und das ist Gleichheit. Ob sie im 7. Pult spielen oder Konzertmeister sind, ob sie Israeli oder Palästinenser sind, spielt keine Rolle. Diese Gleichheit haben wir in der Region nicht.

Herr Steinmeier, was denkt der Politiker über die Möglichkeiten der Musik?

Steinmeier: Ich glaube, man muss sich als Politiker – und insbesondere als Außenpolitiker – davor hüten, Kultur für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Für mich ist die Kulturpolitik ein wichtiger Teil der Außenpolitik, um vorpolitische Freiheitsräume zu schaffen und zu schützen, in denen sich Kultur frei entfalten kann. Dabei geht es gerade nicht darum, dass Kultur unmittelbar außenpolitischen Zielen dient. Das kann Kultur nicht, das soll sie nicht, das kann und soll auch Musik nicht leisten. Dennoch hat Kultur, hat Musik eine enorme Kraft zur Veränderung.

"Wir haben in unserem West-Eastern Divan Orchestra Musiker aus Israel, Palästinenser aus Israel, aus den besetzten Gebieten und aus der Diaspora, Syrer, Libanesen, Türken und Iraner – und alle wollen das Gleiche", sagt Daniel Barenboim.
"Wir haben in unserem West-Eastern Divan Orchestra Musiker aus Israel, Palästinenser aus Israel, aus den besetzten Gebieten und aus der Diaspora, Syrer, Libanesen, Türken und Iraner – und alle wollen das Gleiche", sagt Daniel Barenboim.

© Mike Wolff

Nicht unmittelbar, indem sie die Welt verbessert, aber indem sie Menschen berührt, zusammenbringt und vielleicht auch Verständnis füreinander weckt. Daher sind Daniel Barenboim und ich seit vielen Jahren – neuerdings in Berlin nur eine Steinwurfnähe voneinander entfernt – unterwegs, um nach Möglichkeiten zu suchen, wie in Israel und Palästina Menschen zueinander finden, die sich sonst nie begegnen. Die Musik ist ein Weg dorthin.

Welche Rolle spielt Musik in Ihrer Außenpolitik?

Steinmeier: Musik nicht allein, aber Kultur insgesamt hilft, sich mitzuteilen und anderen zu öffnen. Auf meinen Reisen nehme ich regelmäßig Kulturschaffende und Künstler mit, die eine biographische oder berufliche Beziehung zu dem Land haben, das wir besuchen, und so einen tieferen Zugang jenseits der Politik ermöglichen. Nehmen Sie das Beispiel Kirgistan, ein Land, das vom Westen nicht ganz so intensiv bereist und besucht wird. Auf dieser Reise hat mich die deutsche Jazzpianistin Julia Hülsmann begleitet. Abends sind wir in der Hauptstadt Bischkek in eine Jazzkneipe gegangen. Julia Hülsmann hat sich ans Klavier gesetzt und alle Anwesenden mitgerissen. Was sich den Kirgisen über die Musik erschlossen hat, war vielleicht mehr und etwas viel Tieferes als das, was am nächsten Tag in den Zeitungen gestanden hat. Wir können über Kultur und eben auch über Musik Menschen direkter berühren und transportieren, was sich nur schwer in Worte fassen lässt. Damit findet sich manchmal ein sehr viel unmittelbarerer Zugang zum Publikum und zu den Menschen, als politische Gespräche das können.

Herr Barenboim, warum ist Berlin der richtige Ort für die Akademie?

Barenboim: Berlin ist nicht der richtige Ort für die Akademie. Der richtige Ort wäre zum Beispiel Ramallah, Tel Aviv oder Damaskus. Weil das aber nicht möglich ist, ist Berlin eben doch der richtige Ort. Außerdem: Berlin ist ideal, weil es seit dem Mauerfall die Musikhauptstadt der Welt geworden ist.

Frank-Walter Steinmeier: "Wir suchen nach Möglichkeiten, wie in Israel und Palästina Menschen zueinander finden, die sich sonst nie begegnen. Die Musik ist ein Weg dorthin."
Frank-Walter Steinmeier: "Wir suchen nach Möglichkeiten, wie in Israel und Palästina Menschen zueinander finden, die sich sonst nie begegnen. Die Musik ist ein Weg dorthin."

© Mike Wolff

Ich kann mir keine bessere Stadt für die Akademie vorstellen. Die Studenten haben außerhalb des Studiums die Möglichkeit, so viel zu hören und zu lernen. Das kulturelle Angebot hier ist sogar im Vergleich mit Städten wie Paris oder New York unvorstellbar groß. Wir sind der Bundesregierung und den Bundesländern dankbar, dass sie so viel in unsere Akademie investieren.

Steinmeier: Auch Berlin kann zu Recht stolz darauf sein, dass es gelungen ist, die Barenboim-Said Akademie in dieser Stadt, die so voll von Geschichte ist, in der die Erinnerung an menschliches Leid als Folge politischer Konflikte noch höchst präsent ist, zu etablieren. Diese Akademie ist mehr als eine Institution, in der Studenten aus dem Nahen Osten ausgebildet werden. Es geht nicht nur um Musikunterricht und die Fähigkeit, in einem großartigen Orchester zu spielen. Die Akademie will den neugierigen, interessierten und wachen Menschen als Musiker; der Bildungsansatz ist umfassender als in einem klassischen Konservatorium.

Deswegen ist der ganzheitliche Ansatz der Akademie so wichtig. Berlin ist dafür ein hervorragender Ort mit einer großen palästinensischen Community und inzwischen auch einer stetig wachsenden israelischen Gemeinschaft, was mich sehr freut. Die Akademie wird Begegnungsmöglichkeiten schaffen, die in dieser Dichte wohl an kaum einem anderen Ort der Welt möglich wären. Deshalb haben wir uns unterschieden, die Akademie finanziell zu fördern.

Barenboim: Dankbarkeit ist ein viel zu schwaches Wort für das Gefühl, das wir angesichts der Stipendien des Auswärtigen Amtes empfinden. Das ist eine sehr große Geste.

Welche Reaktionen erreichen Sie aus der arabischen Welt und aus Israel auf die bevorstehende Eröffnung?

Barenboim: Wir haben Verehrer und scharfe Kritiker in den arabischen Ländern und in Israel – ungefähr im gleichen Verhältnis. Also muss es ja richtig sein, was wir machen.

Das heißt, die Verehrer und Kritiker verstehen sich jeweils?

Barenboim: Es ist natürlich aus palästinensischer Sicht etwas problematisch. Die haben natürlich zu Recht eine panische Angst vor dem, was sie „Normalisierung“ nennen.

Während die halbe Welt mit dem Begriff etwas Positives verbindet, fürchten die Palästinenser sie als Bestätigung des Status quo – und den wollen sie natürlich nicht anerkennen. Auch deswegen gibt es Kritik.

Daniel Barenboim: "Während die halbe Welt mit dem Begriff "Normalisierung" etwas Positives verbindet, fürchten die Palästinenser sie als Bestätigung des Status quo – und den wollen sie natürlich nicht anerkennen.
Daniel Barenboim: "Während die halbe Welt mit dem Begriff "Normalisierung" etwas Positives verbindet, fürchten die Palästinenser sie als Bestätigung des Status quo – und den wollen sie natürlich nicht anerkennen.

© Mike Wolff

Werden Sie die Botschafter der Herkunftsländer zur Eröffnung einladen?

Barenboim: Das haben wir noch nicht getan, aber wir denken darüber nach. Aber etwas anderes: Herr Steinmeier hatte mich gebeten, auf der Konferenz des Auswärtigen Amts zu „Toleranz und Vielfalt“ am 20. Oktober eine Rede zu halten. Das war für mich eine große Ehre. Ich hatte dazu mit Mitgliedern des West-Eastern Divan Orchestra und Studenten der Akademie ein Quintett gebildet und ein Stück gespielt. Es waren ein Israeli aus Tel Aviv, eine Palästinenserin aus Ramallah, ein Iraner und eine Libanesin.

Steinmeier: Das ist das Visionäre, nicht nur der Akademie, sondern auch des West-Eastern Divan Orchestra. Bei dessen Gründung haben Sie, Herr Barenboim, gesagt: Das Unmögliche ist einfacher als das Schwierige. Es ist beeindruckend, dass Sie immer beim Unmöglichen anfangen. Daniel Barenboim hat ja am eigenen Leib erfahren, wie schwierig es ist, seiner Idee eine Stimme in der Region des Nahen und Mittleren Ostens zu verschaffen. Denken Sie an die Verschiebung seiner Reise mit der Staatskapelle Berlin nach Teheran, wo er nach einer Einladung im vergangenen Jahr auftreten wollte. Am Ende hatte die Politik dort die Konfrontation mit den Hardlinern doch gescheut...

Sie, Herr Steinmeier, waren oder sind der Schirmherr dieser Konzertreise. Halten Sie denn an dem Plan fest?

Steinmeier: Wenn kulturelle Institutionen wie die Staatskapelle oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder das Goethe-Institut kulturellen Austausch pflegen, dann setzen wir uns dafür ein, die politischen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Wir müssen schauen, wie sich die Dinge im Iran weiter entwickeln. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, wie sehr das Verhältnis Irans zum Ausland immer auch Teil eines innenpolitischen Ringens ist. Das sollte uns aber nicht entmutigen.

Barenboim: Manchmal gibt es ein kleines Zeitfenster, in dem Dinge möglich sind, die kurz vorher oder kurz nachher noch nicht möglich waren oder nicht mehr möglich sein werden. Daran glaube ich. Im Jahr 2011 hatten wir ein Projekt mit Musikern aus den fünf größten europäischen Orchestern. Ich hatte 33 Musiker zusammengebracht, um ein Konzert in Gaza zu spielen. Sie können sich vorstellen, wie schwierig es war, dieses Konzert zu realisieren. Natürlich ließen mich die Israelis nicht von ihrem Gebiet aus nach Gaza einreisen.

"Manchmal gibt es ein kleines Zeitfenster, in dem Dinge möglich sind, die kurz vorher oder kurz nachher noch nicht möglich waren oder nicht mehr möglich sein werden. Daran glaube ich", sagt Daniel Barenboim (rechts) im Doppelinterview mit Frank-Walter Steinmeier.
"Manchmal gibt es ein kleines Zeitfenster, in dem Dinge möglich sind, die kurz vorher oder kurz nachher noch nicht möglich waren oder nicht mehr möglich sein werden. Daran glaube ich", sagt Daniel Barenboim (rechts) im Doppelinterview mit Frank-Walter Steinmeier.

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Deshalb haben die Ägypter ihren Flughafen al-Arisch – rund 50 Kilometer vor der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen – aufgemacht, wir sind mit einer Charter-Maschine dorthin geflogen und nach Gaza gefahren. Nach dem Konzert waren die Leute sehr dankbar und glücklich. Der Vertreter einer Hilfsorganisation sagte mir, warum er das Ereignis so wichtig fand: Viele hier glauben, die Welt hat uns vergessen, meinte er. Einige Menschen schicken uns Essen oder Medikamente. Dass Sie aber mit ihrem Orchester gekommen sind, erinnert uns daran, dass wir Menschen sind. Das ist das größte Kompliment, das ich in meinem Leben gehört habe. Das ist es, was Musik leisten kann.

Planen Sie mit dem West-Eastern Divan Orchestra einen Auftritt in Israel?

Barenboim: Das Orchester ist in dem Moment wirklich erfolgreich, wo wir in Istanbul, Damaskus, Tel Aviv, Ramallah und Teheran spielen können.

Herr Steinmeier, was wünschen Sie sich von der Akademie?

Steinmeier: Ich wünsche mir, dass die Vision von Herrn Barenboim wahr wird, dass ihm eine Begegnungsstätte junger Musiker gelingt, die sich in ihrer Region nicht begegnen, aber hier in Berlin gemeinsam musizieren, diskutieren und leben. Sie würden damit ein großes Beispiel geben für andere, auch außerhalb der Politik, es ihnen gleichzutun. Und ich bin sicher, dass es den jungen Menschen mit ihrer Musik gelingen kann, worum die Politik seit Jahrzehnten ringt: die, die ihnen zuhören, in ihrer Menschlichkeit zu berühren und ihnen die Augen, Ohren und Herzen zu öffnen für das, das über den Einzelnen hinausweist und uns alle verbindet.

"Ich wünsche mir, dass die Vision von Herrn Barenboim wahr wird, dass ihm eine Begegnungsstätte junger Musiker gelingt, die sich in ihrer Region nicht begegnen, aber hier in Berlin gemeinsam musizieren, diskutieren und leben", sagt Frank-Walter Steinmeier
"Ich wünsche mir, dass die Vision von Herrn Barenboim wahr wird, dass ihm eine Begegnungsstätte junger Musiker gelingt, die sich in ihrer Region nicht begegnen, aber hier in Berlin gemeinsam musizieren, diskutieren und leben", sagt Frank-Walter Steinmeier

© Mike Wolff

Herr Barenboim, was wünschen Sie sich von der deutschen Außenpolitik?

Barenboim: Wir sind, wie gesagt, sehr dankbar, wie Herr Steinmeier, das Außenministerium und die Bundesregierung unser Projekt nicht nur mit Geld, sondern mit Überzeugung und Engagement unterstützen. Das war unendlich wichtig, um die Akademie ins Leben zu rufen. Und mit Blick auf unseren hohen Anspruch werden wir Rückendeckung weiter brauchen.

Steinmeier: Ich freue mich, dass es gelungen ist, Daniel Barenboims Lebenswerk, seinen Versöhnungsgedanken in dieser Akademie dauerhaft zu verkörpern. Wir sollten nicht vergessen, vor allem denen zu danken, ohne die wir die große Idee nicht hätten ins Werk setzen können: Es waren die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die mit ihrer Entscheidung das finanzielle Fundament für die Akademie geschaffen haben. Inzwischen gehen die Bauarbeiten gut voran. Wir freuen uns auf den neuen Nachbarn am Werderschen Markt, auf junge Musiker aus aller Welt und die ersten Klänge, die zu uns ins Auswärtige Amt herüberwehen.

Das Gespräch führten Hans Monath und Rolf Brockschmidt

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