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Emir Kusturica: Utopia aus Holz und Größenwahn

Regisseur Emir Kusturica genießt in der Filmwelt hohes Ansehen, dabei ist die Liste seiner politischen Provokationen lang. Jetzt veranstaltet er zum fünften Mal ein Film- und Musikfestival im serbischen Ort Küstendorf.

Eng umschlungen kugelt das Liebespaar über die Veranda, rauf auf die Wiese, mitten durch eine Schafherde, einen Hügel hinab und hinein in einen Heuhaufen. Kichernd fallen die beiden übereinander her, während die Kamera über ihnen kreiselt. Diese kleine, überkandidelte Szene stammt aus Emir Kusturicas Tragikomödie „Das Leben ist ein Wunder“. Der 2004 fertiggestellte Film nimmt in seinem Werk keinen sonderlich prominenten Platz ein, er war kein Hit wie „Arizona Dream“ oder „Schwarze Katze, weißer Kater“.

Dennoch hatte „Život je cudo“ (Originaltitel) über Umwege beachtliche Folgen – für Kusturicas Geldbeutel sowie für die idyllische Landschaft, durch die seine Hauptdarsteller rollten. Denn bei den Dreharbeiten verliebte sich der Regisseur in den Mecavnik-Hügel von Mokra Gora und begann bald darauf, auf dessen Gipfel ein sogenanntes Ethno-Dorf aufzubauen, das traditionelle serbische Kultur repräsentieren soll. Es liegt rund 250 Kilometer entfernt von Belgrad, nahe der Grenze zu Bosnien, und trägt den Namen Küstendorf. Weil die Häuser aus Holz gebaut sind, wird es auch Drvengrad (Holzstadt) genannt. Die Hauptstraße hat Kusturica nach seinem Idol benannt, dem jugoslawischen Nobelpreisträger Ivo Andric. „Küstendorf ist mein Utopia“, sagt er.

Seit 2005 hat sich das Dorf, dessen Häuser als Hotelzimmer gemietet werden können, immer weiter ausgedehnt. Es ist ein großer touristischer Erfolg, der allerdings von vielen Bewohnern der Gegend kritisch gesehen wird. Kusturica ist nämlich nicht nur Dorfgründer- und gelegentlicher Bewohner, er ist auch Chef des Naturschutzparkes, der Küstendorf umgibt. Wie das Magazin „Insajder“ des Fernsehsenders B92 in einer Reportage aufdeckte, verschaffte ihm die Regierung Koštunica mit dubiosen Sonderregelungen und gegen den Widerstand der damaligen Umweltministerin die Kontrolle über riesige Waldflächen rund um Mokra Gora. Drei Jahre später wurde das Gebiet noch erweitert, in dem nun 16 bewaffnete Ranger die Einhaltung von Kusturicas Regeln überwachen. Die Ortsansässigen verloren ihr Recht, den Wald zu nutzen, wogegen sie sich mit einer Bürgerinitiative wehren.

Es wird nicht leicht für sie, denn Kusturica ist in Serbien eine große Nummer. Er hat gute Kontakte zu den jeweiligen Machthabern, die sich wiederum gern mit dem zweimaligen Gewinner der Goldenen Palme von Cannes schmücken. So war auch der derzeitige Präsident Boris Tadic schon zu Gast in Küstendorf. Die Zahl der prominenten Besucher wird in den nächsten Tagen ansteigen, denn am Dienstag beginnt das vom Kulturministerium unterstützte fünfte „Internationale Film- und Musikfestival Küstendorf“. In den Wettbewerb um das „Goldene Ei“ gehen 20 Kurzfilme aus 16 Ländern. Daneben gibt es Retrospektiven für die Regisseure Kim Ki-duk und Nuri Bilge Ceylan sowie eine Reihe „Contemporary Trends“ mit aktuellen Produktionen. Ihr Kommen angekündigt haben Isabelle Huppert, Abel Ferrara und Benicio del Toro – Stars, die sich auch auf dem roten Berlinale-Teppich gut machen würden.

Dass Kusturica noch immer so perfekt in den internationalen Filmzirkus integriert ist, gehört zu den großen Rätseln der Branche. Denn der 1954 in Sarajevo geborene Regisseur und Musiker hat sich mittlerweile eine eigentlich nicht mehr tolerierbare Menge von politischen Provokationen geleistet. So mokierte er sich kürzlich im „Süddeutsche Zeitung Magazin“ über die „herrschende Lesart des Bosnienkonflikts“ und hielt seine bizarre Sicht dagegen: „Es waren nicht nur Radovan Karadžic und Ratko Mladic, die Sarajevo kaputtgeschossen haben. Es war auch die Schuld bosnischer Politiker, denen der Angriff sehr gelegen kam; die Bomben zementierten im Westen die Ansicht, dass Bosnien gegen die bösen Serben geschützt werden müsse.“ Angesichts der fast vierjährigen Belagerung durch bosnische Serben, die rund 10 000 Bürgern von Sarajevo das Leben kostete, sind solche Aussagen extrem zynisch. Die Schuldfrage kann nicht relativiert werden. Auch wenn Karadžic und Mladic, die sich derzeit vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten müssen, es gerne anders hätten.

Kusturica hat große Sympathien für Karadžic, die sich etwa darin zeigen, dass in Küstendorf Bilder des bosnischen Serbenführers als Souvenir verkauft werden. Mit seinem Non Smoking Orkestar besingt er ihn sogar, wobei die Band Karadžic’ Decknamen Rašo Dabic benutzt. Bei Liveauftritten skandiert die Gruppe zudem regelmäßig „Ne damo Kosovo!“ (Wir geben das Kosovo nicht her). Serbien sieht das Land, das sich 2008 unabhängig erklärt hat, weiterhin als seine Provinz. Diese Meinung vertrat auch Kusturica bei einer großen Kundgebung in Belgrad kurz nach dem Unabhängigkeitstag. Vor einer serbischen Fahne in der in kyrillischer Schrift „Kosovo ist Serbien“ geschrieben stand, beschwor er die Zugehörigkeit der Serben zum Mythos Kosovo.

Kusturica kommt aus Bosnien. Sein Vater stammte aus einer muslimischen Familie, die Mutter aus einer serbisch-orthodoxen. Beide waren jedoch, wie in Jugoslawien üblich, Atheisten. Ihr Sohn erregte 2005 einiges Aufsehen damit, dass er sich serbisch-orthodox taufen ließ und den serbischen Namen Nemanja annahm. Doch er ging noch weiter und erklärte, dass die muslimischen Bosnier ja eigentlich alle Christen seien, die während der türkischen Besetzung zwangsislamisiert wurden – eine Argumentation, die in den neunziger Jahren auch von serbischen Kriegstreibern benutzt wurde. Seltsamerweise wird Kusturica trotz solcher Ungeheuerlichkeiten weiter auf große Filmfestivals eingeladen. Im vergangenen Jahr war er sogar Vorsitzender der wichtigen „Certain regard“-Jury in Cannes. Dagegen regte sich nur seitens einiger bosnischen Filmemacher Protest, der aber weitgehend ungehört blieb. Schließlich galt es, Lars von Trier mit seiner lachhaften Nazi-Pressekonferenz zu skandalisieren.

Miranda Jakiša, Slawistik-Professorin an der Berliner Humboldt-Universität, hat sich mehrfach mit Kusturica beschäftigt. Sie sieht in ihm „einen Künstler, der sich zum Gesamtkunstwerk stilisiert. Dabei versteigt er sich in nationalistische Selbstinszenierungen, die für ihn eine weiterführende Bedeutung haben. So betont er immer wieder, dass er Kunst für die Zukunft macht, die jetzt noch gar nicht verstanden werden kann. Er möchte eine retrospektive Legende werden.“ Darin fühle er sich Peter Handke verbunden, so Jakiša, von dem er denke, dass man ihn ebenfalls erst in 30 Jahren verstehen werde.

Beim ersten Filmfestival in Küstendorf im Jahr 2008 war der österreichische Schriftsteller, der sich immer wieder durch verschwurbelte pro-serbische Texte hervorgetan hat, Vorsitzender der Wettbewerbsjury. Zur Eröffnung ließ Kusturica damals feierlich die Filmrollen von „Die Hard 4“ beerdigen, dem „schlechtesten Film, der je gedreht wurde“. Für Miranda Jakiša zeigt diese von Schauspielern in serbisch-orthodoxen Priestergewändern durchgeführten Performance, dass „man sein Serbo-Universum nicht ganz ernst nehmen kann.“ So unakzeptabel, wie sie viele von Kusturicas Äußerungen findet – sie nennt ihn auch einen Egomanen, der an Provokationszwang leidet –, weist sie doch wiederholt auf die Brüche und Widersprüche in seiner Person und seinen Inszenierungen hin. Auch Küstendorf, das sie zweimal besucht hat, sei voller Brüche. Als Beispiel nennt sie die orthodoxe Kirche auf dem Hauptplatz, vor der eine witzige Trabbi-Stretchlimousine geparkt wurde – ein Filmrequisit.

Die „Die Hard“- Beerdigung steht zudem für Kusturicas Hollywoodverachtung. Er will dem kommerziellen Blockbusterkino ein östliches „Dritte-Welt“- Kino entgegenhalten. Auch dafür dient ihm das Festival, das von serbischen Regisseuren aus der Generation nach ihm sehr positiv gesehen wird. So sagt der 34-jährige Stefan Arsenijevic, 2003 Gewinner des Goldenen Bären für den besten Kurzfilm und Regisseur von „Liebe und andere Verbrechen“: „Ich bin wirklich froh, dass es existiert.“ Küstendorf sei eine gute Gelegenheit für junge Filmemacher, einen Einblick in das zeitgenössische Weltkino zu bekommen und wichtige Akteure zu treffen.“ Ganz ähnlich sieht es sein Kollege Srdjan Koljevic („Belgrad Radio Taxi“), der auch an der Belgrader Fakultät der Dramatischen Künste unterrichtet: „Für Filmstudenten ist das eine fantastische Sache“, so der 1966 geborene Regisseur und Drehbuchautor. Er beneide seine Studenten, denn als er jung war, gab es nichts Vergleichbares. „Vor zwei Jahren war ich dort zu Gast. Ich sah die Energie und die Filmleidenschaft zwischen den Studierenden und den von ihnen bewunderten Filmautoren. Asghar Farhadi, Fatih Akin, Jim Jarmusch, Abbas Kiarostami hat es genauso gut gefallen.“

Sicher ist das Festival, bei dem es abends Konzerte mit Balkanmusik gibt, für alle Beteiligten eine tolle Erfahrung. Doch jeder Filmschaffende, der nach Küstendorf fährt, sollte sich bewusst sein, dass er damit Teil einer riesigen Kusturica-Inszenierung wird. Einer Inszenierung, die befeuert wird von Größenwahn und Großserbien-Träumereien.

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