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Die neuen Nachbarn. Michael Elmgreen (re.) und Ingar Dragset in ihrem Neuköllner Studio, einem umgebauten Pumpwerk.

© DAVIDS/Sven Darmer

Elmgreen & Dragset im Gespräch: „Wir machen keine Zeitgeist-Biennale“

Die Kunst als heilende Kraft einer verwundeten Gesellschaft: Das skandinavische Künstlerduo Elmgreen & Dragset über ihre Istanbul-Biennale, Solidarität und die Ironie des Brexit.

Was hat Sie daran gereizt, Kuratoren der Istanbul Biennale zu werden?

ELMGREEN: Als wir vor über einem Jahr gefragt wurden, haben wir uns gesagt, dass wir vermutlich nur einmal im Leben die Chance bekommen, eine Biennale zu kuratieren. Also dachten wir, greifen wir lieber zu. Damals, vor dem Putschversuch durch das Militär am 15. Juli 2016, war die Situation noch eine andere.

Wieso werden zunehmend Künstler damit beauftragt: Christian Jankowski bei der Manifesta in Zürich 2016 und das New Yorker Kollektiv DIS bei der Berlin-Biennale?

ELMGREEN: Eigentlich ist es nicht neu, dass Künstler Ausstellungen organisieren. Die Rolle des unabhängigen Ausstellungsmachers gibt es dagegen erst seit ein paar Jahrzehnten, seit Harald Szeemann, Pontus Hultén und Kasper König. Wir selbst kommen nicht direkt von der Kunst, haben nie eine Akademie besucht, sind also auf dem Gebiet sozusagen Nicht-Professionelle. Da macht es keinen Unterschied, auch noch den Titel des Kurators für sich zu reklamieren.

DRAGSET: Als Künstlerduo spielt für uns die Zusammenarbeit ohnehin eine große Rolle. Dann ist es kein großer Schritt mehr, auf andere zuzugehen und mit verschiedenen Positionen zu arbeiten.

Wird es wieder eine in sich geschlossene Ausstellung von Ihnen geben?

DRAGSET: Nicht in der Art einer kompletten fiktiven Erzählungen, wie wir sie in früheren kuratorischen Projekten entwickelt haben. Gerade in der jetzigen politischen Situation finden wir es nicht angemessen, eine eigene übergreifende Narration daraus zu machen. Klar haben wir thematisch an einer Stelle angefangen, an der unsere Hauptinteressen liegen, den Schnittpunkten von Identität, Zugehörigkeit, räumlichen Strukturen. Uns interessiert es herauszufinden, welche Möglichkeiten und Begrenzungen darin liegen.

ELMGREEN: Wir machen keine Zeitgeist-Biennale, die Auswahl der Künstler ist generationsübergreifend. Künstler fangen immer bei ihrem persönlichen Universum an. Sie sind gewöhnt, ihre Ideen einem Publikum zu kommunizieren. Es wird also kein theoretisches Statement geben, dem die Kunst als Illustration dient. Künstler gehen genau umgekehrt vor.

Haben Sie angesichts der politischen Lage schon einmal an Aufgeben gedacht?

DRAGSET: Nicht wirklich. Allerdings waren wir nach dem Militärputsch verunsichert, ob wir eine Biennale in unserem Sinne realisieren können. Überhaupt erschien eine Ausstellung damals abwegig. Wir haben uns zwei Wochen danach mit Journalisten, Oppositionspolitikern, Historikern, Schriftstellern in der Türkei getroffen, Menschen jenseits der Szene, und sie gefragt, ob eine solche Biennale für die Gesellschaft von Interesse ist außerhalb der kleinen Kunstwelt. Jeder bat uns weiterzumachen: Das Wichtigste sei doch der internationale Austausch. Man fühlt sich in der Türkei zunehmend isoliert. Es gibt nicht mehr viele offene Kanäle. Die Menschen in Istanbul brauchen diese Inspiration. Kunst- und Kulturveranstaltungen wie der Biennale werden deshalb heilende Kräfte zugetraut in einer verwundeten Gesellschaft.

ELMGREEN: Man muss einfach weitermachen. Es gibt so viele schlechte Nachrichten – ob aus der Türkei oder den USA. Auf diese Weise versichern wir uns gegenseitig, welche Werte wichtig sind. Wir bringen sie auf eine andere Art ein als die politischen Populisten. Momentan gilt die Aufmerksamkeit nur bestimmten politischen Inhalten. Denker und Intellektuelle werden nicht mehr gehört.

Der Biennale-Titel lautet „A good neighbour“. Hat sich die Bedeutung durch die politischen Zuspitzungen verändert?

ELMGREEN: Uns interessieren die demografischen Verschiebungen. Plötzlich leben wir mit neuen Nachbarn zusammen. Ob es wir zwei Skandinavier sind, die nach Neukölln in eine türkische Nachbarschaft ziehen, oder syrische Flüchtlinge, die hierherkommen. Unsere Städte haben sich in den letzten Jahren verändert, die Viertel haben teilweise eine andere Zusammensetzung bekommen. „A Good Neighbour“ meint nicht unbedingt die geopolitische Lage. Aber man könnte auch fragen: Ist Großbritannien im Moment ein guter Nachbar für Europa? Oder: Sind wir gute Nachbarn für die Türkei, die mit dem Problem syrischer Flüchtlinge sich selbst überlassen ist? Türkische Reisende brauchen ein Visum, um nach Europa zu kommen, wir brauchen dies umgekehrt nicht. In den Titel lässt sich viel hineinlesen.

DRAGSET: Die meisten Kunstwerke beziehen sich nicht direkt auf die großen internationalen Konflikte. Wir wollen keine politische Aufladung, auch wenn es natürlich Arbeiten zu den Auswirkungen des Arabischen Frühlings und lokalen Konflikten in der Türkei geben wird.

„Trump hat nie über Kunst getwittert“

Gegenwärtig präsentieren Sie in Krefeld im Haus Lange „Die Zugezogenen“, das Setting einer deutschen Familie, die nach dem Brexit aus London nach Deutschland zurückgekehrt ist. Haben Sie dabei auch an die Flüchtlinge gedacht, die in Deutschland keine solch luxuriöse Villa vorfinden?

DRAGSET: Natürlich. Es wird so viel über Migration, Immigration gesprochen. Wir wollten das auf den Kopf stellen, satirisch sein. Nicht die Immigranten selber betreffend, sondern die Haltungen und Vorurteile, die sich in unserer Gesellschaft generieren. Angesichts unserer verrückten politischen Wirklichkeit scheint die in der Ausstellung gezeigte Realität nicht mehr abwegig. Wir sind mit der vermeintlichen Familie, die nach Jahren in England aus Angst vor den Folgen des Brexit flieht, nur einen Schritt weiter gegangen.

ELMGREEN: Die Krefelder Villa, in der die Familie nun wohnt, wurde 1929 von Mies van der Rohe erbaut, ein Top-Modernist, der an die Utopie des neuen Wohnens glaubte. Seine Vision konfrontieren wir mit dem heutigen Lifestyle einer britischen Upperclass-Familie, die dicke Teppiche, schwere Vorhänge mitgebracht hat. Wir zeigen den Niedergang dieser Utopie auch auf ästhetischer Ebene, nicht nur das Scheitern der europäischen Idee durch den Brexit. Europa, die Demokratie, all das haben wir für garantiert gehalten. Diesen Glauben an die Zukunft, den Fortschritt gibt es nicht mehr.

Von Ihrer Biennale wird nun geradezu Heilung erwartet. Können Sie das leisten?

ELMGREEN: In der Türkei ist der Tourismus um 70 Prozent zurückgegangen. Auch auf professionelle Ebene gibt es diesen Einbruch: Künstler, Kuratoren, Museumsleute, Akademiker kommen nicht mehr, sodass der Austausch unterbrochen ist. Aber gerade das wird jetzt gebraucht. Die Biennale versteht sich auch als Zeichen der Solidarität mit der dortigen Künstlerszene.

DRAGSET: Die Menschen haben sich in ihre Wohnungen zurückgezogen, im Privaten finden nun Vorlesungen und Konzerte statt. Auch das ist eine Form des Widerstands, des Zusammenhalts.

ELMGREEN: Die großen öffentlichen Zusammenkünfte sind nationalistisch motiviert. Umso wichtiger ist es, andere Formen der Zusammenkunft zu fördern, um zu zeigen, dass es verschiedene Gesellschaften, Meinungen gibt.

Mussten Sie Ihre Planungen revidieren aufgrund der verschärften politischen Lage?

ELMGREEN: Bislang gab es keine Interventionen.

Erreichen Sie Hilfegesuche von Künstlern, Kuratoren, Kritikern, die außerhalb der Türkei Fuß fassen wollen?

DRAGSET: Nein, wir erleben bei vielen eher eine Entschlossenheit zu bleiben, weil sie das Gefühl haben, nach Istanbul zu gehören.

Wie offen können Sie privat sein? Macht es Ihnen Angst, als Homosexuelle womöglich Angriffen ausgesetzt zu sein?

ELMGREEN: Homosexualität ist in der Türkei nicht illegal. Natürlich ist es dort nicht besonders Homosexuellen-freundlich, die schwulen Paraden wurden verboten. Aber es gibt noch die gay clubs, sie sind voll. Wird eine Kontakt-Website gesperrt, gibt es woanders wieder eine neue.

DRAGSET: Man kann sogar Hand in Hand spazieren gehen als homosexuelles Paar, nur nicht in jedem Viertel. Aber auch in Berlin muss man an bestimmten Orten aufpassen. Ich will die Probleme in der Türkei nicht kleinreden, aber es gibt Länder, in denen herrscht Zensur wie in China. Dort ist es oft viel schwieriger, Kunst zu zeigen.

Also dient die Kunst als Fenster, um zu sehen, was geht und was nicht?

DRAGSET: Durch Kunst lässt sich über Unterschiede hinweg kommunizieren, Politiker können das nicht. Sie ist fast eine Nische, anders etwa als der Film oder die Literatur, die in der öffentlichen Wahrnehmung sehr viel stärker sind.

ELMGREEN: Trump hat viel über Hollywood-Stars getwittert, aber nie über Kunst.

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