zum Hauptinhalt

Elisabeth Leonskaja: Herzensrausch

Elisabeth Leonskaja und das Konzerthausorchester spielen Beethoven und Berlioz.

Wie klingt es, wenn eine erfahrene Pianistin sich einem Stück annimmt, das ihr in lebenslanger Vertrautheit zur zweiten Haut geworden ist? Kaum zählbar, wie oft Elisabeth Leonskaja, Jahrgang 1945, Beethovens fünftes Klavierkonzert gespielt hat. Ist ihr Zugang deshalb voller Routine und glatter Gefälligkeit, schnurrt sie überraschungsfrei ein Programm ab? Alles andere als das. Im Konzerthaus (noch einmal am Sonntag, 30.6.,16 Uhr) sucht Leonskaja zu jedem Thema, jeder motivischen Wendung eine Haltung – so, als hätte sie das Stück gerade erst für sich entdeckt. Die Eingangskadenz, die Beethoven noch vor das Hauptthema gestellt hat: geistige Einkehr, ein sich Verlieren und Wiederfinden. Das prunkvolle Hauptthema dann: völlig anders, berstend vor zupackender Souveränität. Leonskaja schlüpft in Rollen. Aufregend und unvorhersehbar, knorrig, auch mal grobherzig und auf Kosten einiger falscher Töne. Das würzt nur. Schade allerdings, dass sie und Nikolaj Znaider, der das Konzerthausorchester dirigiert, keine gemeinsame Sprache finden. Hemdsärmelig und unausgegoren hört sich das an, was der aktuelle Artist in Residence am Pult produziert. Bei den Musikern fällt, neben einigen solistischen Glanzleistungen, der sprotzige, undefinierbare Klang der Hörner auf.

Es wird besser, nach der Pause, bei der Symphonie fantastique. Beethoven und Berlioz – das Programm haut einen nicht um vor Originalität. Aber der wüste Herzens- und Drogenrausch, den der Franzose 1820 (!) komponiert hat, besitzt Suchtpotential. Hier endlich lenkt Znaider mit sicherer Hand, strukturiert und zielorientiert. Das Orchester spielt gefestigter, auch wenn das Blech weiterhin nicht seinen besten Abend hat. Transparent und nachvollziehbar schält sich so heraus, wie das Hauptmotiv – die berühmte idée fixe, ohne die keine Analyse der Symphonie fantastique auskommt – den Walzer im zweiten Satz zerstört, zerstückelt, ein früher Fall von tönender Psychoanalyse. Der Zuhörer scheint sich tatsächlich im Kopf des Helden dieser Symphonie zu befinden, durchlebt und durchleidet mit ihm den imaginären Gang zum Richtplatz im vierten Satz („Marche au supplice“). Znaider ist kein Pultpathetiker, er pflegt eine sparsame, minimalistische Gestik. Aber die Gewalt im Inferno des Finalsatzes wirkt, dermaßen an die Zügel gelegt, umso länger nach.

Zur Startseite