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Elfriede Jelinek wird 60: "Eigentlich eine Provinzautorin"

Im Theater gehört sie zu den meistgespielten Autoren der Gegenwart. Von der Mutter zum "Wunderkind" bestimmt, schrieb sie sich mit Werken über Sex und Macht zur Literaturnobelpreisträgerin.

Berlin - Ein "Wunderkind" musste Elfriede Jelinek werden, das hatte die Mutter mit unbedingtem Willen vorbestimmt. Früh erhielt das Kind Ballett- und Musikunterricht und fast wäre sie eine konzertreife Pianistin geworden. Doch dann kam alles anders: Elfriede erlitt einen Nervenzusammenbruch und begann mit dem Schreiben. Von ihrer "dämonischen", ungemein leistungsbezogenen Mutter wurde sie "dressiert", wie sie sich später beklagte. Mit dem Schreiben versuchte sie, der Bevormundung zu entkommen. Aus der Wiener Konservatoriums-Schülerin wurde eine Literaturnobelpreisträgerin mit den besonderen Fachgebieten Sexualität, Geschlechterkampf und Macht. Am 20. Oktober wird die Österreicherin 60 Jahre alt.

Elfriede Jelinek wurde 1946 in der Steiermark als Tochter einer wohlhabenden tschechisch-jüdischen Wiener Familie geboren. Ihr Vater war ein promovierter Diplom-Ingenieur und Chemiker, der 1972 in einer Nervenklinik starb. Tochter Elfriede wuchs in Wien auf. Schon ihr Romandebüt "wir sind lockvögel, baby" 1970 verschaffte ihr große Aufmerksamkeit. Stark autobiografische Züge trägt ihr Roman "Die Klavierspielerin", der von einer hoch neurotischen Mutter-Tochter-Beziehung erzählt und mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle verfilmt wurde.

Spezialistin für Sex und Gewalt

Scharfe Kritik an der Männer- und an der Klassengesellschaft wurde fortan zu ihrem zentralen Thema, so zum Beispiel in dem Buch "Lust". Sie selbst bezeichnete es als "Antiporno, allerdings im obszönen Idiom". Als Hauptwerk verstand Jelinek ihren 1995 vollendeten Roman "Die Kinder der Toten". Im Theater gehört sie zu den meistgespielten Autoren der Gegenwart. Zu einer der brisantesten Premieren des Wiener Burgtheaters geriet 2003 "Bambiland" über den Irakkrieg, wie die Medien ihn transportierten und wie er in den Köpfen der Menschen weitergeführt wurde.

Als Jelinek 2004 der Literaturnobelpreis zugesprochen wurde, reagierte sie verstört. Die Autorin betonte, sie wundere sich auch über den Preis, weil sie doch eigentlich eine Provinzautorin sei, "die in einer bestimmten Weise mit einer bestimmten Sprache arbeitet, die man schon in Deutschland nicht mehr versteht". Sie stehe in der Traditionslinie der Wiener Gruppe. Das sei eine sehr sprachzentrierte Literatur, die eigentlich weniger mit Inhalten arbeite als mit der Lautlichkeit, mit dem Klang von Sprache. Und das lasse sich nicht übersetzen.

Bei der Preisverleihung war Elfriede Jelinek nicht dabei. "Ich würde meine persönliche Anwesenheit in Stockholm gar nicht verkraften", begründete sie diesen Entschluss. In gewisser Weise habe die Person den Preis bekommen, die ihn sich am wenigstens gewünscht habe. Sie sei nicht undankbar, fühle sich auch geehrt, aber es sei "alles zu groß, zu viel" für jemanden wie sie.

Zielscheibe rechter Politik in Österreich

Jelinek, die 1974 den Informatiker Gottfried Hüngsberg geheiratet hatte und abwechselnd in Wien und München lebt, führte stets einen Kampf gegen latenten und offenen Rassismus. Mitte der 90er Jahre wurde sie zur Zielscheibe rechter Politiker in Österreich. Jelineks Engagement gegen die Mitte-Rechts-Koalition in Österreich sorgte für Aufsehen. Unter anderem verhängte die Autorin damals ein Aufführungsverbot für ihre Stücke in der Alpenrepublik. Im Juni 2002 zog sie die Aufführungssperre wieder zurück.

Das neue Stück der Dramatikerin befasst sich mit den beiden führenden Frauen der linksterroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) der 70er Jahre, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin. Das Drama "Ulrike Maria Stuart" wird am 28. Oktober im Hamburger Thalia Theater uraufgeführt. In dem Stück gehe es um Frauen, die das Schicksal verbindet - ähnlich wie bei Maria Stuart und Elisabeth von England im 16. Jahrhundert, und um weibliche Macht. Während die Königinnen von Geblüt diese besaßen, hätten die RAF-Frauen Gewalt benötigt, um diese zu gewinnen. (tso/ddp, Angelika Rausch)

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