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Die animalische Lovestory „Wild“ von Nicolette Krebitz feierte ihre Weltpremiere in Sundance. Der Film mit Lilith Stangenberg hatte auch eine Einladung zur Berlinale.

© Christian Hüller

Einheimische Produktionen: Wo sind die deutschen Filme bei der Berlinale?

Im Wettbewerb der Berlinale gehen wenig deutsche Filme an den Start, obwohl die Branche boomt. Mangelt es den einheimischen Produktionen an Qualität? Und wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

Wenn Cannes und Venedig ihre Programme bekannt geben, gehört der Stoßseufzer zum Ritual der Branche: Schon wieder kein deutscher Film im Wettbewerb! Wenigstens bei der Berlinale stehen die Tore für einheimische Werke weit offen.

2014 nahmen vier deutsche Filmemacher am Wettbewerb teil, 2015 waren es drei: Andreas Dresen, Sebastian Schipper und Werner Herzog mit einer US-Produktion. Diesmal tritt bei der am Donnerstag startenden 66. Berlinale nur ein einziger originär deutscher Film in der Königsdisziplin an, die Newcomerin Anne Zohra Berrached mit „24 Wochen“.

"Ein weichgespültes Produkt"

Schwacher Jahrgang oder Symptom einer chronischen Schwäche? Letzten Sommer kritisierte Kulturstaatsministerin Monika Grütters im „Spiegel“ die Risikoscheu der Branche. Sie vermutet den Fehler in einem Fördersystem, das „gute Ideen manchmal so herunterdekliniert, dass nur ein weichgespültes Produkt herauskommt“. Im November stockte sie den Bundestopf für die rein kulturelle Förderung von 4,5 auf 20 Millionen Euro auf (was exakt der Summe entspricht, die das kleine, ungleich erfolgreichere Filmland Österreich für Filmkultur ausgibt).

Länderfilmförderer wie die Chefin des Medienboards Berlin-Brandenburg Kirsten Niehuus betonen, dass die Kulturschwäche des deutschen Films keine finanziellen Ursachen hat. Rund 22 Millionen Euro des 25,6- Millionen-Budgets beim Medienboard fließen in die Produktion, davon kommen laut Niehuus über 18 Millionen kleineren Projekten und Arthouse-Werken zugute. 100 Millionen Euro Umsatz in der Region, Oscars fürs Studio Babelsberg, Lolas für „Victoria“, Kassenerfolge für „Fack ju Göhte 2“ und „Honig im Kopf“: Die Rekordbilanz 2015 ist nicht nur den Popcornstreifen zu verdanken.

Masse statt Klasse?

Auf der Berlinale laufen ab Donnerstag immerhin 17 Medienboard-geförderte Filme, darunter zwei Wettbewerbs-Koproduktionen: der englischsprachige X-Filme-Beitrag des Schweizer Regisseurs Vincent Perez „Jeder stirbt für sich allein“ und „Soy nero“, den der Exiliraner Rafi Pitts in Mexiko drehte. Aber auch Doris Dörries „Grüße aus Fukushima“ in der Panorama-Reihe sowie kleinere Filme in den Nebenreihen ändern nichts an der erstaunlich geringen Deutschland-Beteiligung in diesem Jahr.

Und das, obwohl der Standort boomt: Bereits bei der ersten Fördersitzung des Medienboard 2016, so Niehuus, lagen wieder über 100 Anträge vor. NRW oder Bayern ziehen ebenfalls positive Bilanzen. Da fragt man sich erst recht, bei 200 bis 250 nationalen Produktionen pro Jahr, warum so wenig für die anspruchsvolleren Festivals dabei ist. Wird mit den circa 350 Millionen Euro Staatsknete (die sich aus Steuergeldern und Ticketabgaben speist) nur Mittelmaß gefördert, Masse statt Klasse?

„An den Filmen liegt es nicht“, betonte Dieter Kosslick kürzlich im Tagesspiegel-Interview. Und woran sonst? Tom Tykwers Dave-Eggers-Verfilmung „Ein Hologramm für den König“ mit Tom Hanks, die am 28. April ins Kino kommt, ist ein gutes Beispiel für die komplizierte Gemengelage zwischen Festivals und Filmemachern, wenn es um die Weltpremiere eines publikumsträchtigen Werks geht. Eigentlich war man sich einig; die produzierenden X-Filmer und die Berlinale hätten es schon gut gefunden, wären Hanks und Tykwer zur Gala-Primetime am Samstagabend über den roten Teppich defiliert. Allein, die Amerikaner machten ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Das maßgeschneiderte Marketing: In den USA entscheidend

Der Film wurde von Hanks’ Firma Playtone Entertainment koproduziert, die US-Firma Lionsgate bringt ihn dort heraus, man wollte einen international zeitgleichen Start. Ende April ist ein gutes Datum in den USA, der Beginn der Frühsommersaison, in der die Blockbuster an den Start gehen. Einfach nur einen guten Film realisieren, das ist in Amerika oft weniger profitentscheidend als das maßgeschneiderte Marketing. Was startet sonst noch in der Woche? Wohin passt der Film am besten, in die sommerliche Hochsaison, die winterlichen Oscar-Wochen oder den dünner besetzten Rest des Jahres? Über den Starttermin werden in den USA regelrechte Glaubenskriege ausgefochten.

Frank Griebe und Tom Tykwer am Set von "Ein Hologramm für den König.
Frank Griebe und Tom Tykwer am Set von "Ein Hologramm für den König.

© Frederic Batier

Die Einladung eines Festivals spielt da oft eine nachgeordnete Rolle. Auch Cannes schafft es kaum noch, Amerikaner in den Palmen-Wettbewerb zu locken. Festivals sind risikobehaftet, Hype oder Absturz, das gehorcht dort einer schwer berechenbaren Eigendynamik. Lieber gehen die US-Studios auf Nummer sicher; Kontrollverlust kommt sie schnell teuer zu stehen. Bis zu eine Million Dollar müssen sie investieren, um die Stars im privaten Jet nach Europa einzufliegen und die obligatorische Party zu feiern, wie die Zeitschrift „Hollywood Reporter“ einmal für Cannes ausgerechnet hat.

Nicht jedem Film bekommt eine Festivalkarriere

Zudem lässt sich ein generelles Phänomen beobachten, mit dem auch die Deutschen konfrontiert sind. „Filme, die keine Blockbuster und keine einheimischen Produktionen sind, haben es schwerer im Kino. Deshalb ist eine neue Gattung entstanden: der Festivalfilm“, erklärt X-Filme-Produzent Stefan Arndt. Autorenfilme touren durch größere und kleinere Festivals und finden so ihr Publikum. „Wir überlegen uns deshalb noch genauer, ob eine Festivalkarriere für einen bestimmten Film angemessen ist oder wir ihn besser ohne Festival herausbringen.“

Beispiel Nummer zwei: Auch Nicolette Krebitz’ animalische Lovestory „Wild“ (Frau liebt Wolf und nimmt ihn ins Apartment mit, Filmstart: 14. April) war eingeladen. Die Kölner Produktionsfirma Heimatfilm zog es jedoch vor, beim amerikanischen Independent-Festival in Sundance Weltpremiere zu feiern. Über die Gründe möchte sich Produzentin Bettina Brokemper lieber nicht äußern, sie bittet um Verständnis dafür.

Vorfreude wird geschürt

Ein Film, der noch nicht gestartet ist, ist eine Verheißung. Also wird Vorfreude geschürt, Imagepflege betrieben. Deshalb berührt man mit der Festivalfrage einen hochsensiblen, neuralgischen Punkt; auch andere Produzenten möglicher Berlinale-Kandidaten möchten lieber nicht darauf angesprochen werden. Die Regel lautet: Festivals sind für Filme da, nicht umgekehrt. Also hat niemand die Absicht, eine Produktion vorab durch Ablehnungsgerüchte zu beschädigen. Oder durch die Mitteilung, dass man sich bei den Modalitäten nicht einigen konnte. Vielleicht klappt’s ja noch in Cannes oder bei den Sommerfestivals. Der impulsive Fatih Akin tat sich bei „The Cut“ jedenfalls keinen Gefallen damit, im April 2014 zu verkünden, er ziehe sein Armenien-Epos „aus persönlichen Gründen“ aus Cannes zurück und gehe auf ein Herbstfestival. Cannes hatte sein Programm noch gar nicht bekannt gegeben, jetzt wusste alle Welt, das Festival hat Bedenken. Kein gutes Omen.

Bei der Platzierung spielt Geld eine Rolle

Stattdessen empfiehlt sich die hohe Kunst der Diplomatie. „Helene Hegemanns ,Axolotl Blockbuster’ wurde nicht fertig. Auch bei Maria Schraders Stefan- Zweig-Biopic ,Vor der Morgenröte’ mit Josef Hader hieß es, er werde nicht rechtzeitig fertig“, lautet Kosslicks Auskunft zu zwei weiteren Berlinale-Kandidaten. Beispiel Nummer drei: Was den Grad der Fertigstellung in beiden Fällen angeht, hört man aus der Branche Widersprüchliches. Schraders Film findet sich in der Longlist für die Lola 2016; die Vorauswahlkommission für den deutschen Filmpreis dürfte kaum Halbfertiges beurteilt haben. Gab es bei der Berlinale Qualitäts-Vorbehalte, stritt man sich über die Platzierung?

Auf der Tradeshow im Januar in München lief ein Ausschnitt von Hegemanns Film; Constantin-Verleihchef Torsten Koch – die Firma bringt „Axolotl Blockbuster“ heraus – betont ausdrücklich: ein kleiner Schnipsel, man sei noch im Schnitt. Auch die Produzenten reagieren wortkarg auf Nachfragen, bei Hegemann Vandertastic in Berlin, bei Schrader X-Filme.

„Das Leben der Anderen“ lief nicht auf der Berlinale

Oft geht es um die Frage: Wettbewerb oder Nebenreihe? 2006 hatte sich die Berlinale Ärger eingehandelt, weil „Das Leben der Anderen“ nicht dort lief. Man wollte den Film fürs Panorama, nachdem man sich schon für vier deutsche Wettbewerbsbeiträge entschieden hatte, darunter Oskar Roehlers „Elementarteilchen“ und Matthias Glasners „Der freie Wille“. Florian Henckel von Donnersmarck zog zurück, auch in Cannes lief das Stasi- Drama nicht. Egal: „Das Leben der Anderen“ wurde ein Kassenerfolg, es regnete Preise, bis hin zum Oscar.

Bei der Platzierung spielt übrigens auch Geld eine Rolle. Für eine Wettbewerbsteilnahme in Berlin, Venedig oder Cannes winken 100 000 Referenzpunkte bei der FFA, der Filmförderanstalt, die die gesetzlich geregelten Ticketabgaben verteilt. Für einen Gold-Bären, -Löwen oder die Palme gibt es doppelt so viel, für die Teilnahme in einer Nebenreihe nichts. Im Folgejahr werden die Punkte mit denen für die Besucherzahl und für Preise addiert und nach einem differenzierten System in Euro umgemünzt. Die Wettbewerbsteilnahme von Dominik Grafs „Die geliebten Schwestern“ bei der Berlinale 2014 schlug beispielsweise mit 37 000 zusätzlichen Euro zu Buche. Nicht viel für den nächsten Film, aber ein schönes Extra.

Der Blick zurück kann trösten

2017 steht die Novellierung des Filmfördergesetzes ins Haus, eine Chance, die Stellschrauben zugunsten der Filmkunst zu justieren. Die Branche selbst ist allerdings mehr daran interessiert, die Richtlinien zugunsten hoch budgetierter Kassenschlager zu verändern.

Und das Berlinale-Publikum? Freut sich aufs internationale Weltkino. Wer Einheimisches vermisst, kann sich mit dem Blick zurück trösten, in der „Deutschland 1966“-Retrospektive und der zehnteiligen Hommage an den Ehrenbären-Kameramann Michael Ballhaus.

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