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Kultur: Eine japanische Dienstreise

Vor hundert Jahren entstand das Museum für Ostasiatische Kunst – damals eine Sensation. Heute lebt es im Verborgenen

Für Menschen, die sich mit traditioneller ostasiatischer Kultur beschäftigen, gelten andere Zeitdimensionen. Vielleicht färbt Buddhas Gelassenheit auch auf Europäer ab. Oder zumindest der Umgang mit Dingen, die daran erinnern, dass mancher Künstler zugleich Philosoph gewesen sein muss. Jedenfalls wäre die Geschichte des Berliner Museums für Ostasiatische Kunst, das an diesem Wochenende mit einer Jubiläumsfeier und gleich drei Ausstellungseröffnungen sein 100- jähriges Bestehen begeht, ohne ein gerüttelt Maß an Gleichmut wohl schon nach 39 Jahren beendet gewesen. Das älteste Museum seiner Art in Europa erlebte einen vielversprechenden Start, ab 1924 ein furioses Jahrzehnt des Erfolgs und 1945 den totalen Absturz. Die vielzitierte Stunde Null ist beim Museum für Ostasiatische Kunst wörtlich zu nehmen.

Als die Trophäenkommission der Roten Armee 1945 ihre Auswahl getroffen und über 90 Prozent der Bestände – mehr als 5000 Kunstwerke – in die Sowjetunion abtransportiert hatte, war die einstmals weltberühmte Berliner Sammlung auf 300 Objekte geschrumpft. Kein anderes Museum der Stadt verlor so viel Substanz. Gründungsdirektor Otto Kümmel, zwischen 1933 und ’39 außerdem Generaldirektor der Staatlichen Museen, schrieb damals: „Unter mein Leben ist jedenfalls mit großen Buchstaben Finis geschrieben.“

Der Mitbegründer der modernen ostasiatischen Kunstwissenschaft in Europa hat die Wiedergeburt „seines“ Museums nicht mehr erlebt; er starb 1952. Die historische Sammlung lagert bis heute in Moskau und St. Petersburg. 2001 nahm der heutige Museumsdirektor Willibald Veit die in der Eremitage zurückgehaltene Kriegsbeute erstmals in Augenschein. Das Moskauer Puschkin-Museum verweigerte bislang jeden Zugang. Da grenzt es schon an ein Wunder, dass in den fünfziger Jahren in Ost und West Nachfolgesammlungen aus dem Nichts begründet wurden. Die Startbedingungen waren auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs bescheiden. Der erste West- Berliner Direktor Roger Goepper residierte noch in den sechziger Jahren mit einer Mitarbeiterin und den 300 ausgelagerten und deshalb nicht den Russen in die Hände gefallenen Stücken in der Charlottenburger Jebensstraße – in einem einzigen Raum.

Heute besitzt Berlin wieder 12 000 Rollbilder, Stellschirme, Bronzegefäße, Teegeschirre, Schwertzierrate und Lackgegenstände aus Japan, China und Korea. Vor fünf Jahren bezog die wiedervereinigte Sammlung neue, vom Berliner Architekten Helge Sypereck gestaltete Ausstellungsräume in Dahlem: 1800 Quadratmeter in lichten Farben und eleganter Stimmung. Es ist eines der schönsten Museen Berlins, doch nur im Verborgenen, da das Publikum kaum Notiz davon nimmt: nur 40 000 Besucher jährlich. Zugleich gilt die Bleibe als Übergangslösung. Irgendwann will man in das auf dem Schlossplatz geplante Humboldt-Forum einziehen.

Umso dringlicher ist es, sich der Entstehungsbedingungen des Ostasiatischen Museums vor einem Jahrhundert zu erinnern. Dahinein spielte ein auch damals keineswegs übliches universales Kunstverständnis. Wilhelm von Bode, Generaldirektor der Königlichen Museen, träumte von einem Museumsforum der Weltkulturen. Erstmals in Europa sollten Objekte aus anderen Erdteilen als vollgültige Kunstwerke gewürdigt werden. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs blieb Bodes Idee Fragment. Auf den Weg gebracht hat er immerhin 1904 das Museum für Islamische Kunst und 1906 das Museum für Ostasiatische Kunst.

Der Ministererlass zur Gründung ist auf den 8. November datiert. Doch ostasiatische Porzellane und Lackmöbel hatten schon brandenburgische Kurfürsten und preußische Könige gesammelt. Im 19. Jahrhundert entdeckten die Impressionisten japanische Farbholzschnitte als Sammelobjekte und künstlerische Vorbilder. Feingeister der Jahrhundertwende wie Oscar Wilde suchten in Ostasiatika wiederum höchste Raffinesse.

Der Berliner Gründungsdirektor Kümmel war kein Dandy, sondern Wissenschaftler. Bode schickte ihn die ersten zwei Amtsjahre zum Kunstkauf und zur Weiterbildung nach Japan. Zurück in Berlin gewann der Direktor ohne Museum – eigene Schauräume gab es erst ab 1924 im Kunstgewerbemuseum, dem heutigen Gropius-Bau – Wirtschaftsgrößen wie Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und Künstler wie Max Liebermann als Mäzene. Der 1926 gegründete Förderverein des Museums hatte 1930 bereits über 1000 Mitglieder. Ihre Präsentation alter und antiker chinesischer Kunst aus Museums- und Privatbesitz in der Akademie der Künste war das Ausstellungsereignis des Jahres 1929.

Mit dem Zivilisationsbruch des „Dritten Reiches“ riss auch das große öffentliche Interesse an historischen Artefakten aus Japan, China und Korea in Berlin ab. Heute sind selbst so bedeutende Mäzene wie der in Tokio lebende Berliner Klaus F. Naumann außerhalb einer kleinen Szene nahezu unbekannt. Das Berliner Museum verdankt ihm Geschenke und langfristige Leihgaben aus seiner exzellenten Sammlung japanischer Malerei und ostasiatischer Lackkunst.

Heute sind wir auf Ostasien als Wirtschaftsregion fixiert – und nehmen nicht mehr wahr, dass sich dort ein Traditionsbegriff erhalten hat, der unsere westliche Vorstellung von künstlerischem Fortschritt in Frage stellt. Selbst internationale Stars der Gegenwartskunst wie der Chinese Xu Bing, dem das Berliner Museum vor zwei Jahren eine Ausstellung gewidmet hat, zeigen sich darin tief verwurzelt.

Museum für Ostasiatische Kunst (Lansstr. 8, Dahlem) bis 7. Januar; Di–Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Am 9. November findet ein Symposium über die „Perspektiven“ für das Museum für Ostasiatische Kunst statt.

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