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Zwölf Mal Cate Blanchett. Die Hollywoodschauspielerin verkörpert in Julian Rosefeldts zum Film gemachter Kunstinstallation "Manifesto" verschiedene Charaktere.

© picture alliance/DCM/dpa

Ein Essay zur Krise des Kinos: Auf allen Kanälen

Das Kino befindet sich im Wandel. Streamingdienste machen ihm Konkurrenz und das Filmbild wird von der Bildenden Kunst vereinnahmt. Eine Streitschrift mit Blick auf das Filmkunstwerk „Manifesto“.

Von Andreas Busche

Nächstes Jahr will der Streamingproduzent Netflix acht Milliarden Dollar in achtzig Spielfilme investieren. Die Botschaft lässt sich auch als Angriff auf das Kino an sich lesen, das schon länger mit seinem Bedeutungsverlust hadert. Weltweit werden immer mehr Filme produziert, während die Spielstätten nach und nach verschwinden. Die US-Filmindustrie konzentriert sich ohnehin nur noch auf Fan-Franchises, große Namen wie Martin Scorsese, Jodie Foster und Will Smith wandern zu Netflix ab. Um das jüngere Publikum konkurriert das Kino heute mit Youtube und den sozialen Medien.

Vielleicht liegen die Anfänge dieser Krise weit zurück, bis zu dem Zeitpunkt, als Künstlerinnen und Künstler erstmals den Wahrnehmungsraum des Kinos hinterfragten. 1967 präsentierte Valie Export ihre multimediale Installation „Abstract Film No. 1“, ein frühes Beispiel des „Expanded Cinema“. Etwa zur selben Zeit experimentierten in Amerika Andy Warhol und Stan VanDerBeek sowie in England Lis Rhodes und Malcolm Le Grice mit interdisziplinären Aufführungsformen zwischen Mehrfachprojektion, Performance und Interaktion. Sie alle entdeckten das Kino als soziale wie kulturelle Praxis.

Schleichender Paradigmenwechsel

Lars Henrik Gass muss diese Erkenntnis einem cinephilen Sündenfall gleichkommen, auch wenn er die Schuld dafür nie bei den Filmemachern suchen würde. Gass leitet seit 1997 die Oberhausener Kurzfilmtage, das filmische Experiment jenseits des Narrativen und Linearen untersteht gewissermaßen seinem Schutz. 2012 veröffentlichte er die Streitschrift „Film und Kunst nach dem Kino“ (Strzelecki Books, Köln. 157 Seiten, 14,80 Euro). Unter Kulturkritikern löste sie seismische Erschütterungen aus, während sich die weitere Entwicklung derart rasant vollzog, dass der Essay bereits jetzt in einer gründlich überarbeiteten Neuauflage vorliegt.

Gass’ Kinobegriff ist emphatisch, obwohl er sich kaum als Romantiker bezeichnen würde. Klarsichtig diagnostiziert er einen schleichenden Paradigmenwechsel, der das Kino as we know it in den Grundfesten verändert. Für Gass ist die Krise des Kinos in erster Linie eine Krise der Institutionen – und damit eine Konsequenz der sich wandelnden ökonomischen Verhältnisse. Kapitelüberschriften wie „Das Kino verschwindet aus den Filmen“ und „Filmfestivals als temporäre Museen“ sind als Kritik und Analyse gemeint.

Trend zum second screen

Gass sieht das Grundproblem in einem historischen Missverständnis. Das Kino sei nie eine besinnungslose Erzählmaschine oder ideologische Traumfabrik gewesen. Er zeichnet die Frontlinien eines jahrzehntelangen Streits nach und arbeitet das Spezifische der Kinoerfahrung heraus, den „Zwang zur Wahrnehmung“: ein dunkler Raum, der dem Publikum Konzentration abverlangt, eine definierte Filmlänge, die aktive Auseinandersetzung mit einer anderen, „ästhetischen Realität“ einfordert.

Nur haben sich die Rahmenbedingungen des Kinos in den vergangenen 20 Jahren entlang marktlogischer und technischer Entwicklungen verschoben. Einerseits verabschiedete sich eine ganze Generation von Filmemacherinnen und Filmemachern sukzessive aus dem Filmkanon, um kurz darauf wieder im Kontext von Galerien und Museen aufzutauchen – und ihren Marktwert vervielfachten. Nur: Der Kunstmarkt produziert „Positionen“, keine Storys. Im selben Zeitraum manövrierte sich das Kino in eine Sackgasse. Die globale Produktion hängt heute am Tropf einer durchbürokratisierten (überwiegend europäischen) Förderung, während ein Großteil der so finanzierten Filme nur noch im internationalen Festivalbetrieb existiert. Außerhalb dieser Festivals finden sie kaum noch ein Publikum, geschweige denn Kinos in ausreichender Zahl. Oder um Gass zu paraphrasieren: So wie das Kino aus den Filmen verschwindet, verschwinden auch die Filme aus den Kino. Der Trend zum second screen hat den „Zwang zur Wahrnehmung“ abgelöst.

In der Neuauflage kritisiert Gass zudem pointiert die Behäbigkeit der Filmbranche, der es nicht gelingt, auf diese Umwälzungen angemessen zu reagieren. Die Legitimationskrise der großen Filmfestivals zeigte sich dieses Jahr etwa in Cannes im Streit mit Netflix, die die Festivalöffentlichkeit nur noch zu Marketingzwecken nutzen, am Kino selbst aber kein Interesse haben. Aber ob der angedrohte Netflix-Boykott das Problem langfristig löst?

Noch symptomatischer für die Krise des Kinos ist laut Gass die Vereinnahmung des Filmbildes durch die Bildende Kunst. Sie verwässert die spezifischen Ausdrucksformen der Kunstform Kino. Nun ist diese Annäherung kein neues Phänomen, von Douglas Gordon über Matthew Barney bis Steve McQueen sind die Künste schon lange durchlässig. Der jüngste Trend zur „Blockbusterisierung“ in der Bildenden Kunst ist dennoch auffällig. So präsentierte Alejandro González Iñárritu in Cannes wie andernorts seine kostspielige Virtual-Reality-Installation „Carne y Arena“, die bereits mit einem Ehren-Oscar ausgezeichnet wurde. Und im November kam Julian Rosefeldts international gefeierte Mehrkanal-Projektion „Manifesto“ mit einer grandiosen Cate Blanchett in zwölf Rollen ins Kino.

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Die Auswertung von „Manifesto“ im Kino ist nur konsequent. Rosefeldt verfasst sich seit über zehn Jahren mit der Filmsprache und ihren Inszenierungsweisen. Man könnte die Arbeiten auch als Bewerbungsschreiben verstehen. Paradoxerweise war im Fall von „Manifesto“ die Kinoauswertung erst die Voraussetzung für die Finanzierung des aufwendigen Filmprojekts; gewöhnlich geht der Kunstmarkt auf diskreten Abstand zum populären Kino.

Hier aber findet „Manifesto"“ zu seiner wahren Bestimmung. Die Installation ist ganz auf ihren Star zugeschnitten, eine Verbeugung vor Blanchetts Strahlkraft. Die historischen Manifeste, die sie in zwölf Kapiteln vorträgt (vom Surrealismus bis zu Dogma 95), geraten eher zum Beiwerk. Die Multi-Screen-Installation „Manifesto“ ist Star-Kunst, angelegt auf Überwältigung. Konzentration im Sinne einer zeitlichen Erfahrung stellt aber erst die lineare Kinoversion her.

Insofern bestätigt ausgerechnet Rosefeldt Gass’ Befund vom Verhältnis des Kinos zur Kunst – indem das Filmkunstwerk den umgekehrten Weg zurück ins Kino findet. Die Diagnose von „Film und Kunst nach dem Kino“ mag für ein breites Publikum etwas spitzfindig sein. Aber es lohnt sich, Gass’ Kritik nachwirken zu lassen. Hybride Formen hat es in der Kunst schon immer gegeben. Das Kino befindet sich gerade in einer Übergangsphase. Da schadet es nicht, noch einmal sein Wesen zu ergründen. Vielleicht ist es nur so zu retten.

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