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Traumbesetzung. Der Brite Robin Ticciati hat jetzt einen Fünf-Jahres-Vertrag in Berlin.

© Kai Bienert / DSO

DSO-Chefdirigent Robin Ticciati: Ein ernsthafter Flirt

Er ist Hoffnungsträger und Tausendsassa: Robin Ticciati startet mit vier Konzerten in elf Tagen als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters.

Die Saisonbroschüre des Deutschen Symphonie-Orchesters zeigt einen Mann, der sich die Hände vors Gesicht schlägt. Es ist Robin Ticciati, der neue Chefdirigent. Fast jeder Intendant würde sich einen Maestro wie den 34-jährigen Briten aussuchen, wenn ihm eine gute Fee ins Ohr flüstert: Du hast einen Wunsch frei! Denn Ticciati ist nicht nur fotogen, eloquent und kommunikationsfreudig, sondern auch noch offen für zeitgenössische Musik und außergewöhnliche Konzertformate.

Mit einem Auftrittsmarathon startet er seine Amtszeit beim DSO: Am Samstag steigt ein „Symphonic Mob“ in der Mall of Berlin, bei dem sich über 1000 Laienmusiker unter Ticciatis Leitung zu einem Spontanorchester zusammenfinden. Beim offiziellen Antrittskonzert am 26. September dirigiert er neben Richard Strauss’ „Zarathustra“ und französischer Barockmusik auch die deutsche Erstaufführung einer Sinfonie des hierzulande kaum bekannten Österreichers Thomas Larchers. Am 29. 9. tritt er spätabends mit dem DSO im Kraftwerk Berlin auf, am Tag der Deutschen Einheit schließlich kombiniert er in der Philharmonie Werke von Berlioz, Franck und Ravel mit dem Violinkonzert von Jörg Widmann. Welcome, Mister Tausendsassa!

Wiedergänger des jungen Simon Rattle?

Was aber zeigt Ticciatis Gesichtsausdruck auf der Saisonbroschüre an? Blickt er hoffnungsfroh in die Zukunft, nach dem Motto: Wow, ich habe einen Fünf-Jahres- Vertrag bei einem der besten Orchester Deutschlands in der heißesten Klassikmetropole der Welt ergattert! Oder sagt er sich: Au weia, worauf habe ich mich da eingelassen? Denn Berlin ist ein extrem hartes Pflaster für Dirigenten. Wer sich hier neben den lokalen Platzhirschen behaupten will, muss ein einzigartiges Profil haben, etwas Unverwechselbares.

Und die Erwartungen an den Maestro von der Insel sind hoch. Denn das DSO braucht dringend mal wieder eine Langzeit-Liaison. Ingo Metzmacher, Ticciatis Vorvorgänger, war zwar bei Publikum wie Presse beliebt, schmiss den Job aber nach nur drei Jahren hin, offiziell wegen Finanzquerelen. Tugan Sokhiev, als Klangzauberer auch von den Musikern sehr geschätzt, verabschiedete sich nach vier Spielzeiten, weil ihn das Bolschoi-Theater wollte.

Für die Fotoserie, die jetzt sowohl in der DSO-Saisonvorschau zu sehen ist wie auf der extra eingerichteten Website www.wer-ist-robin-ticciati.de wird der gebürtige Londoner bewusst als Wiedergänger des jungen Simon Rattle inszeniert: die gleichen Wuschellocken, das gleiche Lächeln, gepaart mit Lass-uns-die-Welt- verändern-Optimismus. Nicht nur Alexander Steinbeis, der Orchesterdirektor des DSO, dürfte es als glückliche Fügung des Schicksals empfinden, dass Ticciati seinen Berliner Job just in dem Moment antritt, da sich Simon Rattle zur Rückkehr nach Großbritannien anschickt.

Ticciati weiß, was er will

„Es freut mich, wenn Sie sich im positiven Sinne provoziert fühlen“, antwortet Robin Ticciati, wenn man ihn auf seine Programmauswahl für die erste Spielzeit mit dem DSO anspricht, in der es Neues aus seiner Heimat gibt, romantische Raritäten und Barockes, aber kaum deutsches Kernrepertoire. „Bevor ich mit dem DSO Sinfonien von Brahms und Beethoven aufführe, will ich das Orchester noch besser kennenlernen“, sagt er. Ja, diese Mischung aus Charme und Höflichkeit kennt man auch vom Chef der Philharmoniker. „Die Zusammenstellung von Konzertprogrammen hat mit dem Geschmack des Dirigenten zu tun“, fügt er hinzu „Es gibt also kein Richtig und kein Falsch.“ Noch so ein Statement im Rattle-Sound.

Aber Robin Ticciati ist kein Klon des bedeutendsten britischen Orchesterleiters. Er weiß, was er will, und er hat bereits eine beachtliche Karriere hinter sich. Der Sohn eines Rechtsanwalts und einer Psychoanalytikerin lernt zunächst Geige, Klavier und Schlagzeug, bevor er mit 15 Jahren beschließt, Dirigent zu werden. Sir Colin Davis fördert ihn, schnell landet er in der „Wunderkind“-Schublade. Doch statt sich vom Musikbusiness verheizen zu lassen, tritt Ticciati erst einmal aus dem Rampenlicht heraus, absolviert ein musikwissenschaftliches Studium in Cambridge.

Danach aber geht alles ganz schnell. Bei seinem Debüt an der Mailänder Scala ist Ticciati 2005 der jüngste Dirigent, der dort je ein Konzert geleitet hat. 2006 folgt eine Einladung zu den Salzburger Festspielen, die Bamberger Symphonikern holen ihn regelmäßig als Gastdirigenten. Den ersten Chefposten bietet ihm 2008 das Scottish Chamber Orchestra an, seit 2014 steht er zudem an der Spitze des noblen Opernfestivals im südenglischen Glyndebourne. Dem DSO schließlich reichte im September 2014 ein einziges Programm mit Ticciati, um ihm die Sokhiev-Nachfolge anzubieten.

Mit Helen Grime ist eine intensive Zusammenarbeit geplant

Enorm vielfältig zeigt er sich 2017/18 mit dem DSO, dirigiert zwölf verschiedene Programme, stellt dem Berliner Publikum die junge schottische Komponistin Helen Grime vor, mit der künftig eine intensivere Zusammenarbeit geplant ist, und realisiert einen langgehegten Traum mit der szenischen Aufführung von Berlioz’ Oratorium „L’enfance du Christ“, bei der die Schauspielerin Fiona Shaw Regie führen wird, die Harry-Potter-Fans als Tante Petunia Dursley kennen.

„In der ersten Saison kann das Publikum erleben, wer ich bin und wofür ich stehe“, sagt Robin Ticciati. „In der zweiten Saison geht es dann darum, wo ich künstlerisch hinwill.“ Spätestens dann wird sich auch geklärt haben, was denn nun sein Gesichtsausdruck auf dem Saisonbroschüren-Foto zu bedeuten hatte.

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